Gesellschaft | Konsumismus?

Die Händler, die Frauen, und der Advent

Seit Jahren schon erhitzen verkaufsoffene Sonntage die Gemüter mancher Menschen, im Advent ein bisschen mehr als sonst. Diese (Schein-)Debatte führt aber am Ziel vorbei.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
verkaufsoffener_sonntag.jpg
Foto: News.de

Es ist jetzt schon ein bisschen länger her, da freuten sich in einem Gespräch, das ich zufällig mithörte, zwei darüber, dass eine gewisse Handelskette sogar an den Sonntagen der Vorweihnachtszeit ihre Pforten geschlossen hält, der Mitarbeiterinnen wegen, und ihrer Familien. Es ist ja übrigens eh recht ruhig geworden, um jene elende „Debatte“ zu verkaufsoffenen Sonntagen (hier, falls es interessieren sollte, ein schönes Pro & Contra zum Thema, bei ZON). Ich will aber trotzdem einmal diese Gelegenheit aufgreifen, um meinen Ärger an die Luft zu lassen, über diese Diskussion, die alle Jahre wieder an den Haaren herbei gezogen wird, sobald die Vorweihnachtszeit am Horizont der allgemeinen Menschheit herauf dämmert. Ich finde sie ein bisschen peinlich, weil aus der Zeit gefallen, und scheinheilig sowieso.

Denn mir hat, zum Beispiel, noch niemand erklären können, warum für Mitarbeiterinnen des Handels andere Normen gelten sollten als für jene des, sagen wir mal, Gastgewerbes? Wo steht geschrieben, bitteschön, dass die launige Menschheit ein Anrecht hat auf den sonntäglichen Aperitiv/wahlweise Prosecco/wahlweise Kaffee/wahlweise Mittag-/Abendessen im Gasthaus? Eben. Aus dieser offensichtlichen Schieflage kurzschließe ich jetzt mal frisch und frei, dass vermutlich die, denen sonntäglich geschlossene Geschäfte am Herzen liegen, auch ein geschlossenes Weltbild mit sich herumtragen, nämlich eins, in dem Mutti am Sonntag zuerst die Familie auf den Gang zur Kirche bringt, und danach zurück in ihre Küche. Derweil Vati im Gasthaus die hohe Politik diskutiert (ja, ich überzeichne. Der einfacheren Verständigung wegen, und damit’s hier nicht gar zu lang wird). Und übrigens ist gerade das Gastgewerbe der Beweis: Es findet Leben und sogar Familie statt, auch ohne Familiensonntag.

Interessant auch, dass sich über die „verkaufsoffenen Sonntage“ hinaus niemand Gedanken zu machen scheint über die allgemeinen, also auch wochentäglichen, außeradventlichen Arbeitsverhältnisse der (weit überwiegend) Mitarbeiter*innen dieses (Groß-)Handels: Werden sie gut bezahlt? (Werden sie nicht). Müssen sie überdimensional viel Leistung packen, in ihre schlecht bezahlten Arbeitsstunden? (Müssen sie). Dürfen sie Kinder bekommen, ohne Angst um ihren Arbeitsplatz? (Dürfen sie nicht). Und so weiter und so fort.

Es werden also, mithilfe der „Rettet unsere Sonntage-Debatte“, die wahren Themen draußen gehalten, vor der Tür, wo sie niemandem lästig werden können. Zum Beispiel die Frage, ob es nicht gescheiter wäre, ernsthaft über ein Bedingungsloses Grundeinkommen nachzudenken, damit Mutti, wenn sie das wollte, gar nicht erst gezwungen wäre, für den Profit (*) irgendeines Handels- oder sonstigen Wirtschaftsriesen sich für schlechtes Geld ihre guten Hände aufzureiben, an Sonn- und anderen Tagen, statt mit der Familie Bücher zu lesen oder Seife zu kochen.

(*) Profit übrigens, der dann – auch interessant! - weitestgehend nach oben fließt (trickle up?), in die Unternehmen der Unternehmerkollegen, aber kaum je nach unten, zu den Mitarbeiter*innen hin. Ich habe jedenfalls noch niemanden gehört, der sich damit brüstet, dass er zwei Standard-Positionen mit, zum Beispiel, drei Mitarbeiter*innen besetzen konnte, weil der Laden so gut läuft, oder dass zwei völlig neue Stellen (er-)schaffen werden konnten, weil’s eh so viele Arbeitslose gibt. Oder dass, hey!, Flüchtlinge eingestellt und ausgebildet würden, nur so, und ohne besonderen Bedarf, weil’s sich halt ausgeht. Dafür wird alle paar Jahre die Hütte geschleift und neu erbaut, aber jedenfalls erweitert, erneuert, vervielfältigt. 

Ah ja, und dann wäre da noch, nicht zuletzt und nur für den Fall, dass es tatsächlich um Familie- und Familienleben gehen sollte, vielleicht auch eine Diskussion wertvoll, wie sie z. B. in Schweden seit einem Weilchen geführt wird und hin und wieder schon schöner (Arbeits-)Alltag ist – nämlich die, ob 6 Arbeitsstunden am Tag nicht auch genug sind: http://www.zeit.de/campus/2016/05/arbeiten-sechs-stunden-tag-test-schweden.

Was sind dagegen schon ein paar Sonntage (im Advent).