Politik | Brexit

Movimento 5 Stelle = Italexit ? Warum diese Rechnung nicht aufgeht

Ein Kommentar zur Annahme, die Wahlsiege des Movimento 5 Stelle könnten zu einem Italexit führen.
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Der Brexit hat die öffentliche Debatte in Europa ganz schön angeheizt. Überall hört man darüber diskutieren, welche möglichen Folgen er nach sich ziehen könnte, und wie es jetzt weiter gehen soll mit der EU. Vor allem aber schleicht sich immer wieder die latente Sorge mit in die Diskussion ein, ob der britische Austritt einen Dominoeffekt auslösen könnte und welches wohl die nächste Nation sein wird, die austritt. Ein Frexit klingt plausibel, immerhin ist auch in Frankreich die eurokritische Partei Front National unter der Führung Marine Le Pens im Aufwind. Tja, und dann gibt es da noch diesen südeuropäischen Staat, den hochverschuldeten, in Form eines Stiefels, der auch einige Gründe dazu hätte, sich über Europa und seine Politik aufzuregen und der das durch seine letzte Gemeinderatswahl zum Ausdruck gebracht haben soll. Eine neue Thematik hat Zugang in den Brexit-Diskurs gefunden. Zumindest in Deutschland. Der SWR2 strahlt Podcast-Dokus zum Movimento 5 Stelle aus, in intellektuellen Kreisen wird ein beunruhigter Blick auf die Stärkung der eurokritischen Partei geworfen und über die Möglichkeit eines italienischen Austritts wird heftig diskutiert. Selbst in meinem Studentenalltag merke ich, wie die 5 Sterne Partei allmählich Bekanntheitsgrad erlangt. Beppe Grillo, den vor 2 Jahren noch kaum ein Deutscher kannte, ist nun in aller Munde. „Du bist doch Italienerin. Bei euch hat doch jetzt ebenfalls eine euroskeptische Partei gewonnen? Wird Italien nun auch bald aus der Europäischen Union austreten?“ Um zum Punkt zu kommen: Nein. Zumindest nicht aufgrund der letzten Gemeinderatswahlen in Italien. Dieses Ergebnis kann in keinster Weise als Indiz für einen möglichen Austritt Italiens gesehen werden. Dafür gibt es genug Gründe.

Hysterie und Skandalisierung sind in der heutigen Politischen Kommunikation allseits bekannte Phänomene. In unserer zunehmend komplexen und globalisierten Welt müssen Ereignisse vereinfacht dargestellt werden und zwar so, dass es die Leute packt. Nach dem Motto: Alles was GANZ SCHLIMM ist, GANZ WICHTIG, GANZ GROSS, das zieht. Aus policy-Mücken werden policy-Elefanten gemacht, Phänomene werden aufgebauscht und vereinfacht, um Wähler zu mobilisieren. Ohne Massenhysterien wären Parteien schon, um es auf südtirolerisch auszudrücken, „con una gamba nella fossa“. Und so wird aus einer Gemeinderatswahl, und die Wahlergebnisse zweier Großstädte, Turin und Rom, der Jahrhundertwandel der  italienischen Parteienlandschaft, und um noch die Kirsche aufs Sahnehäubchen zu setzten: der zukünftige Europa-austritt Italiens. Bevor nun aber eine sprachwissenschaftliche Debatte darüber angefochten wird, ob Itexit oder doch Italexit besser klingen würde, einige Fakten zur Beruhigung der allgemeinen Aufruhr, denn: Es ist nicht immer alles GANZ SCHLIMM!

Zunächst einmal ist es ein Kapitalfehler, Innenpolitik mit Außenpolitik bzw. Europapolitik gleichzusetzen. Es handelt sich um zwei grundsätzlich verschiedene Ebenen, die zu vermischen für viele Staaten vorteilhaft sein kann, und deshalb von dem ein oder anderen Politiker auch praktiziert wird. Nichts desto trotz ist es falsch. Der Fachausdruck dafür lautet EU-Bashing oder Kausalattribution. Positive policy-outcomes werden von nationalen Spitzenpolitikern für sich selbst beansprucht, während für jede unangenehme Regelung das Bürokratiemonster Europa schuld ist. Bestes Beispiel aus dem aktuellen Brexit: Es wurde damit geworben, dass die Briten jede Woche 350 Millionen Pfund an die EU zahlen. Diese Summe wollten Brexit-Befürworter im Falle eines Austritts ins britische Gesundheitssystem investieren. Nun plötzlich stellt sich heraus, dass ein Großteil dieser Summe durch europäische Gelder wieder in Großbritannien zurückfließt und somit faktisch gar keine 350 Millionen Pfund an die Union gehen. Jetzt werden Anhänger der Brexit-Kampagne kleinlaut und müssen eingestehen, dass sie nicht garantieren können, die Summe tatsächlich ins Gesundheitssystem einzahlen zu können. Die sogenannte Kausalattribution, jenes Sündenbockgerangel führt zu falschen Schlussfolgerungen und Missverständnissen beim Bürger und spielt populistischen Parteien in die Hände. Deshalb ist es so wichtig, Innenpolitik von Europapolitik zu unterscheiden. Das Ergebnis der Gemeinderatswahlen richtete sich an die italienische Politik, war wohl Ausdruck der Unzufriedenheit mit unseren Politikern zuhause. Das impliziert jedoch nicht, dass wir auch eine Änderung darin sehen wollen, was unsere Zugehörigkeit zu Europa angeht.

Ein weiteres Ereignis, das für Italiens Verbleib in Europa spricht: Die europäischen Parlamentswahlen 2014. Italien war mit fast 60% unter den 5 Ländern mit der größten Wahlbeteiligung. Von Europamüdigkeit zeugt ein solches Ergebnis wenig. Als Sieger ging eine europafreundliche Partei hervor, nämlich der PD mit über 40% der Stimmen, während der M5S nur 20% der Stimmen auf sich vereinen konnte. Mag also sein, dass viele Italiener das Programm der 5 Sterne Partei  mögen, mit dem Punkt Europafeindlichkeit jedoch nicht übereinstimmen. Auch bei den europäischen Parlamentswahlen fand Kausalattribution statt: Unser Premier Matteo Renzi erklärte stolz, wie wichtig das Ergebnis für seine und die Legitimation seiner Partei sei. Auch hier gilt es zu unterscheiden: es handelte sich um Europawahlen, keine nationalen Wahlen. Dennoch beanspruchte er den Erfolg für sich, was ihm damals von den Medien vorgeworfen wurde. Dasselbe passiert heute mit dem M5S.  Die Bürger setzten klare Signale, wichtig ist nun, diese auf das richtige zu beziehen und darauf zu achten, dass die Ausrufezeichen der Gesellschaft von Politikern nicht umgedeutet und zum Wahlkampf missbraucht werden.

Außerdem, man kann keine Äpfel mit Birnen vergleichen. Wenn nun Großbritannien die Birne ist, dann war Europa von Anfang an ein Apfelkuchen, Italien der Pink Lady oben drauf, gemeinsam mit den anderen 5 Gründerstaaten. Der Kuchen wurde ursprünglich für jene Länder gebacken, welche als wirtschaftliche Verlierer aus dem 2. Weltkrieg herausgingen: Deutschland, Italien und die BENELUX-Staaten. Auch für Frankreich zahlte sich die damals noch Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) aus, da ein Großteil des Krieges auf seinem Boden stattgefunden hatte und das Land somit wirtschaftlich am Boden lag. Die Einzigen, welche nicht vom gemeinsamen Wirtschaftsraum profitierten waren die Briten. Wohl auch deshalb, weil sie erst später beitraten, als sie merkten, wie unrentabel ihr eigener Wirtschaftsraum dem europäischen gegenüber ist. Und so war der Beitritt in den 70er Jahren des bis vor kurzem zweitgrößten Nettozahlers der EU ein reiner Zwecks-akt. Diese negativen Assoziationen sind heute noch fest in den Köpfen der Briten verankert. Anders in Italien. Welches der Nachkriegskinder hat auch schon das „Wirtschaftswunder“  vergessen, das kurz nach den römischen Verträgen 1958 in Italien eintrat? Aber nicht nur wirtschaftlich wird bei uns die Idee der Europäischen Union positiv konnotiert, sondern auch politisch und kulturell sitzt die Idee eines geeinten Europas bei uns viel tiefer. Wir waren von Anfang an dabei. Außerdem sitzen wir am Festland und sind dadurch allein geografisch Europa näher als Großbritannien. Und schließlich profitieren wir statistisch gesehen stärker vom Schengen Raum. Laut dem europäischen Statistikamt Eurostat ist Italien nach Rumänien und Polen das 3. Land, dessen Bürger am häufigsten die Staatsbürgerschaft eines anderen EU-Mitglieds beantragen, während sich Großbritannien nur auf Platz 10 befindet.

Zu guter Letzt zeigt die Empörungswelle über den Brexit, die unter anderem auch durch Italien gerollt ist,  dass wir eigentlich keinen EU Austritt wollen, da ändert der innenpolitische Aufschwung einer europaskeptischen Partei auch nichts daran. Und wo wir schon von Europaskepsis sprechen. Dieser Ausdruck hat viele Gesichter.  Wie der Abgeordnete der 5 Sterne Bewegung Luigi Di Maio in einem Interview äußerte, ist der M5S nicht für einen Austritt, sondern strebt bloß Reformen der EU an, und dass die dringend nötig sind, ist mittlerweile wohl allen 28 Mitgliedern...ehm falsch, de facto eigentlich nur mehr 27 Mitgliedern, klar.

Sollte es nun entgegen aller Argumente doch zu einem Italexit kommen, dürfte wenigstens Südtirol zu den Profiteuren gehören. Denn etwas Gutes hätte ein Austritt Italiens, mit Blick auf den Vorreiter Schottland, für unsere kleine Provinz. Es wäre wohl die historische Chance für Klotz und Co. endlich die langersehnte Unabhängigkeit für Südtirol zu erlangen. Fraglich wäre es dann natürlich, wie lange es ab da noch dauern würde, bis aus „Südtirol ist nicht Italien“ „Südtirol ist nicht Europa“ werden würde. Aber das ist eine andere Geschichte, die über den Südtirolexit.

 

 

 

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Bernhard Oberrauch Sa., 09.07.2016 - 09:48

Schade, dass die Briten nicht verstanden haben, dass die größte Finanzquelle vor ihrer Haustür steht: über die Finanztransaktionssteuer der bisher weitgehend unversteuerten Einkünfte bei der Londoner Börse könnten sie vieles finanzieren, nicht nur ihr Gesundheitswesen; siehe auch http://www.salto.bz/article/25062016/eu-kommt-ohne-briten-besser-voran .
Ihr Austritt scheint mir ein für sie selbst sinnloser Schritt zu sein, der sie vor den eigentlichen Herausforderungen ablenkt. Schade.

Sa., 09.07.2016 - 09:48 Permalink