Gesellschaft | Salto-Gespräch
„Einfachheit ist der wahre Luxus“
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Salto.bz: Herr Hintner, gibt es Spitzenköche, die keine Egomanen sind?
Herbert Hintner: Nein, das sind alles Egomanen.
Warum muss man hinterm Herd Egomane sein?
Weil man sich von der Masse trennen muss, um anders zu kochen. Zudem muss ein Koch versuchen eine Charakterküche zu machen. Denn sonst bist du zu normal. Der Gast fährt 100 Kilometer oder weiter zu dir her um zu Essen. Deshalb muss ich egoistisch sein und von mir sehr überzeugt. Denn sonst bin ich nicht gut.
Und ein Koch muss in der Küche „znicht“, das heißt böse sein?
Ja, im Volksmund würde man sagen „znicht“. Aber wenn man in diesem Kontext drinnen ist, dann nennt man das Kommandosprache. Wenn draußen 60 Leute auf höchstem Niveau bekocht werden müssen, dann geht es halt nicht, dass alle reden. Da darf nur einer reden. Es gibt einen, der das Timing vorgibt. Das ist meistens der Koch. Er will seine Küche präsentieren und verkaufen. Deshalb kommandiert er. Er sagt ich will diesen Blumenkohl gebraten und nicht gekocht. Und das sagt man in einem bestimmten Ton, der für einen Laien bereits sehr arrogant und teilweise auch böse klingt.
Die neue Mode ist es einen Tisch in der Küche zu haben, wo man den Köchen zuschauen kann. Das Problem dabei: Die Gäste sagen dann. Der ist aber gemein zu seinen Mitarbeitern?
Ja, das stimmt. Wenn man einen Tisch in der Küche hat, so wie ich das habe, dann bekommt man das natürlich live mit. Da wird kein Blatt vor dem Mund genommen. Wir arbeiten gleich wie immer. Da wird nicht gesagt, heute sind wir anders, weil Gäste zuschauen. Nein, für uns ist es normaler Alltag. Deshalb fallen manchmal auch harte Worte, wie „Verschinde“ oder auch Schimpfwörter....
Sie schimpfen in der Küche?
Natürlich. Wenn die Mitarbeiter etwas machen, was nicht schön ist. Ich muss ja alles wegwerfen. Die Beilagen sind nicht schön, das Fleisch ist durchgebraten oder umgekehrt. Das sind Situationen wo man Stress hat und wo man aufpassen muss, dass man keinen Fehler macht. Vor allem darf man nicht schwach werden und sagen: Ach, ich schicke das einfach trotzdem hinaus zum Gast, weil der merkt eh nichts. Nein, man muss sagen: Alles weg und der gesamte Tisch wird neu gekocht.
„Deshalb muss ich egoistisch sein und von mir sehr überzeugt. Denn sonst bin ich nicht gut.“
Was waren Ihre peinlichsten Fehler?
(lacht) Also eines werde ich nie vergesse. Da war ich so zornig. Ich habe in Valdobbiadene für eine Event kochen müssen. Es waren mehrere Köche engagiert und ich war für das Dessert zuständig. Da habe ich ein Holundblütensüppchen mit Waldbeeren und Sauerrahmeis gemacht. Wohlwissend, dass Sauerrahmeis eine sehr delikate Speise ist, habe ich sie hier in der Küche gemacht. Dann das Ganze auf Minus 40 Grad geschockt, damit es ja alles hält. Doch dann hat sich der ganze Abend unheimlich lange hingezogen. Das Dessert war eigentlich für 21.30 Uhr geplant, serviert wurde es aber erst um Mitternacht. Das Eis ist zerronnen und das Ganze war nur mehr eine Suppe. Ich war so stinksauer und habe mich dann, bei den Gästen entschuldigt. Der Organisator hat dann gleich unterbrochen und gesagt, ich soll still sein. Das ist typisch. Probleme löst man indem man sie nicht erwähnt. Das ist eine Geschichte, die ich nie mehr vergessen werde.
Verkalkulieren Sich Köche mit der Menge?
Natürlich, passiert das. Einmal bei der gastlichen Tafel in den Gassen von St. Pauls hatten wir Ravioli mit Amatriciana gefüllt und einer Petersiliebutter. Ich schrei hinein zu den Buben, wie viele haben wir noch. Die Antwort: Zwei Blecher. Und ich sehe, dass da noch mindesten 30 leere Teller stehen. Das sind Situationen, wo man es mit der Gesundheit zu tun bekommt. Da bekommt man einen Adrenalinstoß, der über die Wirbelsäule hinuntersaust. Ich wusste genau, dass wir nie genug haben. Das heißt: Wir sind mit sechs Ravioli am Teller gestartet, reduzieren auf vier und am Ende sind es nur mehr zwei. Das sind Dinge, die einfach nicht passieren dürfen.
Was ist für einen Spitzenkoch heute wichtiger: Gut Kochen oder sich gut verkaufen zu können?
Ich antworte mit einem Zitat von Paul Bocuse, einem der besten Köche der Welt. Eine Journalistin hat ihn gefragt, wieso er ständig in den Medien präsent ist, wenn er so gut kocht und sein Haus immer voll ist. Bocuse hat geantwortet: „Wissen Sie jeden Tag zu Mittag läuten die Glocken und die ganze Welt weiß, dass es Gott gibt“. Damit ist die Antwort gegeben. Man muss sich immer wieder neu in Szene setzen. Du kannst nicht hergehen und sagen: Ich habe ein tolles Teller und das hält mir jetzt meine ganze Karriere. Nein, du musst dich immer wieder in Szene setzen: Mit deinen Gerichten, in der Ausbildung, indem du dich zu Wort meldest. Diese ganzen Bewertungen und diese Rankings haben Köche längst zu öffentlichen Personen gemacht.
Es gibt aber viele Spitzenköche, die schon lange nicht mehr selbst kochen?
Das ist eine Entscheidung. Wenn heute ein Carlo Cracco, ein Antonino Cannavacciuolo oder wie sie alle heißen, die teils noch kochen, teils nimmer kochen. Das ist ein Sache, die muss man sehr gut abstecken. Wir Köche haben vor 15, 20 Jahren einen ganz großen Fehler gemacht. Die Fernsehanstalten haben verschiedene Türen. Da gibt es die Tür des Sportes, der Politik, der Chronik, der Kultur und der Show. Wir aber sind bei der Showtür hineingegangen und nicht bei der Kultur. Und das spüren wir jetzt. Die Kochsendungen sind fast nur Show und wenig Kultur. Das ist Boulevard und geht leider völlig an der guten Esskultur vorbei.
Ein Koch, der nicht mehr kocht, ist doch kein Koch?
Ein Koch, der nicht mehr kocht, braucht ein ganz gutes finanzielles Polster, um gute Leute anzustellen, die für ihn produzieren. Dann kann er das machen. Kochen ist ein Handwerk und wenn man heute Knödel nicht alle Monate ein- oder zweimal rollt, dann verliert man auch die Manualität, die Handfertigkeit. Auch ein alter Koch wie ich. Man verliert das Handwerk, denn das Wort sagt, dass man es immer wieder tut. Deswegen ist es unheimlich wichtig, dass man immer wieder selbst zur Pfanne greift und sagt: Jetzt will ich es wissen.
„Wir Köche haben vor 15, 20 Jahren einen ganz großen Fehler gemacht. Wir sind bei den Fernsehanstalten durch die Showtür hineingegangen und nicht bei der Kultur.“
Sie habe diese Woche zwei Nächte nicht geschlafen, weil am Dienstag die Michelin-Sterne vergeben wurden?
(lacht) Nein, ich habe gut geschlafen. Das ist jedes Jahr dasselbe. Seit 22 Jahren. Schauen Sie, man hat diesen Weg gewählt. Das Ganze ist eine Einbahnstraße. Es gibt keinen Weg zurück. Wobei das Spiel bis zu 3 geht. Natürlich will man mehr. Zu sagen, jetzt habe ich einen Stern und das ist genug, das ist blödes Gerede. Jeder will drei Sterne. Die Frage ist nur, ob man es schafft oder nicht. Am Ende sind es viele Faktoren, die darüber entscheiden. Jedes Jahr im November wird es eben spannend...
Haben Sie keine Angst Ihren Michelin-Stern zu verlieren?
Natürlich habe ich das. Es würde mir wirklich weh tun, wenn ich herabgesetzt werde. Wobei ich weiß, dass es eines Tages passiert wird. Ich bin jetzt 60 Jahre alt und das Leben hat einen bestimmten Rhythmus. Man hat eine Lehrzeit, eine Aufbauzeit, eine Reifezeit und irgendwann einen Abgang. Das kommt auf uns alle zu. Nur muss man sich im Kopf darauf vorbereiten, sonst wird es schwierig. Mir ist bewusst, dass meine Sache zu Ende geht. Ob der Sohn den Stern übernehmen wird können, das wird sich später entscheiden.
Was bedeutet ein solcher Stern fürs Geschäft?
Ich habe den Stern 1995 bekommen. Ich habe damals mit dem Stern 30 Prozent mehr Umsatz gemacht. Ob das aber auch heute noch der Fall ist, da habe ich meine Zweifel. Damals haben ich zwei ganze Zeitungsseiten bekommen. Heute ist das anders. Du erscheinst in einem Ranking und wen du Glück hast bekommst du noch ein Foto in Briefmarkengröße. Wobei man eines sagen muss: Der Michelin-Stern bringt zwar mehr Umsatz, aber erfordert gleichzeitig größere Investitionen. Besseres Geschirr, schönere Gläser, einen größeren Weinkeller und Aufstockung des Personals. Man kommt damit an die Grenzen der Wirtschaftlichkeit. Genau an diesem Punkt dann scheiden sich die Geister. Denn es gibt viele Starköche, die sehr gut sind. Bei denen die Wirtschaftlichkeit aber zweitrangig ist. Genau das kann ich mir aber nicht leisten.
Das sagen damit, dass ein Großteil der Spitzengastronomie auch in Südtirol ist defizitär ist?
Ja, sicher. Ich kann eine Spitzenküche zum Beispiel mit einer Saison von sieben Monaten ganz sicher nicht finanzieren. Das ist nicht machbar. Deshalb gibt es inzwischen eine klare Tendenz, dass die gehobene Hotellerie sich Sternerestaurants leistet. Damit kann man sehr gut Marketing machen. Aber in Wirklichkeit finanzieren die Betten das Spitzenrestaurant. Auch deshalb wird die Spitzenküche immer Hotel lastiger.
In Südtirol gibt es rund ein Dutzend Spitzenköche, die mehr verdienen als der Landeshauptmann. Ist das nicht pervers?
Für mich geht jedes Gehalt gut, wenn der Mensch eine entsprechende Leistung bringt. Wenn ein Koch 150.000 Euro im Jahr verdient und er bringt die Leistung, dann ist das für mich als Gast in Ordnung. Als Unternehmer kann ich mir diese Summen aber nicht leisten. Einen Koch, der 80.000 oder 100.000 Euro verdient, kann ich nicht zahlen. Deshalb sind die kleinen, gesunden Betriebe meistens auch Familienbetriebe, wo die Ehepartner zusammen sehr viele Stunden arbeiten. Am Ende steht vielleicht ein Gewinn. Manchmal ist er größer und manchmal kleiner. Manchmal ist es zum Jammern und manchmal ist es zum Freuen. Aber diese Branche, die reine Restauration ist derzeit sehr krank.
„Es würde mir wirklich weh tun, wenn ich herabgesetzt werde. Wobei ich weiß, dass es eines Tages passiert wird.“
Sie sitzen seit vielen Jahren auch im Landesausschuss des HGV. Was ist der größte Fehler im Südtiroler Tourismus?
Wir haben zu oft das Gefühl, dass wir einfach gut sind. Wir haben ein schönes Land aber wir müssen noch viel tun, damit wir besser werden. Und vor allem dass wir unterschiedlicher werden. Es gibt in allem eine sehr große Gleichschaltung. Das ist in der Gastronomie so, aber auch in der Hotelarchitektur. Jetzt bekommen wir nur mehr Kuben. Alles minimalistisch und Zimmer, die austauschbar sind. Hier verlieren wir als Alpenregion sehr, sehr viel.
Was ist gegen moderne Architektur einzuwenden?
Überhaupt nichts. Wenn Sie durchdacht ist. Aber ich war jetzt auf der Hotelmesse und komme bei einem Stand eines Architekten vorbei, der seine Hotelbauten ausstellt, die ausgezeichnet wurden. Alles viereckig und Kubus. Ich habe ihn dann gefragt, warum bauen alle so? Was steht dahinter? Seine Antwort: Die Kubatur. Das Gesetz sagt der Giebel ist Kubatur, die der Hotelier aber nicht nutzen kann. Deshalb baut man Flachdächer, um möglichst viele Zimmer herauszubekommen. Bald schaut es deshalb bei uns aus, wie in Ägypten oder Israel. Hier stimmt einiges nicht.
Was stimmt an der Südtiroler Küche nicht?
Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zuviel Bauernschlauheit verkaufen. Es gibt viele Betriebe, die nur schlau, aber von der Qualität weit entfernt sind. Wir müssen auch mit der Regionalität aufpassen. Wir haben viele gute Produkte. Aber vieles ist auch noch nicht gut und muss noch viel besser werden...
Gerade Sie halten in ihrer Küche aber die Fahne der regionalen Produkte hoch?
Ich sage das, weil alle auf diesen Trend aufhüpfen. Wir verkaufen inzwischen so viel heimisches Rind- oder Schweinefleisch, wie wir nie produzieren können. Hier müssen wir sehr vorsichtig sein. Denn Regionalität und Banalität liegen sehr nah beieinander. Auch in der Sterne-Restauration. Wenn ich für ein Degustationsmenü über 100 Euro zahlen muss, dann will ich nicht eine Forelle als Fisch. Der internationale Gast erwartet sich etwas anderes. Man muss deshalb aufpassen, dass regional nicht banal wird.
„Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zuviel Bauernschlauheit verkaufen. Es gibt viele Betriebe, die nur schlau, aber von der Qualität weit entfernt sind.“
Was stößt Ihnen in der Südtiroler Gastronomie noch sauer auf?
Wir haben immer noch ein ganz großes Problem mit den Geschmacksverstärkern. Wir haben überall noch die industrielle Würzung drinnen. Was ein absoluter Widersinn zur Regionalität ist. Da schreit kein Mensch auf. Wenn ich heute ein regionales Produkt kaufe und es dann mit dem Industriegewürz würze, dann wird ein globales Produkt daraus. Da kannst du nehmen, was du willst. Hier verwechselt man traditionelle Küche mit regionaler Küche. Traditionell heißt: Ich nehme ein Gericht und koche es nach unserer Art. Sozusagen alpin. Aber wenn ich regional sage, dann muss es ein Gericht sein, dass wirklich von hier stammt. Meines Erachtens wird hier sehr viel Schindluder getrieben.
Wie belastend ist die Arbeit als Koch?
Es ist ein merkwürdiges Phänomen. Als Koch kommst du in eine besondere Situation. Du bereitest etwas zu und berührst mit deiner Arbeit im Grunde genommen jeden Gast ohne dabei bei ihm anzugehen. Durch Optik, durch Wärme, durch Kälte, durch Textur und Geschmack. Ohne Berührung erzeugst du Emotionen. Dann stellt sich die Frage, kommt das an oder nicht? Kann ich mir das leisten oder nicht? Dazu kommt, das man Fehler macht und auch mal einen Scheißtag hast. Da muss man durch. Das Beste am Kochen ist die Tatsache, dass ich jeden Tag die Chance habe, noch besser zu werden.
Sie haben diese Hoffnung noch?
Ja, die habe ich immer noch. Wobei man als Koch ganz besonders auf sich aufpassen muss. Man muss sich pflegen. Man muss so wie man sich das Gesicht wäscht, sich auch psychisch Waschen. Man muss die Dinge analysieren und dann ablegen. Es geht nicht, dass man die Probleme vor sich herschiebt oder im Rucksack herumträgt. Man muss sich freischwimmen und abschalten können. Nur so schafft man es.
Viele Spitzenköche sind entweder Alkoholiker oder Kokser.
Der Alkohol ist natürlich eine große Gefahr für uns. Da hat es viele geschleudert. Wenn ich heute während des Service ein Glas Champagner oder ein Bier trinke, dann wird das unheimlich schnell zur Gewohnheit. Dadurch tritt eine gewisse Beruhigung ein. Nur tritt gleichzeitig auch die Sucht ein und damit wird es schwierig. Auch Drogen ist ein sehr verbreitetes Thema. Vor allem unter der Jugend. Ich unterrichte zum Beispiel in Parma und Sie wissen nicht wie viele junge Köche einen Joint rauchen und glauben, jetzt werde sie besonders kreativ. In Wirklichkeit ist das ein Trugschluss ohne Ende. Jede Sucht muss ein Tabu sein, für jemand der gerne kocht.
„Der Koch-Beruf ist nichts anderes als eine gelebte Leidenschaft.“
Braucht es Leidenschaft?
Absolut. Der Koch-Beruf ist nichts anderes als eine gelebte Leidenschaft. Man kann nur darin zerfließen, wenn man wirklich gerne Leute bekocht. Wenn man das mit einem Groll macht und nur mehr das Geschäft sieht, dann kannst du es vergessen. Es muss einfach eine Gaudi sein, in der Pfanne drinnen herum zu rühren und jemand etwas zu geben und zu denken, das ist heute toll gelungen. Ohne Leidenschaft hast du als Koch keine Lebensqualität.
Kreativität?
Die Kreativität ist der Treibstoff für die Seele. Die Kreativität hat dabei ganz eigene Rhythmen. Im Grunde genommen ist jeder Mensch kreativ, nur muss jeder wissen, wann seine Zeit ist. Das ist ganz wichtig. Meine Zeit ist in der Früh unter der Dusche. Das Ganze ist dann ein Prozess. Mit fällt zum Beispiel eine Praline mit Spinat ein, dann habe ich zwar die Idee aber noch nicht das Konzept. Bildlich kann ich mir vorstellen, dass es schön grün und rund ist. Eine schöne Soße dabei. Aber ich weiß noch nicht ob die Technik greift...
Sehen Sie Bilder oder riechen Sie es?
Das geht bei uns parallel. Sofort. Das ist unser Job. Wenn ich Spinat denke, kommt sofort das Chlorophyll, wenn ich Käse denke, dann kommen die Milchkomponenten. Das ist einfach da. Das muss ich nicht abrufen. Abrufen muss ich erst dann, wenn ich Nüsse dazu tue. Dann muss ich den Geschmack erst analysieren. Oder Lakritze. Lakritze habe ich schon ein halbes Jahr nicht mehr gebraucht. Dann muss ich sie vielleicht auch kaufen und sie mir im Mund zergehen lassen, um den Geschmack zu analysieren. Wobei man das Produkt immer roh und gekocht probieren muss.
Entstehen Gerichte durch Zufall?
Ja. Das ist spontane Kreativität. Nach einem langen Arbeitsleben, so wie ich es habe, kann man sehr viel abrufen. Das geht sehr schnell. Das sind Geistesblitze. Da heißt es, draußen sitzt der Franceschini und er hat das letzte Mal das gehabt, deshalb muss ich ihm etwas anderes geben. Dann kann es passieren, dass der Blitz kommt ohne dass du ihn bestellst. Und du machst das dann einfach.
Eine der Ingredienzien, die die Köche am meisten verwenden, ist der Neid untereinander?
Der Neid ist sicher ein Thema. Er ist immer sehr versteckt, man lacht sich immer schön ins Gesicht und danach sagt man, du C....... Es gibt schon Gleichgesinnte mit denen man gut auskommt. Aber im Kern ist immer Neid dabei. Wenn der gute Freund oder die gute Freundin einen Riesenartikel in der Frankfurter Allgemeinen bekommt, dann „pofft“ man schon. Alles andere wäre gelogen.
Wie viel der Berichterstattung über Köche und Restaurants ist gekauft?
Hier gibt es viele Methoden, die sehr versteckt ablaufen. Ein Carlo Cracco bekommt ein großes Interview im „Giornale“ oder im „Corriere della Sera“ und vier Wochen später ist zufällig eine Werbung in der Zeitung für jenes Produkt, das er im Interview erwähnt hat. Das nennt man dann nobel Product Placement. Wenn man im Pasta- oder Tomatenbereich groß Werbung macht, da läuft das meistens so ab.
Warum lassen Sie sich nicht von Barilla sponsern?
Erstens fragen die sicher nicht mich. Mein medialer Auftritt ist viel zu bescheiden. Aber zweitens und das ist viel wichtiger: Muss das was du bewirbst, authentisch zu deiner Küche sein. Was ich nicht verstehe, wie zum Beispiel Carlo Cracco für Chips Werbung machen kann. Aber das Geld stinkt halt bekanntlich nicht.
Ihr persönlicher Reibbaum unter den Köchen heißt Norbert Niederkofler.
(lacht) Jetzt muss ich aufpassen, was ich sage. Der Norbert ist nach Südtirol gekommen, als ich meinen Stern schon hatte. Er hat dann schnell auch den Stern bekommen. Dann gab es eine zeitlang die Rangglerei, wer ist die Nummer 1. Norbert oder Hörbert? Er hatte dann irgendwann die Nase vorne. Aber ich wusste, dass ich diesen Wettstreit nicht gewinne kann. Norbert hat ganz andere finanzielle Mittel. Und er ist vor allem ein ausgezeichneter Netzwerker.
Ist der Gast gebildet oder ein Banause?
Nein, er ist kein Banause. Der Gast hat sehr viel Information, aber leider kein Wissen mehr. Das ist ein großes Problem. Der Gast wird durch die Fernsehshows zu irgend etwas hingetrieben. Aber auskennen tut er sich nicht. Hier tut man sich dann sehr hart als Koch. Die Leute vertragen dann keine Kontraste im Teller, sie wollen den Geschmacksverstärker, der alles ausgleicht. Ein anderes Thema: Die Leute wollen nicht mehr warten. Es muss alles schnell gehen. Die meinen man tippt ins Handy ein und dann ist das Gericht schon da.
„Der Gast hat sehr viel Information, aber leider kein Wissen mehr.“
Kochen Sie sich selber?
Meistens kocht privat meine Frau. Ich koche nur zu Weihnachten. Aber ich esse eigentlich alles. Was ich nicht mag, sind Austern. Das ist nicht meine Welt. Am liebsten koche ich mir selbst: Nudel, Rosmarin und Käse. Das ist einfach und gut.
Wenn ich fünf Spitzenköche eine Pasta al pomodoro machen lasse. Merkt man den Unterschied?
Da gibt es ganz, große Unterschiede. Die Tomate ist ein Produkt, wo die Balance zwischen Säure und Süße sehr schwer einschätzbar ist. Und man muss genau die Balance finden, dass genau dann, wenn die Pasta fertig ist, auch die Soße fertig ist. Denn sonst ist sie zu süß oder zu sauer. Wenn man zehn Sterneköche nimmt, bekommst du zehn verschiedene Teller. Ganz sicher. Total anders.
In der Einfachheit....
Ja. In der Einfachheit liegt der wahre Luxus. Das sehe ich immer wieder. Wenn man den Menschen etwas Einfaches geben kann, was sie verstehen, dann sind sie happy. Deshalb ist Einfachheit der wahre Luxus.
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Einen ehrlicheren Menschen
Einen ehrlicheren Menschen als Herbert Hintner habe ich noch nie kennen gelernt. Alleine dafür danke Herbert. Und du wirst in der Südtiroler Gastronomie, die dringenst nachhaltiger werden muss (und ich sage bewusst nicht regionaler), mehr denn je gebraucht!!!
Antwort auf Einen ehrlicheren Menschen von Klaus Egger
Nicht nur ehrlich, sondern er
Nicht nur ehrlich, sondern er scheint auch noch halbwegs normal geblieben, d.h. man kann unverstellt und offen reden.
Und nicht zu vergessen:
Und nicht zu vergessen: Herbert Hintner ist ein Gsieser!