Politik | Landtagswahl 2018

“Kein Menü à la carte”

Ex-Senator Karl Zeller über die Koalitionsfrage: Er hat Bauchweh mit der Lega, warnt die SVP vor “Bocksprüngen” und verdirbt Paul Köllensperger vorzeitig die Suppe.
Karl Zeller
Foto: Salto.bz

Im ersten Wahlkampf dieses Jahres war er immer an vorderster Front unterwegs. Vor den Landtagswahlen scheint sich Karl Zeller nun rar zu machen. Bei der Wahlkampfveranstaltung mit Sebastian Kurz glänzte er, der Ex-Senator, Parteistratege und Vertraute von Landeshauptmann Arno Kompatscher, mit Abwesenheit. Auch beim offiziellen Wahlkampfauftakt, der am morgigen Samstag auf Schloss Sigmundskron mit einem SVP-Familienfest begangen wird, weiß er noch nicht, ob er dabei sein wird. Hat Karl Zeller nach seinem Rückzug still und heimlich auch den aus der SVP angetreten? Ach was, winkt er ab. Als Rechtsanwalt sei er beruflich viel unterwegs, den Landtagswahlkampf überlasse er den Kandidaten, “da braucht es mich nicht”. Abseits der Öffentlichkeit allerdings ist er zur Stelle – wenn die Partei ihn braucht, sagt er –, etwa bei der Strategieplanung für die Zeit nach dem 21. Oktober.

salto.bz: Herr Zeller, die SVP wird sich nach dem 21. Oktober vermutlich nach einem neuen Koalitionspartner umschauen müssen.

Karl Zeller: Oder nach einem zusätzlichen Koalitionspartner.

Reicht der bisherige Regierungspartner PD nicht mehr, um die Mehrheit von 18 Sitzen zu erreichen, bieten sich schon das Team Köllensperger oder die Grünen für eine Dreier-Koalition an. Manche in Ihrer Partei liebäugeln hingegen mit einem exklusiven Bündnis mit der Lega. Sie auch?

Ich habe immer einen relativ pragmatischen Ansatz verfolgt. Es ist relativ einfach: Die nächste Koalition hängt vom Wahlergebnis der SVP ab. Wenn die SVP 18 Sitze macht, ist es relativ leicht. Macht sie 17, wird es schon schwieriger. Kriegt die SVP 16 Sitze, wird es noch schwieriger und bei 15 wird es wahrscheinlich ganz ganz schwierig werden. Um intern nicht durch den einen oder anderen erpressbar zu sein, wäre es natürlich besser, eine Mehrheit von 19 oder 20 Sitzen zu haben. Damit kann man beruhigt regieren.

Auszuschließen ist es nicht, dass die SVP mit der Lega regieren wird.

Einen Koalitionspartner bräuchte die SVP bei einem unerwarteten Höhenflug trotzdem. Das Autonomiestatut sieht eine angemessene Vertretung aller Sprachgruppen in der Landesregierung vor.

Dieser Koalitionspartner muss eine italienische Partei sein – das muss man halt auch dem Herrn Köllensperger sagen. Wenn sich der Herr Köllensperger von den 5 Sternen trennt – und das war schon auch etwas kurios – und eine deutsche Liste macht, um die deutschen Stimmen zu kriegen, ist das vielleicht ein geschickter Schachzug, um der SVP weh zu tun. Nur, das andere Ziel, mit der SVP zu regieren, sehe ich völlig unrealistisch. Denn da brauchen wir genau das Gegenteil dessen, was er bietet: eine italienische Partei.

Immerhin sind unter den Spitzenkandidaten von Team Köllensperger zwei Italiener.

Ich glaube nicht, dass der Köllensperger zwei Italiener in den Landtag bringt.
Seine strategische Überlegung, mit der SVP regieren zu wollen, wird nicht umgesetzt werden können. Nicht, weil wir ihn unsympathisch oder nicht gut finden, sondern weil es nicht machbar ist, beziehungsweise nicht opportun. Die Liebe zum Köllensperger ist nicht so groß, dass die SVP nach den Wahlen sagt, wir geben den Italienern nur mehr eine symbolische Vertretung und holen uns dafür den Köllensperger in die Regierung. Die SVP wird nie Assessorate auf der deutschen Seite abgeben. In diesem Sinne brauchen wir den Landtagsabgeordneten Köllensperger nicht. Ich will damit nicht sagen, dass er deswegen kein gutes Wahlergebnis erzielen wird. Aber dass er in die Landesregierung kommt, schließe ich eher aus.

Auch die Grünen bieten sich als Regierungspartner an.

Die Grünen haben zumindest einen Italiener dabei. Aber um den italienischen Mitbürgern eine Vertretung zu sichern, wird man zuerst schauen, italienische Parteien als Koalitionspartner zu finden: PD, Lega, vielleicht die Leute von Bizzo… Aber ich weiß ja nicht, wer es alles in den Landtag schaffen wird. Einige dürften allerdings heute schon ausscheiden. Mit der Biancofiore-Partei oder mit Urzì ist sicher nichts zu machen. Wir werden nichts machen, wofür sich Silvius Magnago im Grab umdrehen muss.

Ich war nie links, ich war immer gemäßigt, in der Mitte – aber nie links.

Ich wiederhole die Frage: Wie stehen Sie zu einer möglichen Koalition zwischen SVP und Lega?

Die Südtiroler Lega fliegt derzeit tief. Und auch wenn es überhaupt zu einer Öffnung hin zur Lega kommen sollte, wird das in Rom sicher nicht nachvollzogen. Denn es gibt da ein Problem: Wir hatten 1996 schon einmal einen Pakt mit der Lega Nord von Bossi. Die war eine andere Art von Lega. Der Pakt war praktisch schon ausgehandelt, es gab schon ein Listenzeichen. Wir wollten gemeinsam bei den Parlamentswahlen antreten, um die Hürde des Verhältniswahlsystems zu überspringen. Gescheitert ist es dann, weil Bossi plötzlich gesagt hat, die Lega geht alleine und macht keine Bündnisse. Mit niemandem. Wir haben es aus der Zeitung erfahren.

Sie vermissen bei der Lega die Handschlagqualität?

Vor allem was Rom anbelangt sind Verlässlichkeit, Loyalität und Korrektheit große Werte in der Politik. Leute in diesem Sinne hatten wir immer mit Mitte-Links: Romano Prodi, Renzi, Gentiloni, Letta. Fehlen diese Werte, macht dich das als Partei kaputt. Ein core business der SVP ist neben der Autonomie, dass sie ein stabiler Dampfer ist, der manchmal vielleicht langweilig sein mag, aber nicht ins Schlingern gerät. Bei der SVP wird es keine großen Überraschungen im negativen Sinn geben.

Also auch keine Zusammenarbeit mit der Lega?

Das mit der Lega birgt schon viele Problematiken. Vor allem die Art und Weise von Salvini, die er auch in der Migrationspolitik an den Tag legt – das ist nicht die Kultur der SVP und auch vielen Südtiroler Wählern gefällt das sicher nicht. Wenn die SVP jetzt anfängt, Bocksprünge zu machen, geht diese Verlässlichkeit, die die Südtiroler an ihr schätzen, verloren. In instabilen Zeiten sind wir ein Fels in der Brandung. Das mögen die Menschen eigentlich ganz gerne. Wenn man jetzt neue Wege beschreitet, muss man sehr aufpassen, ob man überhaupt Leute findet, die so verlässlich sind, dass man nicht den eigenen Ruf ruiniert. Wenn, dann hat eine Zusammenarbeit nur eine Chance, wenn man sie lokal begrenzt. Aber das ist noch lange nicht sicher.

Köllensperger hat etwas gemacht, was ihm vielleicht zu Stimmen verhelfen wird und dazu, in den Landtag zu kommen, aber nicht unbedingt in die Landesregierung.

Der Landeshauptmann nennt drei unverhandelbare Prinzipien, die ein künftiger Koalitionspartner erfüllen muss: Autonomie, Zusammenleben, Europa. Lassen sich diese drei Werte auf die Lega ummünzen?

Beim dritten Punkt, Europa, ist es sicher nicht leicht. Aber es kommt darauf an, welche die Alternativen nach den Wahlen sind. Alles hängt vom Wahlausgang ab.

Jetzt kehrt der Pragmatiker zurück…

Die Lega ist sicher ein problematischer Koalitionspartner. Aber die Zeiten haben sich mittlerweile geändert. Wir waren 30 Jahre lang gewohnt, eine SVP mit moderaten Kräften, mit Mitte-Links an der Regierung zu haben. Aber die italienische Parteienlandschaft ist ja kein Menü à la carte, wo ich einfach bestellen kann und bekomme. Du musst das nehmen, was auf dem Speisezettel steht. Und auf dem Speisezettel steht nun leider nicht mehr dieses schöne, gemäßigte, autonomiefreundliche und unproblematische Menü. Sondern Kräfte, mit denen wir durchaus Probleme haben. Deswegen wäre es ja wichtig, wenn die Wähler eine Partei wie unsere stützen würde, die doch noch Werte wie Europa, Minderheiten verkörpert, gemäßigt auch bei Einwanderung und Integration ist. Aber das ist nicht sicher, denn die Leute haben in letzter Zeit – in Südtirol noch nicht so sehr, aber in Italien – mit dem Bauch gewählt: Die Menschen haben das Gefühl, die Einwanderung ist ein Problem und wählen die, die gegen die Einwanderung sind.

Zum Beispiel Matteo Salvini. Der Lega-Chef ist populärer denn je. Sein Populismus gefällt offenbar – und die Art des “starken Mannes”. Ein solcher will Landeshauptmann Arno Komaptscher bis heute keiner sein. Macht er da etwas falsch?

Arno Kompatscher ist ein Glücksfall für uns. Heutzutage noch jemanden zu finden, der für die eigene Überzeugung Politik macht und nicht populistisch den Umfragen nachrennt, wie es jetzt leider Mode geworden ist, ist nicht leicht. Ich war immer schon gegen diese Stammtischmentalität: Du musst dem Stammtisch auch zuhören, ja, und die Warnsignale vernehmen. Aber du darfst dir nicht vom Stammtisch diktieren lassen, welche Werte du vertrittst. Da gefällt mir Kompatscher wirklich gut: Er hat Courage bewiesen, als er sich gegen Österreich gestellt hat als die den Brenner schließen wollten. Einer, der nur auf die Umfragen schauen würde, würde wegen einer Sache, die er selbst nicht einmal unbedingt kontrollieren kann, seine politische Karriere nicht aufs Spiel setzen. Auch beim Finanzabkommen brauchte es Courage – leichter wäre es gewesen, nichts zu machen und dann auf die bösen Italiener zu schimpfen.

In diesem Moment klingelt Karl Zellers Handy, er unterbricht das Interview für ein Telefongespräch mit Maria Elena Boschi.

Ist die SVP nach links geschwenkt, wie ihr gern unterstellt wird?

Nein, das ist ein Blödsinn. Auch ich war nie links, ich war immer gemäßigt, in der Mitte – aber nie links.

Sie galten in Ihrer letzten Legislaturperiode als großer Freund des PD in Rom.

Es ist immer noch so, dass wir mit dem PD inhaltlich am meisten Berühungspunkte haben, nicht nur in Autonomiefragen sondern auch weltanschaulich. Und zwar, weil der PD in den letzten Jahren in die Mitte gerückt ist. Das hat die Partei intern sehr viel Zustimmung gekostet. Daher fand ich die Diskussion in Südtirol immer sehr kurios: Als die Linken, die in Südtirol ja das Bauchweh verursacht haben, den PD verlassen haben, wurde weiterhin so getan, als ob wir es mit einer linken Partei zu tun hätten. Das war paradox.

Für Ihre Nähe zum PD wurden Sie auch parteiintern kritisiert.

Die letzte Legislatur war so erfolgreich, weil der PD mit Renzi auch einen pragmatischen Ansatz gehabt hat, wie wir. Das Problem war, dass sich der PD durch die internen Streitereien, die jetzt weitergehen, selbst zerfleischt. Die Spaltungen waren der große Fehler. Den hat die SVP nie gemacht – trotz der Meinungsverschiedenheiten, die es intern oft gibt. In der SVP ist es immer noch so, dass, wenn die Mehrheit eine Richtung vorgibt, auch die Minderheit mitgeht. Umgekehrt grenzt die Führungsschicht der Partei, die die Mehrheit hat, diejenigen, die anderer Meinung sind, nicht aus. Es ist nicht so, dass man gesagt hat – um einen Namen zu nennen –, der Senator Durnwalder hat eine Meinung, die nicht unbedingt dem Mainstream in der Partei entspricht und darf deswegen nicht Senator werden. Das wäre die Denkart der italienischen Parteien, auch im PD. Der Erfolg der SVP war gerade das: Mit internen Divergenzen als etwas Befruchtendes umzugehen. Ich bin ja selbst aus der Opposition gekommen, ich war in der Opposition zu Magnago, zu Riz, zu Luis Durnwalder. Die Partei hat mich dann hineingeholt und gesagt: Du redest immer gscheit, jetzt mach du mal! Und es kühlt sowieso jeder ab, wenn er selber etwas tun muss. Denn dann bleibt keine Zeit mehr fürs Kritisieren.

Wir werden nicht etwas machen, wofür sich Silvius Magnago im Grab umdrehen muss.

Der PD, dank dem es Herbert Dorfmann 2014 ins EU-Parlament geschafft hat, schwächelt und die Lega erstarkt. Ein Bündnis mit der Lega im Landtag wäre für die SVP allein aus wahltaktischen Überlegungen im Hinblick auf die EU-Parlamentswahlen im Frühjahr 2019 vorteilhaft?

Ich finde das sehr problematisch. Wenn die Lega noch die Lega von Bossi wäre, wäre es einfacher. Aber jetzt… Wenn du als Südtiroler, als bekennende Europäer die wir sind und immer schon waren, mithilfe einer europaskeptischen Partei nach Europa gehst…

Das Risiko andererseits wäre, niemanden ins EU-Parlament zu bekommen.

Ja ja, schon. Aber das ist eine ungute Sache. Während man im Landtag eher noch sagen kann, wir müssen pragmatisch sein, geht es im Falle von Europa um Grundsätzliches. Die Schlacht bei den Europawahlen ist: europaskeptische Kräfte gegen europabejahende Kräfte. Die SVP ist eindeutig eine europabejahende Kraft, wir haben von Europa bislang unglaublich profitiert – und wir werden das sicher nicht aufgeben. Ich würde weiter versuchen, mit den europabejahenden Kräften nach Europa zu kommen. Alles andere wäre für mich schwer zu vermitteln.
Aber es ist ohnehin alles komplex. Denn da ist noch das Problem mit Trient.

Dort wird Lega-Kandidat Maurizio Fugatti von einem breiten Mitte-Rechtsbündnis unterstützt und gilt als designierter Nachfolger von Ugo Rossi.

Fugatti wird der Sieg auf dem Silbertablett serviert! Aber was machen wir dann? In Trient regiert Mitte-Rechts – und wenn wir die Regionalregierung bilden, müssen wir dann praktisch sowieso mit denen irgendwie zusammenfinden. Das wird alles eine schwierige Sache. Diese gemütliche, beschauliche Situation, wo praktisch nur die Personen wechselten, aber die Bündnisse nicht, die könnte jetzt vorbei sein.
Das ist schon eine große Herausforderung – die Gratwanderung zwischen einem pragmatischen Kurs einerseits und Glaubwürdigkeit und den Werten, die wir immer hochgehalten haben, andererseits. Es ist gerade nicht so leicht. Aber ich glaube, dass sie das schon machen. Kompatscher und Achammer werden das schon vernünftig machen.

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rotaderga

Ich konnte und kann diesen Zeller nicht riechen. Vielleicht bin ich auch voreingenommen aber seinen privaten Familiensituationen, seine Multitaskingkomentare , seine Ognipräsenz in den Parteigremien und Medien ist mir zuviel des Guten. Der ist entweder ein Genie oder ein Ploderer. In meinem langen Leben bin ich nur wenigen Genies begegnet

Fr., 21.09.2018 - 09:37 Permalink

Seine Familiensituation geht mich nichts an, was Mutitaskingkommentare sein sollen weiss ich nicht, in die Parteigremien wird man gewählt und in den Medien ist man halt wenn man – für Leser, Hörer, Seher – was zu sagen hat.
Karl Zeller ist einfach ein glasklarer Analytiker wie wenige im Lande und der sicher niemanden nach dem Mund redet. Gut dass wir ihn haben …

Fr., 21.09.2018 - 11:06 Permalink

Herr ROTADERGA, Karl Zeller ist sicher kein "Ploderer", also wäre er nach Ihrer entweder-oder-These ein "Genie". Un da nur ein Genie einem Genie gleichrangig entgegentreten kann, müssen auch Sie ein "Genie" sein.....
Ja, Herr KOLLMANN, gut, dass Südtirol den Karl Zeller hat.....

Fr., 21.09.2018 - 11:37 Permalink

Gut, das ist ein klassisches Biespiel wie Sensoren in Netzwerken reagieren. Richtig, privat soll privat bleiben, deshalb muss ich Zellers privaten Lebenswandel nicht in rapresentativen Gremien oder als südtiroler Leuchtturm oder Aushängeschild und Hüter der richtigen Politik anerkennen.

Fr., 21.09.2018 - 14:17 Permalink