Gesellschaft | G20 Hamburg

“Die Polizeigewalt hat mich erschreckt”

Friedliche und gewaltsame Proteste, eskalierende Polizeigewalt – und das knatternde Geräusch des Helikopters werden Alexander Indra vom G20 Gipfel in Erinnerung bleiben.
"Diese Welt braucht Helden"
Foto: Alexander Indra

Vier Tage Hamburg hat Alexander Indra hinter sich. Derzeit lebt der Südtiroler Fotograf in Berlin, war aber während des G20 Gipfels vergangene Woche in der Hansestadt. Für Vice hat er eine Fotostory erstellt. Für salto.bz erinnert er sich an die Geschehnisse in Hamburg.

salto.bz: Herr Indra, Sie waren während des G20 Gipfels in Hamburg. Warum?
Alexander Indra: Ich war von Donnerstag bis Sonntag in Hamburg. Einerseits interessierten mich die verschiedensten Protestveranstaltungen gegen den Gipfel, andererseits wollte ich die Geschehnisse fotografisch festhalten.

Wo waren Sie untergebracht?
Ich habe mich im gut organisierten Camp im Altona-Volkspark einquartiert. Bis zum Tag der Anreise war es eigentlich nicht klar, ob das vom Gericht genehmigte Camp nicht von der Polizei gestürmt wird. Im Camp gab es ein Infozelt, einen SanitäterInnen-Bereich, eine Volksküche, Toiletten und Infostände. Die gute Organisation hat mich trotz der Repressalien erfreut.

Was mir von Hamburg in Erinnerung bleibt, sind vielfältige, starke und friedliche, sowie gewaltsame Protestaktionen, behelmte Hundertschaften, die um die Ecke stürmen, das Heulen der Sirenen und das knatternde Geräusch der Hubschrauber.

Wo waren Sie während des Gipfels unterwegs?
Am Freitag Morgen habe ich die Demonstrationszüge der “Colour the red zone” begleitet. Hierfür gab es an strategischen Orten mehrere Protestzüge, die von linken Gruppen organisiert waren. “Bunt, effektiv und kreativ” sollte somit die Zufahrtswege der G20-Teilnehmer blockiert werden.

Wie lief diese Protestveranstaltung ab?
Jeder Demonstrationszug hatte eine eigene Farbe und die TeilnehmerInnen starteten in sogenannten “farbigen Fingern” entschlossen Richtung Innenstadt. Die Polizei versuchte den “grünen Finger” in einer Seitenstraße aufzuhalten. Mit Schlagstöcken und Pfefferspray gingen die Beamten auf die Spitze des Protestzugs los. Einige besonders aggressive Beamte mussten von den eigenen Kollegen zurückgehalten werden. Es gab erste Platzwunden und gebrochene Arme bei den DemonstrantInnen, die sich versucht hatten mit aufblasbaren Luftmatratzen zu schützen. Das eskalierende Verhalten der Polizei hat mich hier erschreckt. Das habe ich immer wieder in Hamburg beobachten können. Als die Demo kehrtmachte und versuchte eine andere Strecke zu nehmen, konnte ein Teil eine Polizeikette durchbrechen. Der andere Teil, unter anderem auch ich, wurde eingekesselt. Ein Wasserwerfer und PolizistInnen in Riot-gear machten ein Weiterkommen unmöglich. Nach einigen Verhandlungen konnten wir weiterziehen. In der Zwischenzeit hatten auch andere Protestzüge in der Innenstadt erfolgreich den Verkehr blockiert. Zwischenzeitlich war die US-Delegation und sogar Melania Trump sowie andere Delegierte, die in die Messehalle wollten, blockiert.
Die Polizei hat dann mehre Blockaden mit Wasserwerfern und Hundertschaften geräumt.

Dass es sich bei den abgefackelten Familienautos und zerstörten kleinen Läden um wenig sinnhafte Aktionen handelte, war sogar bei radikalen Linken aufzuschnappen.

Die Proteste gingen aber weiter…
Am Freitag Nachmittag startete eine weitere Demonstration mit Tausenden von TeilnehmerInnen vom Millerntor zur Landungsbrücke um die “Herrschenden” in der Elbphilharmonie zu stören. Viele Menschen konnten sich sogar bis einige hundert Meter nähern. Es gab an mehreren Ecken Sitzblockaden. Schon bald lag Tränengas in der Luft, Einsatztrupps der Polizei attackierten von mehren Seiten die Blockaden, Hubschrauber kreisten in der Luft. Unter den friedlichen TeilnehmerInnen waren auch militante Kleingruppen unterwegs, die mit Steinwürfen und Böllern antworteten. Es wurden erste kleinere Barrikaden errichtet.

Sie haben eingangs von “Repressalien” im Camp, in dem Sie sich aufhielten, gesprochen.
Unter den Vorwand, im legalisierten Camp, in dem ich übernachtet habe, könnte sich Gewalttäter verstecken, wurde das Camp am Samstag Morgen um 3 Uhr von der Polizei umstellt. Schon vorher kreiste der Hubschrauber im Tieflug die ganze Nacht über das Camp um die schlafenden Menschen zu zermürben. Um 3 und um 6 Uhr gab es dann einen Camp-Alarm, es wurde “Polizei, Polizei” geschrien. In wilder Aufregung war das ganzen Camp auf den Beinen. Man fürchtete einen gewaltsame Stürmung des Camps.

Wie haben Sie reagiert?
Ich muss sagen, es war das schlimmste Erwachen, das ich je hatte. Ein unruhiger, ängstlicher Schlaf, begleitet von Helikoptergeräuschen und die Panikschreie der Menschen, die in wilder Eile die Sachen packten.
Mit Hilfe von freiwilligen Anwälten und parlamentarischen Beobachtern konnte aber mit der Polizei verhandelt werden, der Platz blieb umstellt, das Camp wurde aber nicht geräumt. Am frühen Morgen hat man dann alle Leute, die zur Großdemonstration losgingen, durchsucht und die Dokumente kontrolliert. Auf meine Frage hin, wieso, war die Antwort, dass alle CampbewohnerInnen “potenzielle Verdächtige” wären. 15 Minuten später wurden nochmals in der U-Bahn alle Taschen kontrolliert. Die Großdemonstration war mit ca. 80.000 Menschen eine unüberschaubare Masse an Menschen, die in verschiedensten Farben gegen den G20 protestierten. Begleitet wurde der Zug auch hier links und rechts von behelmten PolizistInnen.

Auch ein riesiges, martialisches Polizeiaufgebot, vollkommen überarbeitete Polizeikräfte, die teilweise planlos durch die Menge knüppelten, Wasserwerfer und Räumungspanzer und Repressionen konnten keine Ausschreitungen verhindern.

Wie wurde mit “potenziellen Verdächtigen” umgegangen?
Nachdem die Großdemonstration vom Samstag angekommen war, saß ich gemütlich mit einigen anderen TeilnehmerInnen im Park. Essen wurde herumgereicht und ich saß mit einem vegetarischen Würstchen und Crackers in der Wiese als plötzlich ein Gruppe Polizisten auftauchte. Die sitzenden Personen wurden aufgefordert den Park zu verlassen. Wir wären “Gefährder” und während der Demonstration “aggressiv” aufgefallen. Woher diese Anschuldigungen kamen, habe ich bis heute noch nicht verstanden. Als wir wieder Richtung Straße gingen, schubsten die Polizisten wahllos Personen, unter anderem eine ältere Frau – und bedrohten herbeigeeilte Demonstranten mit Pfefferspray.
Mit meinem vegetarischen Würstchen in der Hand zog ich schmunzelnd weiter. Könnte ja gut möglich sein, dass sie mich verhaften, mit der Anschuldigung, ich hätte ein (vegetarisches) Wurfgeschoss in der Hand.

Aus Ihren Erzählungen könnte man den Eindruck bekommen, als wäre die Eskalation der Gewalt von der Polizei ausgegangen. Können Sie einschätzen, ob die Polizeieinsätze gegen die Demonstranten, vor allem gegen jene von “Welcome to Hell” unverhältnismäßig waren? Was sagen befreundete Reporter oder Bekannte, die vor Ort waren?
Zur “Welcome to hell”-Demo habe ich es nicht geschafft. Wo sich aber TeilnehmerInnen und sogar die meisten Medien und einig sind: Das gewaltsame Vorgehen der Polizei war unnötig, wenn nicht sogar gewollt. Dass sich so ein Vorgehen in einem späteren Moment bei den Autonomen wieder entladen wird, war klar. Das haben mir auch mehrere TeilnehmerInnen bestätigt.

Es gibt Berichte über gezielte Angriffe gegen Medienvertreter. Was können Sie als Fotoreporter vor Ort berichten?
Die Polizei ist auch gegen MedienvertreterInnen, SanitäterInnen und FotografInnen gewaltsam vorgegangen. Es wurde geschubst und beleidigt, manchen wurde sogar die Akkreditierung abgenommen. Pressefreiheit sieht für mich anders aus.

Mit welchen Gefühlen haben Sie Ihre Zeit in Hamburg erlebt?
Die Tage des Gipfels habe ich mit gemischten Gefühlen erlebt. Aufgrund der Medien und des aggressiven Verhaltens seitens der Polizei war die Stimmung schon angeheizt. Protestcamps wurden gewaltsam geräumt, Leute verhaftetet und JournalistInnen bedroht und geschubst…

Das eskalierende Verhalten der Polizei hat mich hier erschreckt.

War mit dem Ende des Gipfels auch die Konfrontationen mit der Polizei vorüber?
Meine vier Tage Hamburg endeten damit, dass ich mit weiteren acht Reisebussen in der Nähe von Berlin in eine Polizeikontrolle geriet. Fast zwei Stunden mussten wir, ohne Klimaanlage bei gefühlten 40 Grad im Bus ausharren. Der ganze Parkplatz war gefüllt mit Polizeikräften. Einige grinsten bei unserer Ankunft hämisch und machten eindeutige Gesten mit den Händen. Da sich weder Presse noch Medien im Bereich aufhielten, verständigten die Menschen im Bus diese. Es ging die Angst um, dass Leute schikaniert wurden. Jeder wurde einzeln aus dem Bus begleitet und durchsucht. Leute wurden auch fotografiert. Da dies ohne schriftliche Bestätigung rechtswidrig ist, und später auch ein Anwalt vor Ort war, hat die Polizei dies später unterlassen.
Ich wurde durchsucht und man hat mir versucht meine Kameras abzunehmen. Nach über fünf Stunden konnten wir aber dann endlich, mit all unseren Sachen wieder los.

Deutsche Medien schreiben, dass der “beispiellose Gewaltexzess” in Hamburg von der Polizei hätte verhindert werden können. Auf der anderen Seite gibt es Stimmen aus der Polizei selbst, die sagen, dass sich die schweren Ausschreitungen bereits im Voraus abgezeichnet hätten, die Polizei selbst aber keine Chance gehabt hätte, die Bürger zu schützen. War es falsch, den Gipfel in Hamburg zu veranstalten?
Auch ein riesiges, martialisches Polizeiaufgebot, vollkommen überarbeitete Polizeikräfte, die teilweise planlos durch die Menge knüppelten, Wasserwerfer und Räumungspanzer und Repressionen konnten keine Ausschreitungen verhindern. Im Großen und Ganzen kann ich von meiner Seite aus sagen, dass es ein Fehler war, den G20 Gipfel in Hamburg abzuhalten. Insgesamt hatte ich das Gefühl, dass Hamburg den G20 nicht wollte. Dass sich hier die Regierenden der mächtigsten Länder der Welt treffen würde, um in aller Seelenruhe über Banken, Wirtschaft und Handelsabkommen zu quatschen, war vielen ein Dorn im Auge. Deswegen planten viele lokale, aber auch internationale Gruppen aus den verschiedensten Spektren, den Gipfel so gut wie möglich zu stören. Was auch teilweise gut gelungen ist.

Es war das schlimmste Erwachen, das ich je hatte. Ein unruhiger, ängstlicher Schlaf, begleitet von Helikoptergeräuschen und die Panikschreie der Menschen, die in wilder Eile die Sachen packten.

Nicht immer auf friedlichem Weg, wie man in gewissen Zonen gesehen hat, etwa im Schanzenviertel – einer Hochburg militanter Linksaktivisten.
Neben vielen friedlichen Blockaden, Konferenzen, Workshops und Konzerten gab es natürlich auch militanten Aktionen linker Gruppen. Barrikaden wurden erbaut und angezündet und diese mit mit Flaschen und Steinen verteidigt, Schaufenster von großen Filialen und Banken zertrümmert. Im Schanzenviertel war ich nachts nicht dabei.

In vielen Fällen hat sich Gewalt und Verwüstung gegen “normale” Bürger und deren Eigentum gerichtet. Können Sie verstehen, was das mit Globalisierungskritik zu tun haben soll?
Was mir aber die Leute erzählt haben war, dass sich unter die Autonomen im Schanzenviertel auch viele Schaulustige und Partyleute gemischt hätten, die “Sachen zerstören und plündern wollten”. Somit gab es am nächsten Morgen auch überall Debatten, ob und wie weit “linke Gewalt” wie zum Beispiel ein brennender Porsche noch als symbolträchtiger, politischer Akt gesehen werden kann oder nicht. Dass es sich bei den abgefackelten Familienautos und zerstörten kleinen Läden um wenig sinnhafte Aktionen handelte, war sogar bei radikalen Linken aufzuschnappen.

Welche Bilder werden Ihnen vom G20 Gipfel in Hamburg in Erinnerung bleiben?
Was mir von Hamburg in Erinnerung bleibt, sind vielfältige, starke und friedliche, sowie gewaltsame Protestaktionen, behelmte Hundertschaften, die um die Ecke stürmen, das Heulen der Sirenen und das knatternde Geräusch der Hubschrauber. Letzteres, so kommt mir fast vor, höre ich immer noch.