Gesellschaft | Weihnachtsbrauch

Vongole veraci

Aus dem Süden Italiens kommt der Brauch, am Heiligen Abend ausschliesslich Fisch zu essen. Spaghetti alle vongole als Vorspeise ist ein Must. Ein Geschäft für die Mafia.

Als Bloggerin darf ich auch Privates erzählen und das betrifft diesmal Weihnachtssitten. Mein Mann (apulischer Vater, griechische Mutter), in Bologna geboren und in Turin aufgewachsen, hat das unstillbare Bedürfnis mit in die Ehe gebracht, am Heiligen Abend Spaghetti alle vongole zu verspeisen. Nur: bisher ist er mit diesem Wunsch bei mir und meiner Südtiroler Familie auf Granit gestossen. Nicht zuletzt, weil es nicht einfach ist, am 23. oder 24. Dezember in Klobenstein frische Muscheln zu erstehen.  

Heuer feierten wir den Heiligen Abend in Rom, zu Gast bei Freunden, die tatsächlich "Spaghetti alle Vongole" auftischten. Ich konnte nicht umhin - vielleicht aus Frust ob der  kühl-tristen- römischen "Vigilia-Feier" folgende Geschichte zu erzählen, die ich dem hochspannenden Buch: "Mafia a Nordest" entnommen habe, dessen Lektüre ich allen wärmstens empfehle.

Die wahre Geschichte beginnt am Grossmarkt von Chioggia, wo der Grossteil der Adria-Fische vertrieben wird. Begehreste Ware sind die Venusmuscheln. Die "Venus gallina" ist die kleine Sorte, die nicht gezüchtet werden kann. Die "Caparossolo" hingegen ist grösser und wird gezüchtet. Ihr gebräuchlicher Name ist "Vongola verace".

Um sie zu züchten, müssen Fischerei-Genossenschaften ein Stück Lagune mieten, das zuvor auf Giftstoffe (Marghera ist in der Nähe) untersucht wird. Dann müssen winzige Muschel-Embryos erstanden werden, die - legal - von einer Institution namens Gral verkauft werden: für elf Euro pro Korb. 

Jetzt heisst es abwarten und das gemietete Lagune-Stück zu bewachen. Denn die Ware ist so begehrt, dass sie in Nacht und Nebelaktionen auch schon geraubt wurde. Wenn die gezüchtete Muschel endlich die gewünschte Grösse hat, wird sie zur "Stabulazione" gebracht, zur Reinigung in Riesenwannen. Dann werden die Muscheln geprüft und zum Verkauf freigegeben.

Warum die Ware so begehrt ist? Am Grossmarkt von Catania kostet ein Kilo Vongole normalerweise 2 Euro. Zu Weihnachten und Ostern springt der Preis auf 21 Euro. Das ist ein Gewinn von 1000 Prozent. Nicht einmal Heroin bringt soviel Profit . Denn der Profit, den ein Kilo Heroin einbringt, beträgt schätzungsweise 3000 Prozent. Nur muss dieser Profit auf die 22 Zwischenhändler aufgeteilt werden.

Bei den Vongole reduzieren sich die Zwischenhändler auf maximal vier Personen. 

Insgesamt werden täglich 38 Tonnen Muscheln "gefischt", doch die Kapazität der zuständigen Behörden in Chioggia für die Reinigung und Prüfung beschränken sich auf maximal 10 Tonnen täglich. Was ist mit dem überwiegenden Rest?

Die fehlenden 28 Tonnen werden vom Organisierten Verbrechen "schwarz" vertrieben. 

Zu den 28 Tonnen illegal vertriebenen vongole veraci kommen die Tonnen der besonders grossen Venusmuscheln, die illegal aus der Lagune vor den Giftbetrieben von Porto Marghera herausgezogen werden. Der giftige Schlamm begünstigt offensichtlich das Wachstum der Muscheln - und wohl auch das Wachstum von Krebszellen bei den ahnungslosen Verbrauchern.

Weil die Fischerei in der Giftlagune strengstens verboten ist, operieren dort Vongole-Wilderer bewaffnet und mit Super-Schnellbooten. Sie werden Pasdaran genannt, wie die fanatischen iranischen Revolutionsgarden. Beim Kampf zwischen ihnen und den Ordnungskräften kam es zu Toten und Verletzten.

Mafia, Camorra, 'Ndrangheta und Sacra Corona Unita haben sich in den 90iger Jahren beim Vongole-Geschäft in Norditalien zusammengeschlossen. Daraus schiessen die Ermittler, dass der Gewinn so gross ist, dass alle daran teilhaben können.

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Christoph Moar So., 27.12.2015 - 13:04

Liebe Oktavia,

auch ich habe am Weihnachtsabend unter anderem "spaghetti vongole" genossen - ein Tribut an den Wunsch der kleinsten Familienmitglieder, die bereits im Zwergenalter "al mare" dieses Leibgericht entdeckten. Gekauft übrigens in einem Bozner Betrieb, der täglich frisch angeliefert wird. Klobenstein ist da nicht weit davon...

Fast hättest Du es geschafft, mir jetzt nachträglich den Appetit zu verderben. Dann fiel mir aber zum Glück ein, dass Helmut Schmidt trotz seines Raucherhabitus stolze 96 geworden ist. Immer wieder ein Vorbild, der Mann. :)

So., 27.12.2015 - 13:04 Permalink