„Mehrsprachigkeit bleibt zentrales Thema“
Frau Fischer, vor einem Jahr sorgte der Landesbeirat der Eltern mit einer Umfrage für eine breite Diskussion über das Thema Zweitsprache in der Schule. Danach ist es sehr ruhig um das Gremium geworden. Warum?
Sabine Fischer: Der Landesbeirat der Eltern war in den vergangenen Monaten aufgrund einiger formeller Gründe nicht mehr handlungsfähig, die mit dem Ausscheiden unseres bisherigen Vorsitzenden Kurt Rosanelli und dem vorzeitigen Ausscheiden seines Stellvertreters zu tun hatten. Doch nun sind wir seit Anfang März wieder vollzählig besetzt und können durchstarten.
Sie sind als erfolgreiche Unternehmensberaterin bekannt, Ihr Stellvertreter Ivo Passler ist vielen Südtirolern aufgrund seines vielseitigen Engagements ebenfalls weit über seine Heimat Lana hinaus ein Begriff. Werden Sie dort weiter machen, wo Ihre Vorgänger aufgehört haben, also bei der Forderung, den Unterricht in der Zweitsprache zu intensivieren?
Der neue Vorstand hat eine Menge Themen auf dem Tisch. Als gemeinsamer Nenner fällt mir dazu der Ausdruck „Brücken schlagen“ ein. Klarerweise werden wir weiterhin dafür eintreten, dass zwischen der deutschen und italienischen Sprache und Kultur mehr Brücken geschlagen werden. Immerhin bleibt die Zweitsprache zentrales Thema bei jeder Bezirksversammlung und die Mehrheit von rund 10.000 Eltern hat sich bei unserer Befragung für eine Intensivierung des Italienisch-Unterrichts an deutschen Schulen ausgesprochen. Doch ein ebenso wichtiges Anliegen wird es uns zum Beispiel sein, Brücken zwischen Eltern und Lehrenden zu schlagen.
Gibt es einen Graben, der überbrückt werden muss?
Wir werden zumindest immer wieder von Eltern kontaktiert, die Probleme mit Lehrerinnen oder Lehrern haben. Da werden Kompetenzen angezweifelt, kritisiert, dass es zu viele Hausaufgaben gibt, das eigene Kind zu wenig verstanden wird. Umgekehrt sind die Herausforderungen, die an das Lehrpersonal gestellt werden, größer denn je. Vor allem ist das Thema zu oft sehr emotional behaftet. Hier wollen wir ansetzen und neue Wege des gemeinsamen Dialogs suchen. Gemeinsam mit den Lehrern Schule „neudenken“. Es soll also nicht darum gehen, individuelle Themen einzelner Eltern zu pushen, sondern auf beiden Seiten das Verständnis für die Position des anderen zu fördern.
Wie könnte das funktionieren?
Wir werden sicher in einem ersten Moment versuchen, noch einmal besser zu verstehen, wo bei der Mehrheit der Eltern der Schuh drückt. Dann denken wir aber vor allem an Veranstaltungen, an Diskussionsabende mit Lehrern und Eltern. Wir sind überzeugt davon, dass viel mehr miteinander gesprochen werden sollte.
Einer der Vorwürfe, der öfter von Elternseite zu hören ist, ist dass Schule heute nicht mehr zeitgemäß ist, dass die Lehrpläne in Zeiten des Internets mit viel zu viel Detailwissen gespickt sind, dass selbstständiges Denken zu wenig gefördert wird usw. Sieht das der Landesbeirat der Eltern auch so?
Natürlich sind Unterrichtsmethoden und Inhalte ein wichtiger Teil dieses Dialogs, den wir intensiveren möchten. Wir haben viele Rückmeldungen von Eltern, die sich wünschen, dass Unterrichtszeiten oder Inhalte reduziert werden, dass soziale Kompetenzen stärker geschult werden, dass mehr Technik und Internet zum Zug kommen. Wie kann anders gelernt werden, was ist das „richtige Lernen“ – all das haben wir in zahllosen Versammlungen diskutiert und es gibt dazu weiterhin viel Diskussionsbedarf. Was uns aber nicht gefällt sind Aussagen wie „Die machen alles falsch“ oder „die Schule ist veraltet“. Wenn wir in solch extremen Positionen und Anschuldigungen verharren, kann sich nichts bewegen.
Deshalb Brücken schlagen?
Genau. Deshalb gilt es ein Miteinander zu fördern. Schule hat nun einmal auch die Aufgabe, gewisse Grundlagen zu vermitteln, sie hat auch etwas Erhaltendes und kann nicht jedem neuen Trend unreflektiert nachrennen. Doch natürlich gilt es Schule in einer hochgetakteten Welt, in der Innovation eine zentrale Rolle spielt, auch neu zu denken und junge Menschen für diese veränderte Welt fit zu machen.
Auch das Sprachenlernen ist in Südtirol ein emotionales Thema, wie einige der Reaktionen auf Ihre Elternumfrage bewiesen haben. Haben Sie Sorge, dass Ihre Bemühungen in dieser Richtung durch solche Polemiken torpediert werden?
Die Zweitsprache ist nun einmal ein emotionales Thema, das mit vielen Ängsten behaftet ist. Wenn man die Geschichte Südtirols kennt, ist das auch ganz verständlich. Doch gleichzeitig sind wir heute Europäer, wir sind globaler geworden. Und wenn man Südtirols Arbeitsmarkt kennt, ist es einfach eine Tatsache, dass junge Menschen dort ohne eine gute Kenntnis der Zweitsprache keine Zukunft haben. Auch mir passiert es in meinem Betrieb immer wieder, dass ich Uniabsolventen nicht behalten kann, weil sie nicht auf akzeptablem Niveau Mails auf Italienisch oder Deutsch schreiben können oder am Telefon nicht souverän in der Zweitsprache antworten. Das ist ein reales Problem, das auch von der Mehrheit der Eltern gefühlt wird.
Also keine Angst vor neuerlichen Diskussionen?
Dass dieses Thema bei einigen Gruppen Angst auslöst und insofern auch weiterhin kontrovers gesehen werden wird, ist uns schon klar. Nichtsdestotrotz werden wir uns weiterhin engagieren, dass unsere Kinder einen besseren Bezug zur italienischen Sprache und Kultur bekommen.
Haben Sie dabei mit dem aktuellen Schullandesrat Philipp Achammer einen besseren Verbündeten als bei seiner Vorgängerin Sabina Kasslatter Mur?
Die meisten von uns arbeiten seit Antritt mit Landesrat Achammer, wir können daher schlecht vergleichen. Das Thema wird im Koalitionsabkommen genannt. Wir finden beim Landesrat immer ein offenes Ohr. Jetzt gilt es in der Umsetzung weiterzumachen.
Gerade in Bozen hat aber zuletzt eher die Sorge von Eltern für Schlagzeilen gesorgt, dass ihre Kinder in deutschen Kindergärten die Muttersprache nicht mehr ausreichend lernen.
Auch solche Sorgen und Probleme sind ernst zu nehmen. Laut unserer Umfrage sind doch fast drei Viertel der Eltern mit dem Unterricht von Hochdeutsch in Sprache und Schrift zufrieden, ein Viertel wünscht sich eine Verbesserung. Weil wir uns für die Intensivierung der Zweitsprache einsetzen, heißt es nicht, dass uns die Erstsprache weniger wert ist. Wir sind auch überzeugt, dass die Annäherung an das Thema von Schule zu Schule und vor allem in Abhängigkeit davon, ob wir in einem ländlichen oder städtischen Raum sind, unterschiedlich forciert werden sollte.
Doch gibt es konkrete Vorstellungen, in welche Richtung eine solche Intensivierung stattfinden sollte?
Wir werden sicher nicht festlegen, was hierfür das gute Projekt ist. Wie auch aus der Umfrage hervorging, geht es vor allem um die Frage, wie Sprache vermittelt wird, wie die Zweitsprache für die Kinder spannender herübergebracht wird. Das kann dann mit CLIL-Projekten passieren oder dem Ansatz, im Kindergarten spielerisch ein paar Elemente in der anderen Sprache einzubringen. Es gibt auch interessante Sprachprojekte, die einfach nur bekannter gemacht werden müssten, damit mehr Schulen oder Familien aufspringen. Eine verbesserte Kommunikation wird auch über die Zweitsprache hinaus einer der Schwerpunkte unserer Arbeit sein.
Inwiefern?
Wir haben generell registriert, dass Eltern sehr oft nicht ausreichend informiert sind, welche Möglichkeiten und Projekte es für ihre Kinder gibt. Und das wollen wir durch eine intensivere Kommunikation und einen besseren Informationsfluss verbessern. Dabei denken wir an eine moderne Plattform, über die wir mit den Eltern unkompliziert kommunizieren bzw. diese sich wiederum einfach informieren können. Für uns ist dieses Instrument auch wichtig um die Meinung der Eltern in kurzer Zeit abrufen zu können. Im Moment sind wir mit den zuständigen Ämtern im Gespräch. Wir sind aber zuversichtlich, dass unser Projekt auch Landesrat Achammer zusagt.
Vielleicht kennt Frau Fischer
Vielleicht kennt Frau Fischer schon einige dieser Punkte, ich möchte sie zur besseren Bewertung mancher Aspekte trotzdem hier posten:
→ Die Qualität der CLIL-Evaluation scheint mangelhaft (http://www.brennerbasisdemokratie.eu/?p=27222)... es wurde keine Vergleichsgruppe evaluiert, der Evaluationsbericht ist äußerst oberflächlich und schlampig, alle Klassen außer einer scheinen nicht nur nichts dazugelernt, sondern ihr Niveau auch noch verschlechtert zu haben. Hier sollte von den zuständigen Stellen mehr Seriosität verlangt werden.
→ Man muss sich unbedingt Gedanken über die Nachhaltigkeit (http://www.brennerbasisdemokratie.eu/?p=26770) von gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit machen und ein perfektes Risikomanagement vorsehen. Ist die Schule in Südtirol dazu imstande? Die primäre Zuständigkeit im Bildungswesen sollte m.E. eine zwingende Voraussetzung sein.
→ Italienisch wird in Südtirol schon heute, auch und gerade von der deutschsprachigen Bevölkerung, als die wichtigste Landessprache betrachtet (http://www.brennerbasisdemokratie.eu/?p=25469). Dies ist für eine Minderheit in einem Nationalstaat eine alles andere als beruhigende Ausgangslage.
→ Auch ohne CLIL & Co. haben die Zweitsprachkenntnisse der SüdtirolerInnen während der letzten 10 Jahre nicht ab-, sondern teils deutlich zugenommen (http://www.brennerbasisdemokratie.eu/?p=25517).
Antwort auf Vielleicht kennt Frau Fischer von pérvasion
Fakten und Indoktrinierungen
Fakten und Indoktrinierungen vertragen sich meist nicht. Leider.
Einen bemerkenswerten
Einen bemerkenswerten "Brückenbauplan" um gemeinsam - Lehrer wie Schüler - an einer positiven Entwicklung des Unterrichts zu arbeiten, hat der Landesbeirat der SchülerInnen mit ihrem Projekt "Eduval" vorgestellt!(http://www.provinz.bz.it/mitbestimmung/zum-herunterladen.asp) "Eduval" ist ist eine modernes Feedback- und Reflektionswerkzeug für Lehrer denen die Meinungen und die Ansichten der Schüler wichtig sind.
"Wenn man die Brille der Lehrperson so ändern
kann, dass sie das Lernen mit den Augen ihrer
Lernenden sieht, wäre dies schon einmal ein
exzellenter Anfang."John Hattie