Gesellschaft | Sanität
Münchner Märchen
Foto: Wolf
Es ist die ganz große Bühne.
Der „16. Europäischer Gesundheitskongress München“ findet im nobeln Hotel Hilton Munich Park direkt am Englischen Garten statt. 950 Teilnehmer werden für den zweitätigen Kongress erwartet. Jeder Teilnehmer kann zwischen zwei Tarifen wählen. Der Tarif „Comfort“ enthält die Tagungsgebühr, Mittagsbuffet, Getränke und Transport am Freitag zum Hauptbahnhof oder Flughafen. Kostenpunkt: 714,00 Euro. Wer den Tarif „Basic“ wählt, bekommt kein Mittagessen und keine Getränke und zahlt nur 624,75 Euro. Die Übernachtung ist in beiden Fällen nicht inbegriffen.
Der Kongress, der gestern, Donnerstag 12. Oktober und heute Freitag, 13. Oktober 2017 in München stattfindet, steht unter dem Motto:„Das Gesundheitssystem gerecht und zukunftsfähig gestalten!“. Die zentralen Themen dabei: Versorgung, Digitalisierung und Finanzierung.
Eröffnungsredner am Donnerstag war der bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer. Nach ihm folgte die bayrische Gesundheitsministerin Melanie Huml. Unter den rund 160 Referenten auf dem Kongress war am Donnerstag aber auch ein prominenter Südtiroler Manager dabei. Thomas Schael, Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes sprach kurz nach 11 Uhr im Saal B über das Thema „ Integrierte Versorgungsplanung – Wie kann ein solcher Kraftakt bewältigt werden? – Beispiel Südtirol“.
Stolz verweist das Presseamt des Sanitätsbetriebes am Donnerstagnachmittag auf diesen Auftritt. Dazu heißt es in der Aussendung:
„Mit einem Stand vor Ort vertreten bei diesem wichtigen Kongress war diesmal auch das Recruiting-Team des Südtiroler Sanitätsbetriebes. Zum ersten Mal mit dabei war auch Neo-Recruiting Officer Silvana Eccher, die sich in Zukunft gemeinsam mit Tiziano Garbin um die Personalanwerbung für den Sanitätsbetrieb kümmern wird. Eccher ist Arbeitspsychologin mit Spezialisierung in Human Ressource sowie Personalverwaltung und –ausbildung und ist seit 2001 Mitarbeiterin des Südtiroler Sanitätsbetriebes. Zuletzt als Koordinatorin des Sekretariats und des Verwaltungspersonals des Dienstes für Hygiene und öffentliche Gesundheit.“
Es fällt auf, dass man in der Presseaussendung nichts über den Inhalt von Schaels Referat sagt. Genau das dürfte aber einen guten Grund haben.
Denn Thomas Schaels Rolle und der Zustand des Südtiroler Gesundheitssystems wurden in München in einer Art und Weise dargestellt, die mit der Realität ungefähr so viel zu tun hat, wie der Osterhase mit der Relativitätstheorie.
Vorbild Südtirol
Organisatorisch betreut wird der „Europäische Gesundheitskongress München“ seit Jahren von der Berliner Agentur „Gruppe WISO“. Die Leiterin der Münchner Niederlassung Claudia Küng ist auch die offizielle Kongressleiterin. Küng verschickte Ende September Tausende Briefe an interessierte Ärzte im gesamten deutschen Sprachraum. Darunter auch ein Schreiben mit dem Titel „Elektronische Patientenakte und Integrierte Versorgung: Vorbild Südtirol“
In dem Schreiben heißt es:
„Es ist ein Projekt, von dem das deutsche Gesundheitswesen lernen kann: Die Landesregierung von Südtirol hat im Jahr 2015 eine umfangreiche Reform ihres Gesundheitswesens in die Wege geleitet, die besser als zuvor mit den Folgen des demografischen Wandels fertig werden und zunehmenden Versorgungslücken, insbesondere durch Facharztmangel, wirksamer begegnen soll. Innerhalb von nur fünf Jahren sollen mit dem Masterplan „Gesundheitsversorgung Südtirol 2020“ Dinge umgesetzt werden, von denen Deutschland noch weit entfernt ist.
Ziel ist insbesondere ein System der Integrierten Versorgung, in dem die häusliche und ambulante Betreuung sowie jene im Krankenhaus eng miteinander verzahnt sind. Es sollen mehr „echte Alternativen zur Krankenhausaufnahme“ geschaffen werden, wie der Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebs, Thomas Schael, sagt, der sich in Italien einen Ruf als Krisenmanager für regionale Gesundheitsstrukturen und Experte für den Aufbau Integrierter Versorgungssysteme erworben hat.“
Südtirol als europäisches Vorbild? Im Land selbst sieht man das eindeutig anders.
Erfundene Patientenakte
Kann man den Lobgesang auf das Südtiroler Sanitätswesen noch als PR-Gag durchgehen lassen, wird das Ganze aber völlig obsolet, wenn man zum zweiten Kernthema kommt: Die Digitalisierung.
In dem offiziellen Schreiben des 16. Europäischen Gesundheitskongresses München an die Interessierten heißt es wörtlich:
„Nach zwei Jahren ist eine einheitliche IT-Infrastruktur bereits umgesetzt: Die Südtiroler haben heute eine elektronische Patientenakte, diagnostische Befunde werden darin vom Labor oder Radiologen gleich digital abgelegt. Die Terminvergabe und Bezahlung für die Arztbehandlung erfolgen nun online.“
In Wirklichkeit ist alles eine Chimäre. Seit Jahren versucht man im Südtiroler Sanitätsbetrieb ein einheitliches EDV-System durchzusetzen. Dabei steht man derzeit - wie bei der Anhörung von Thomas Schael vergangene Woche im Landtag zu Tage kam – wieder am Anfang. Weil das ursprünglich gewählte System nicht funktioniert und die von Thomas Schael & Co ausgewählten IT-Dienstleister aus firmeninternen Gründen nicht recht weiterkommen, hat man in den vergangenen Monaten still und leise auf jenes System umgesattelt, das die Nachbarprovinz Trient seit Jahren verwendet.
Es stimmt zwar, dass die elektronische Patientenakte laut italienischem Gesetz eingeführt werden muss und in den meisten Provinzen auch längst vorhanden ist, doch in Südtirol ist man noch weit davon entfernt.
Bei der Anhörung im Landtag mussten Thomas Schael & Co auf Nachfrage zugeben, dass die elektronische Patientenakte im Südtiroler Sanitätsbetrieb noch nicht funktioniert.
In München verkauft man jetzt aber das genaue Gegenteil.
Vielleicht wäre es deshalb angemessener, das nächste Referat nicht im Hilton zu halten, sondern auf dem Oktoberfest.
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Soviel zu "Gurglpropeller on
Soviel zu "Gurglpropeller on Tour"
Sehr geehrter Chefredakteur
Sehr geehrter Chefredakteur von Salto.bz,
Ihr Artikel liest sich flüssig und spannend - mit einem Problem: der Eindruck, der vermittelt wird, stimmt nicht.
Thomas Schael hat in München keineswegs behauptet, dass Südtirol ein leuchtendes Beispiel für die Digitalisierung im Gesundheitswesen ist. Der Titel seines Vortrags lautet: „Integrierte Versorgungsplanung - wie kann ein solcher Kraftakt bewältigt werden? – Beispiel Südtirol.“
Der von Ihnen zitierte Brief ist ein eigenständiger redaktioneller Text des Veranstalters, der nicht vom Südtiroler Sanitätsbetrieb stammt.
Was uns aber wichtiger ist: „Von außen“ betrachtet, macht der Südtiroler Sanitätsbetrieb derzeit tatsächlich vieles richtig. In den vergangenen zwei Jahren wurden wichtige Grundlagen geschaffen, auch wenn vieles für die Nutzer und die Bürger erst in den kommenden Jahren sichtbar wird. Die Infrastruktur steht, mit dem soeben verabschiedeten „Landesgesundheitsplan 2016-2020“ und dem sog. „SABES-ICT-Masterplan“ sind zudem zwei strategische Planungsdokumente auf den Weg gebracht worden, die eine einheitliche Steuerung der Digitalisierung im Gesundheitswesen ermöglichen. Auch die Vernetzung der Labors und Radiologien gibt es, eine einheitliche landesweite Patienten-Anagrafik, die technische Möglichkeit, Labor-und Radiologie-Befunde abzurufen, ebenso … Einige Beispiele, die belegen, dass viel Bewegung in die Entwicklung gekommen ist.
Deutschland schlägt sich dagegen noch mit dem Stillstand herum. Beredtes Zeugnis hierfür liefert ein aktueller Artikel im Deutschen Ärzteblatt mit dem vielsagenden Titel „Raus aus dem Dornröschenschlaf“. Interessant auch das kritische Statement der nordrhein-westfälischen Gesundheitsministerin Barbara Steffens im März 2017 auf dem Gesundheitskongress des Westens: „Was wir immer wieder sehen ist, dass unser Gesundheitssystem so träge ist in diesem Bereich, dass wir nach wie vor nicht die elektronische Patientenakte, nicht die Fall-Akte, nicht die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Behandlern, selbst nicht zwischen denen in einem Sektor, haben.“
Auch in Deutschland ist eben nicht alles Gold, was glänzt!
Mit freundlichen Grüßen
Lukas Raffl
Südtiroler Sanitätsbetrieb
Pressestelle