Wirtschaft | Interview

"Verstanden hat es niemand so recht"

Im Unterland sieht man die BBT-Zulaufstrecke auch nach einem Info-Abend am Montag nach wie vor skeptisch. Franz Simeoni spricht über Zweifel, Bedenken und Unkenntnis.

“Brennerbasistunnel, Zulaufstrecke Süd – Hoffnung oder Risiko für das Unterland?” Unter dieser Frage fand am vergangenen Montag eine Info-Veranstaltung im Haus Unterland in Neumarkt statt. Anwesend waren neben BBT-Ingenieur Anton Aschbacher und Don Paolo Renner auch Landesgeologe Volkmar Mair und der Direktor der BBT-Beobachtungsstelle Martin Außerdorfer, die sich den Fragen des zahlreich anwesenden Publikums stellten. Organisiert hatte den Abend die Gemeinde Neumarkt. Als deren BBT-Beauftragter war Franz Simeoni, der für das Bündnis Neumarkt im Gemeinderat sitzt, mit der Erwartung, “gute Antworten auf die vielen offenen Fragen” zu bekommen, zur Info-Veranstaltung gegangen.

Herr Simeoni, haben sich Ihre Hoffnungen am Montag Abend erfüllt?
Franz Simeoni: Eines vorweg: Ich wusste, dass viel Unsicherheit und Unkenntnis in der Bevölkerung herrscht. Aber ich hätte mir nicht gedacht, dass das Thema die Menschen so sehr bewegt. Der Saal ist übergelaufen. Nach drei Stunden musste die Diskussion um 23 Uhr abgebrochen werden, sonst wären die Leute noch länger geblieben. Also ich bin schon beeindruckt, wie viel Interesse an dem Thema besteht.

Interesse, aber auch Bedenken, die seit Wochen immer wieder angesprochen wurden. Welche waren die größten Zweifel und Ängste, die am Montag vorgebracht wurden?
Zum einen wird stark bezweifelt, ob überhaupt die Notwendigkeit besteht, eine neue Trasse im Berg zu bauen. Oder ob es nicht ausreichen würde, die Standstrecke durch geeignete Maßnahmen zu modernisieren. Denn diese ist heute noch lange nicht ausgelastet. Dazu würde unter anderem gehören, ein verbessertes Leitsystem zu installieren. Aber in erster Linie sollte versucht werden, dem Lärm beizukommen: durch geeignete Schutzvorrichtungen und leiseres Rollmaterial.

Im Unterland rechnet man mit 20 bis 30 Jahren Bauzeit. Was Jahrzehnte von Lärm, Abgase, Staub für Neumarkt bedeuten würde.

Was wäre nötig, um in diesen Fragen weiterzukommen?
Es müsste Druck auf die italienischen Staatsbahnen ausgeübt werden. Damit die Richtlinien, die die EU in diesem Bereich schon erlassen hat, auch in Italien angewandt werden. 2015 hat die EU 262 Millionen Euro für die Umrüstung der Waggons auf leiseres Rollmaterial zur Verfügung gestellt. Das Geld müsste man jetzt halt abholen und die Flotte umrüsten.

Darüber hinaus gibt es doch auch große Bedenken gesundheitlicher Art?
In erster Linie sind es Bedenken, die das Trinkwasser betreffen. Es gibt einen hydrogeologischen Bericht und Studien, aus denen zum Beispiel hervorgeht, dass die Haupttrinkwasserversorgung der Gemeinde Neumarkt mit einer Wahrscheinlichkeit von bis zu 75 Prozent von den Bauarbeiten der Tunnels beeinträchtigt wird. Und das ist nicht akzeptabel. Aber das ist nur eine Seite.

Und die zweite?
Es soll ja auch das gesamte Weinanbaugebiet von Mazzon, wo der beste Blauburgunder weit und breit angebaut wird, untertunnelt werden. Und da haben natürlich auch die Weinbauern Bedenken, welche Auswirkungen das auf ihre Weingüter haben könnte.

Fragen über Fragen…

Neben Bedenken haben Sie eingangs auch von Unkenntnis gesprochen, die am Montag Abend offensichtlich vorherrschte…
Es hatte ein bisschen den Anschein, als würde jeder mit Zahlen durch die Gegend schmeißen, ohne dass man verstanden hätte, worauf Bezug genommen wird. So wurde gesagt, dass derzeit 149 Züge am Tag durch das Unterland fahren, man allerdings damit rechne, dass sich die Anzahl verdoppeln und verdreifachen wird, weil immer mehr Waren transportiert werden. Jemand hat sogar von 4-500 Zügen geredet.

Für Sie eine unrealistische Vorstellung?
Sollte sich das heutige Verkehrsaufkommen verdoppeln, wäre das schon wahnsinnig viel: die Menschen müssten plötzlich doppelt so oft den Zug benutzen; und auch die Waren müssen erst mal irgendwo gefunden werden – die Wirtschaft müsste explodieren, damit es doppelt so viel braucht. Und auch wenn sich das Aufkommen verzweifacht, selbst dann würde die heutige Standbahn noch ausreichen.

Sollte allerdings die Hypothese von einer Verdreifachung der Züge eintreten…
Dann wäre das Problem schon ein großes. Aber uns liegen offizielle Schätzungen aus Deutschland vor. In Bayern, da steht die ganze BBT-Geschichte ja still. Dort gibt es kein Interesse mehr, eine Zulaufstrecke bis nach Kufstein zu realisieren. Weil aufgrund von fundierteren Berechnungen der deutschen Bundesregierung davon ausgegangen wird, dass im Jahr 2030 auf jener Strecke maximal 300 Züge unterwegs sein werden. Und wenn dieses Szenario für die nördliche Strecke gilt, dann werden bei uns in 15 Jahren auch nicht viel mehr Züge unterwegs sein. Weil 100 Züge entstehen nicht zwischen Innsbruck und Bozen. Ich wüsste nicht, wo oder wie.

Es ging um die Frage, zu verstehen, was da überhaupt geplant ist. Doch das haben die Menschen eigentlich nicht so recht verstanden.

Was hingegen bei der Realisierung der Zulaufstrecke im Unterland sicher entstehen wird, sind gigantische Baustellen.
Das ist ein sehr wichtiges Argument, das auch bei den Menschen eingeschlagen hat. Es soll ja zwei Mega-Baustellen geben, eine nördlich von Auer und die andere direkt an der südlichen Dorfeinfahrt von Neumarkt. Und wenn man die Finanzierungsgeschwindigkeit der BBT-Hauptstrecke sieht – wie lange dort gebaut wird und immer wieder nur ein Stück nach dem anderen finanziert –, dann rechnet man im Unterland mit 20 bis 30 Jahren Bauzeit. Was für Neumarkt Jahrzehnte von Lärm, Abgase, Staub bedeuten würde. Die Belastung und die Folgen wären also gravierend. Und doch wird es so verkauft: Jetzt machen wir einmal den Tunnel und nachher sind die Züge weg, weil alle im Berg drin sind und man hat Ruhe, sprich, keinen Lärm und so weiter. Was aber nicht stimmt.

Weil?
Weil im Tunnel ist als Hochgeschwindigkeitsstrecke angedacht, ausgelegt auf Geschwindigkeiten von 220-240 km/h. Die Güterzüge aber dürfen laut Gesetz nicht schneller als 110 km/h fahren.

Was heißt das nun?
Es ist noch nicht klar, ob der Tunnel dann wirklich nur für Personenzüge wäre und inwiefern Warentransporte überhaupt durch den Tunnel geleitet werden könnten. Dann stellt sich schon die Frage, ja, was soll das? Die Leute fahren in Innsbruck in den Tunnel hinein und kommen in Trient dann wieder heraus. Ist das dann die große Werbung für das Tourismusland Südtirol? Also, es gibt Fragen über Fragen…

À propos Fragen: Steht die Möglichkeit einer Bürgerbefragung in Sachen BBT-Zulaufstrecke nach wie vor im Raum?
Natürlich. Die Gemeinde Neumarkt hat im Dezember 2014 einen Ratsbeschluss gefasst, mit dem entschieden wurde, dass vor einer Eintragung der Trasse im Bauleitplan eine Bürgerbefragung gemacht wird. Und die Gemeinde wird sich dann entsprechend daran halten.

Ich bin beeindruckt, wie viel Interesse an dem Thema in der Bevölkerung besteht.

Ihr Fazit des Abends?
Sehr viele positive Rückmeldungen habe ich zum Beitrag von Don Paolo Renner bekommen, der die ethische Dimension dieser Projekte beleuchtet hat. Es war ganz interessant, das Thema einmal von einer ganz anderen Seite anzuschauen. Nicht nur Zahlen, Bohren, Graben, Hämmern, Chemie und Lärm usw. Sondern wirklich, wozu das Ganze und ginge es nicht auch anders? Dass man hier Milliarden in Löcher durch Berge investiert anstatt in andere Dinge. Aber grundsätzlich ging es am Montag ja um die Frage, zu verstehen, was da überhaupt geplant ist. Doch das haben die Menschen eigentlich nicht so recht verstanden. Wir haben eine Fragenbox aufgestellt, in die man schriftlich formulierte Fragen einwerfen konnte. Über 50 Personen haben sich die Mühe und von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.

Ulli Mair von den Freiheitlichen hat dieser Tage bemängelt, dass vor allem die SVP im Unterland sich nicht genug um die Bedenken der Bevölkerung kümmert. Ist das auch Ihr Eindruck?
Einigen Leuten ist am Montag Abend aufgefallen, und es wurde auch in der Diskussion bemängelt, dass der Landtagsabgeordnete des Unterlands [Oswald Schiefer, Anm. d. Red.] nicht anwesend war. Wer hingegen dort war, waren Landtagsvertreter der Grünen, der Freiheitlichen und der Süd-Tiroler Freiheit. Sonstige Fraktionen habe ich nicht gesehen, weder Italiener noch andere. Aber soweit ich informiert bin, will die SVP Unterland nachziehen und kommende Woche einen eigenen Info-Abend veranstalten.

Haben Sie ebenfalls weitere Veranstaltungen geplant?
Ja. Als Beauftragter der Gemeinde Neumarkt für diese Zulaufstrecke habe ich die Absicht, noch weitere Informationen diesbezüglich unter die Leute zu bringen. Der Abend am Montag soll der erste eines Zyklusses sein. In Kürze soll es weitere geben, mit jeweils anderen Schwerpunkten.