Politik | Bozen 2016

Von einer Welle getragen

„Mir tun sich jeden Tag neue Horizonte auf“, sagt der SVP-Kandidat Christoph Baur. Er glaubt, dass die Zeit reif ist für einen deutschen Bozner Bürgermeister.

Herr Baur, Sie haben bei Ihrer Antritts-Pressekonferenz wie jemand gewirkt, der das Unvermeidliche auf sich nimmt, nämlich die schlagartige Aufmerksamkeit der Medien. Wie geht es Ihnen jetzt in Ihrer Rolle als Bürgermeisterkandidat? Fühlen Sie sich wohler in Ihrer Haut?
Da hat sich nicht viel geändert. Allerdings wurde mir von den Medien große Sympathie und auch Empathie entgegengebracht, besonders von den italienischen Medien, muss ich sagen. Von dort kommt auch viel Interesse für meine Kandidatur - nicht nur von den Medien, sondern überhaupt aus der italienischen Welt. Momentan brauche ich die Aufmerksamkeit der Medien natürlich. Ich muss Botschaften transportieren und habe nur wenig Zeit zur Verfügung. Ich bin als unbeschriebenes Blatt angetreten, der Wahlkampf ist kurz, und mein Wahlkampfbudget ist lächerlich klein. Die Volkspartei ist ja gar nicht in der Lage, mich finanziell zu unterstützen. Also bin ich praktisch auf mich allein gestellt, und mit mir alle SVP-Kandidaten.

Was genau kommt ins Rollen, wenn man plötzlich den Hut des SVP-Bürgermeisterkandidaten in Bozen aufhat?
Ich rede mit vielen Leuten über Dinge, über die ich vorher nicht gesprochen habe. Mir tut sich jeden Tag ein neuer Horizont auf. So eine Kandidatur hat eine Eigendynamik, die ich mir nicht hätte träumen lassen. Es ist das erste Mal, dass die SVP zu den Wahlen antritt mit dem Anspruch, den Bürgermeister zu stellen. Dass es dazu kommt, ist nicht sehr wahrscheinlich, aber auch nicht unmöglich. Vor allen Dingen muss die Volkspartei jetzt begreifen, dass sie heraus muss aus einer rein defensiven Haltung in dem Sinne, dass sie im Gemeinderat die deutsche Minderheit in Bozen vertritt. Die SVP muss in die Rolle einer Partei hinein wachsen, die den Bürgermeister stellt. Den Bürgermeister zu stellen, heißt, für die ganze Stadt Politik zu machen, also auch für die Italiener. Die Volkspartei muss sich ein Konzept zurechtlegen für die Entwicklung der Stadt und nicht für den Schutz der deutschen Minderheit in der Stadt. Es ist unglaublich interessant, was dieser Ansatz in den Köpfen der Menschen bewegt.

Letzthin haben Sie aus anderen politischen Lagern Vorschusslorbeeren bekommen, etwa von Rudi Benedikter und Tobe Planer. Haben Sie ein Feeling mit einem gewissen Teil der Linken?
Mich ehrt es, wenn Leute gut von mir reden. Den Tobe Planer kenne ich aus der Zeit, als meine Söhne in der Jungschar waren. Natürlich habe ich ein Feeling mit Teilen der Linken. Viele Werte, die die Linke hat, sind auch meine Werte.

Ihre Freundschaft mit Alexander Langer wird immer wieder erwähnt, auch Ihre Nähe zur außerparlamentarischen Linken, zur Bewegung Lotta Continua in den Siebziger Jahren. Welche Wünsche und Vorstellungen hatten Sie damals, und was ist davon übrig geblieben?
Ich würde eher von Gefühlen sprechen. Es war das Gefühl eines enormen Aufbruchs, eines Rüttelns an alten Mustern, einer gesellschaftlichen Veränderung. Die Massenveranstaltungen, die ich miterlebt habe, haben mich in eine Art Rausch versetzt. Es war eine Welle, von der man getragen wurde. Von der damaligen Ideologie ist nichts mehr übrig geblieben. Ich habe mich schrittweise von allen Ideologien entfernt. Was ich jedoch in meiner neuen Situation wieder erlebe, ist das Gefühl, wieder von einer Welle getragen zu werden, allerdings mit dem Unterschied, dass mir heute ganz klar ist: Ich will nichts für mich selber, gar nichts. Ich habe mich ja für diese Kandidatur nicht beworben, sie wurde mir angetragen. Ich habe das Gefühl, dass sich mit der Welle, die mich jetzt trägt, tatsächlich auch Muster auflösen. Da kommt bei mir eine gewisse Begeisterung auf wie vor 40 Jahren.

Sie sagen, Bozen ist in den letzten Jahrzehnten nicht ordentlich regiert worden. Die Verwaltung funktioniert schlecht, die Politik ist ideologisiert und ethnisch bestimmt, die Politiker teilen sich die Aufgaben so auf, dass sich die einen um die deutsche und die anderen um die italienische Bevölkerung kümmern. Lehnen Sie sich da nicht etwas zu weit hinaus? Der zweisprachige Gigi Spagnolli war bei aller Kritik wohl nicht ein Bürgermeister, der ständig irgendwelche Parteizentralen oder das Klisché vom Italiener bedient hat.
Das habe ich so auch nicht gemeint. Was ich sagen wollte, ist, es hat einen Bürgermeister gegeben, der sich darauf beschränkt hat, an die italienische Bevölkerung Bozens zu denken, und einen deutschen Vizebürgermeister, der sich um die deutsche Bevölkerung gekümmert hat. Das geschah durchaus im Sinne einer demokratischen Dialektik, und nach dieser Logik hat auch ein Gigi Spagnolli regiert. Ich glaube, dass die Zeit reif ist für eine Veränderung und dass es einen Bürgermeister geben kann, der für die Stadt als Ganzes arbeitet. Ich wage zu behaupten, dass ein derartiger Bürgermeister ein deutscher Bürgermeister sein müsste – zumindest in einem Interregnum, also einer Übergangszeit. Die deutschsprachigen Bozner hätten Angst vor einem italienischsprachigen Bürgermeister, der sagt: Ich bin auch für euch zuständig, ich stelle mich über diese Dialektik. Genau das war übrigens das Projekt von Alexander Langer im Jahr 1995.

Alexander Langers Kandidatur ist dann aber an der Problematik der Sprachgruppenerklärung gescheitert. Wie sehen Sie die damaligen Ereignisse?
Offensichtlich war die Zeit nicht reif. Ich habe damals für Alexander Langer Rekurs in Trient eingelegt. Den Rekurs haben wir verloren. Später hat der Kassationsgerichtshof in einem Urteil festgestellt, dass eine Kandidatur wie die Langers hätte zugelassen werden müssen. Aber Alexander Langer war inzwischen tot.

Ihre bisherigen Statements erinnern an das Motto von Paul Rösch im Meraner Wahlkampf: mehr Bürgernähe, weniger Parteipolitik. Heute sitzt Rösch auf dem Bürgermeister-Sessel und sagt, dass er sich den Wandel viel leichter vorgestellt hat. Ist nicht auch eine Dosis Naivität im Spiel, wenn man als Polit-Neuling im Wahlkampf sagt: Ich mache alles anders?
Dass ich ein bisschen naiv bin, will ich gar nicht in Abrede stellen. Vielleicht habe ich dem Paul Rösch gegenüber vom Werkzeug her einen gewissen Vorsprung. Als Verwaltungsrechtler bilde ich mir ein, dass ich einige Schrauben mehr finde, an denen man drehen kann, damit die Verwaltung besser funktioniert. Es kann aber auch sein, dass ich mich irre.

Als Bürgermeister und Anwalt, der vor Gericht die Interessen seiner Mandanten gegen die Bozner Stadtverwaltung vertritt, würden Sie in einen Interessenskonflikt geraten. Selbst wenn Sie ihre Tätigkeit als Anwalt ruhen ließen, blieben Sie ja Teilhaber Ihrer Kanzlei, die weiterhin Prozesse führen würde. Wie wollen Sie diesen Interessenskonflikt lösen?
Das ist ganz einfach: Ich habe mit meinen Partnern vereinbart, dass wir keine Fälle mehr übernehmen, in die die Stadt Bozen verwickelt ist. Meine Tätigkeit als Anwalt würde ich zurückschrauben, allerdings nicht ganz aufgeben.

Sie sagen, Sie wollen der Stadt Bozen ihre Würde zurückgeben und sie endlich in die Rolle der Landeshauptstadt hieven. Da tut sich ein Spannungsfeld mit der Landesregierung auf, wie jetzt auch am Beispiel Jenesiener Seilbahn deutlich wird. Die SVP-dominierte Landesregierung hat ein Projekt vorgelegt, das die Bozner SVP nicht unbedingt glücklich macht.
Die Stadtregierung hat in den letzten zehn Jahren nicht wirklich regiert und zugelassen, zum Teil sogar provoziert, dass an ihrer Stelle starke Machtzentren von außen regieren. Ich hatte kürzlich ein Gespräch mit Landeshauptmann Arno Kompatscher, und bei dieser Gelegenheit habe ich ihm eines gesagt: In Zukunft sollte die Beziehung zwischen Stadtregierung und Landesregierung so sein, dass die Angelegenheiten, die die Stadt Bozen betreffen, auf Augenhöhe diskutiert werden. Die Antwort des Landeshauptmanns war, dass er damit kein Problem hat und dass die Landesregierung in Vergangenheit oft Entscheidungen für die Stadt Bozen treffen musste, weil die Stadtregierung nicht in der Lage war, die Anliegen ihrer Bürger zu artikulieren.

Auf Ihrer Antritts-Pressekonferenz haben Sie deutlich gemacht, dass gewisse Positionen der Lega Nord Sie unglücklich machen. Die Lega steht momentan als stärkste und auch selbstbewussteste Kraft im italienischen Mitte-Rechts-Spektrum da. Können Sie sich einen Dialog mit Mitte-Rechts vorstellen? Unter Umständen müssen Sie ja mit Lega und Co. regieren.
Einen Dialog muss ich mir vorstellen können, einen Dialog wird es geben. Es ist für mich wichtig, dass im Gemeinderat an Lösungen von Problemen gearbeitet wird. Einer meiner Wünsche ist es, den Bozner Gemeinderat von ideologischen Positionen auf die Sachebene herunter zu holen. Was mich an der Linken stört, ist der Mangel an Konkretheit. Ich mag keine Gespräche, die nicht irgendwann einmal zu Fakten führen. Die Rechte springt sofort ins Handeln, ohne zu denken. Der würde mehr Reflexion gut tun.

Die SVP scheint damit zu rechnen, dass es zu einer Stichwahl mit einem rechten Bürgermeisterkandidaten kommt, und setzt mit Ihnen auf einen Mann, der nicht nur die Stimmen der Deutschen einfangen kann, sondern auch für das italienische Mitte-Links-Lager wählbar ist. Wird diese Rechnung aufgehen?
Das alles ist reine Spekulation. Wir müssen den ersten Wahlgang abwarten. Eines aber denke ich schon: Es gibt Leute in Bozen, die nicht rechts sind, sich aber auch nicht von der Linken politisch vertreten fühlen. Die haben seit Jahren keine Hoffnung, jemals zu zählen. Dies wiederum hat gewissermaßen eine Lähmung der Demokratie zur Folge, was für die Stadt sicherlich schlecht ist. Wenn es zu einer Stichwahl käme zwischen mir und Renzo Caramaschi, könnte ich mir vorstellen, dass ich einige dieser Stimmen bekäme, zumal es ja dem Mitte-Rechts-Block nicht zu gelingen scheint, einen eigenen Kandidaten aufzustellen.

Wie stehen Sie zum Movimento 5 Stelle? Dessen Grundsatz vom Dienst am Bürger müsste Ihnen doch sympathisch sein.
Ich kenne nur den Paul Köllensperger und halte ihn – soweit ich das überblicken kann - für einen absolut seriösen Menschen mit einer sehr guten Art, Politik zu machen. Wenn alle so wären wie Köllensperger, dann könnte ich mir schon vorstellen, in Bozen gemeinsam mit der Fünf-Sterne-Bewegung Politik zu machen. Aber da spricht aus mir vielleicht wieder meine politische Naivität.

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Salto User
Sepp.Bacher Sa., 19.03.2016 - 16:24

Mit der folgenden Meinung habe ich meine Probleme: " Ich wage zu behaupten, dass ein derartiger Bürgermeister ein deutscher Bürgermeister sein müsste – zumindest in einem Interregnum, also einer Übergangszeit. Die deutschsprachigen Bozner hätten Angst vor einem italienischsprachigen Bürgermeister, der sagt: Ich bin auch für euch zuständig, ich stelle mich über diese Dialektik. Genau das war übrigens das Projekt von Alexander Langer im Jahr 1995." Ich bin der Meinung, dass man der italienischen Volksgruppe nicht noch einen der letzten verbliebenen Macht-Positionen wegnehmen soll. Sie fühlen sich ja jetzt schon von den Deutschen dominiert. Deshalb glaube ich auch nicht, dass nur die Deutschen ein Problem oder Angst hätten! Andererseits hat Gigi Spagnolli mit der Benko-Geschichte schon weit in die deutschen Interessens- und Macht-Sphäre hineinregiert und ist auf harten Widerstand gestoßen.
Ich glaube auch, dass Bauer sich nicht um die zur Abstimmung stehenden Angelegenheiten (Kaufhaus, Flugplatz) herum stehlen kann. Er muss sich mit dem Für und Wider auseinandersetzen und sich transparent und authentisch an der Diskussion beteiligen. Das ist er den Bürgern schuldig!

Sa., 19.03.2016 - 16:24 Permalink