Politik | SVP-Verfassungsreform

„Ein historischer Fehler“

Altsenator Oskar Peterlini über seine Kritik an der Verfassungsreform, warum die SVP nie dafür sein kann und was die SVP-Parlamentarier alles falsch gemacht haben.

Salto.bz: Herr Peterlini, sind Sie der Startläufer beim Angriff auf Landeshauptmann Arno Kompatscher?

Oskar Peterlini: Nein, absolut nicht. Ich habe mich zu einigen Punkten kritisch geäußert und werde es auch in Zukunft tun, weil ich glaube, dass es Bürgerpflicht ist, auch Fehlentwicklungen aufzuzeigen, vor allem, wenn man eine große politische Erfahrung hat. Es war und ist kein persönlicher Angriff, sondern eine sachliche Diskussion zu einem großen Thema, welches auf alle Bürgerinnen und Bürger demnächst zukommt: Das Verfassungsreferendum, bei dem kaum jemand weiß, um was es wirklich geht.

Erklären Sie es uns?

Es geht ja bei der Verfassungsreform um eine völlig neue Ausrichtung und Organisation des Staates. Bisher versuchte man Italien auf einen moderneren föderalistischen Weg zu bringen, vor allem mit der Verfassungsreform von 2001, und jetzt hat Renzi den totalen Rückgang eingelegt und die Reform geht in die gegenteilige Richtung. Zentralisierung, möglichst viel Macht nach Rom, Aushöhlung der Zuständigkeiten der Regionen, viele Kompetenzen gehen zum Staat zurück und als i-Tüpftchen drüber gibt’s noch eine sogenannte „clausola di supremazia“. Wenn das nationale Interesse oder die wirtschaftliche oder juridische Einigkeit auf dem Spiel steht, kann der Staat eingreifen. Beides sind gefährliche Gummiparagraphen, weil man sie so oder anders auslegen kann und der Regierung ein mächtiges Instrument in die Hand gibt.

Sie krtisieren offen Kompatschers positive Haltung zum Verfassungsreferendum, der dieses Thema in seiner Rede auf Sigmundskron angesprochen hat.

Ja. Es war ein feierlicher Rahmen und ich habe es total unpassend gefunden, bei einer so feierlichen Gelegenheit, noch dazu in Erinnerung eines Gründungssteines der Autonomie plötzlich herzugehen und ohne eine Diskussion zu ermöglichen eine Verfassungsreform zu lancieren, bei der namhafte Verfassungsrechtler und Politiker bereits in den Zeitungen gewarnt haben, wie gefährlich sie ist. Dieses Referendum wird nicht die Südtiroler Autonomie ausbauen, sondern es wird, wie ich befürchte, das Gegenteil geschehen. Die Parlamentarier haben ja trotz der Warnungen sechsmal der Verfassungsreform zugestimmt.

 „Die Parlamentarier haben ja trotz der Warnungen sechsmal der Verfassungsreform zugestimmt.“

Warum wurden diese „Warnungen“ von den Parlamentariern nicht ersnt genommen?

Die Parlamentarier wollen einen freundschaftlichen Weg zur Regierung eingeschlagen. Was mich persönlich nicht weiter stört. Sie fühlen sich damit verpflichtet Renzi bei einer Verfassungsreform zu unterstützen, die alle Macht nach Rom bringt und für Südtirol sehr gefährlich ist.

Es gibt aber doch eine sogenannte „Schutzklausel“...

Natürlich sagen die Befürworter , wir haben eine Schutzklausel herausgeholt. Das ist aber leider ein euphemistischer Ausdruck, eine optimistische Bezeichnung. Denn wir haben eine ganz vage Übergangsbestimmung, die kein Vetorecht seitens der Landtage vorsieht. Stattdessen darf das Parlament, wenn keine Einigung erzielt wird, drüberhinwegsteigen. Das Verfassungsrecht unterscheidet ja zwischen einer „intesa forte“ und einer „intesa debole“, hier ist eindeutig eine „intesa debole“ herausgekommen.

 Sie sagen die SVP kann dieser Reform niemals zustimmen?

Generell kann eine Minderheit oder eine Autonomie doch niemals einer Zentralisierung zustimmen. Wir würden den Ast absägen auf dem wir sitzen. Auch in der Vergangenheit konnte man beobachten, dass der Status Südtirols immer davon abhängig war, wie zentralistisch Rom war. Moderner und föderaler wurde es dann erst mit der Reform im Jahre 2001. Natürlich ist es so, dass uns derzeit viele Politiker freundlich gesinnt sind. Aber: Politiker kommen und gehen, eine Verfassung bleibt.

„Wir würdenden Ast absägen auf dem wir sitzen.“

Durch die Reform wird der Senat deutlich verkleinert. Damit spart man viel Geld?

Nein. Wir haben in der letzten Legislaturperiode beim Verfassungsausschuss, dem ich angehört habe vorgeschlagen, beide Parlamentskammern um die Hälfte zu kürzen. Dies wäre ein radikaler Schnitt gewesen. Geeinigt hat man sich dann auf 60 Prozent. Man wollte diese Kürzung aus Rücksicht auf die eigenen Abgeordneten nicht durchziehen wollte. Das wäre eine echte Einsparung gewesen.

Sie sehen einen neuen römischen Zentralismus heraufdämmern?

Italien hat gar keine Erfahrung im Föderalismus. Dies hat sich in der gesamten Geschichte durchgezogen. Bei der Einigung waren die großen Denker ja dafür, dass sich die Regionen zusammenschließen. Garibaldi und die militärische Macht vom Königreich Sardinien ist rübergefahren und hat dann aber einfach annektiert. Italien weiß nicht, dass Föderalismus das viel bessere Konzept zur wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes ist, als der Zentralismus. Länder wie Deutschland beweisen das.

Die SVP-Parlamentarier haben in Rom für die Reform gestimmt. Die SVP wird in Bozen deshalb wohl kaum dagegen sein können?

Das ist und bleibt ein Widerspruch. Denn sie haben für das Referendum gestimmt, obwohl ganz klar ist, das hier Südtirols Autonomie in Gefahr ist. Es ist und bleibt deshalb ein historischer Fehler. Man darf als Autonomist nicht für die Zentralisierung eines Staates stimmen. Früher sind die Südtiroler, beispielsweise beim Acerbo-Gesetz, aus dem Saal gegangen und dann haben wir die Folgen gesehen, ohne jetzt Schwarzmalen zu wollen.

„Es ist und bleibt deshalb ein historischer Fehler. Man darf als Autonomist nicht für die Zentralisierung eines Staates stimmen.“

Kann man diesen historischen Fehler korrigieren?

Natürlich ist man jetzt in Rom gebunden. Der Abgeordnete Bressa hat mir am Montag auf die Schulter geklopft und gesagt „Ma no, poi ti spiego...“ und so weiter. Angenommen aber nicht zugegeben, das diese Schutzklausel für Südtirol gelten würde, würden wir uns aber in einen totalen Fremdkörper in einem zentralistischen Staat verwandeln. Um den Fehler dann zu korrigieren, muss man das Volk zuerst aufklären. Es besteht auch der Verdacht, dass die Regierung in Rom genau auf diese Unwissenheit spekuliert. PD-Wähler kriegen zurzeit beispielsweise offenbar als Einzige Rundschreiben zum Thema Verfassungsreform. Wenn Südtirol dagegen stimmt, setzen wir zumindest ein Zeichen und merzen diesen historischen Fehler aus, den die Parlamentarier in Rom gemacht haben.

„Wenn Südtirol dagegen stimmt, setzen wir zumindest ein Zeichen und merzen diesen historischen Fehler aus, den die Parlamentarier in Rom gemacht haben.“