Gesellschaft | Affäre

Vorwurf Ladendiebstahl

Was am vergangenen Freitag in der Brixner Schenoni-Kaserne wirklich geschah, hat wenig mit dem zu tun, was Innenminister Matteo Salvini behauptet. Eine Rekonstruktion.
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Foto: upi
Es regt mich unheimlich auf, was Salvini aus dieser Geschichte gemacht hat“, sagt Ingrid Porzner. Die langjährige Leiterin des Brixner Kellertheaters „Gruppe Dekadenz“ arbeitet seit langem im Aufnahmezentrum in der ehemaligen Brixner Schenoni-Kaserne als Freiwillige. Porzner war auch am vergangenen Freitag dort, als jene Geschichte ihre Lauf nahm, die sich zwei Tage später zur einer nationalen Affäre ausweiten sollte. „Hier wird die Wirklichkeit völlig verdreht“, sagt die gebürtige Bamberger Theaterpädagogin und Schauspielerin.
Salto.bz hat die Entstehungsgeschichte der Affäre bereits nachgezeichnet. Sie kann als Lehrstück dafür dienen, wie das neue Italien unter Matteo Salvini ausschauen wird und welche Methoden jene Partei anwendet mit der sich die SVP demnächst ins Landesbett legen wird.
Am Sonntag kurz vor Mittag veröffentlicht der Innenminister und Lega-Parteichef auf seiner offiziellen Facebook-Seite einen Post:
 
“Un ‘richiedente asilo’ nigeriano di 19 anni, pregiudicato, è stato arrestato per aver violentato venerdí sera a Bressanone (Bolzano) la responsabile del centro che lo ospitava. SCHIFOSO! Ora grazie al #DecretoSalvini per un caso come questo c’è l’ESPULSIONE!”
 
Wenig später zieht die nationale Presse nach. Unter Berufung auf “Quellen aus dem Innenministerium” schreibt „Il Giornale“:  “Orrore nel centro d'accoglienza. Nigeriano stupra responsabile”.
 
Diese Geschichte ist ein Lehrstück, wie das neue Italien unter Matteo Salvini ausschauen wird und welche Methoden jene Partei anwendet mit der sich die SVP demnächst ins Landesbett legen wird.
Allein die Tatsache, dass ein Innenminister auf seiner Facebook-Seite eine angebliche Straftat enthüllt, die die zuständigen Brixner Polizeibehörden unter Verschluss halten, dürfte für eine westliche Demokratie eine Einmaligkeit sein. Umso mehr als sich schnell herausstellt, dass die Darstellung Salvinis keineswegs der Wirklichkeit entspricht.
 

Die Betroffene

 
Das wird noch am Sonntag klar. Denn fünf Stunden später meldet sich auf der Salvini-Facebook-Seite jene Brixner Frau, die laut dem Legapolitiker angeblich vergewaltig wurde. Wilma Huber, die Leiterin der Brixner Aufnahmezentrums.
Inzwischen hat sich auf Facebook der gesamte Ausländerhass und Rassismus entladen. Wie weit man dabei geht, zeigt sich am Eintrag eines deutschsprachiger Brixner Lega-Jüngers. Der Mann schreibt wörtlich: „ma la responsabile del centro profugi se lo ha cercato perché ha fatto troppo la buonista“.

 
Auf diesen Post antwortet am Sonntag Abend Wilma Huber persönlich:
 
„Pensate che me lo merito? Per vostro malgrado e per mia fortuna non sono stata violentata, ma ho subito solo delle molestie sessuali da parte di una persona malata psichicamente, e ho deciso di portare la questione a denuncia per fare capire a tutti che anche se sei malato certe cose non possono restare impuniti. Sono troppo buona? Se lo dite voi, forse ci devo credere... io faccio il mio lavoro in un ambito sociale e continuerò a farlo.“
 
Wilma Huber bestätigt ihre Darstellung der Nicht-Vergewaltigung auch gegenüber der Tageszeitung Dolomiten.
 

Der Anlass


Was bisher aber noch nicht bekannt ist. Es gibt eine Vorgeschichte und einen konkreten Anlass für das unentschuldbare Ausrasten des Asylbewerbers.
Am Freitag gegen Mittag wird die Brixner Polizei im Aufnahmezentrum in der Schenoni-Kaserne vorstellig. Es geht um einen 19jährigen Nigerianer, der angeblich in einen Supermarkt etwas geklaut hat. Ingrid Porzner befindet sich mit ihm und anderen Insassen gerade im Hof. Die Polizei wendet sich an Wilma Huber. Diese stellt den Nigerianer zu Rede. „Es ist alles ruhig abgelaufen“, sagt Porzner zu salto.bz, „die Polizei war absolut professionell“. Der Asylbewerber musste dann ins Haus mitkommen, wo sein Zimmer durchsucht wurde.
 
Wilma Huber hat in Anwesenheit der Beamten noch im Hof den jungen Afrikaner laut und energisch zur Rede gestellt. Sie wollte von ihm wissen, warum er im Supermarkt geklaut habe. Der Mann antwortet nur mit Gegenfragen.
Er ist psychisch krank und hat Probleme“, beschreibt Ingrid Porzner den Nigerianer, „und diese Geschichte hat den Mann noch mehr aufgewühlt und aufgeregt“. Der Mann tut dann etwas sehr Dummes. Er beginnt am Nachmittag Vilma Huber im Haus zu verfolgen und zu bedrängen. Der Höhepunkt: Irgendwann drückt er die Leiterin des Aufnahmezentrums an die Wand und begrapscht sie dabei.
Vilma Huber reagiert umgehend. Sie stößt den schmächtigen Afrikaner weg. Die Frau, die verständlicherweise Angst hat, ruft die Carabinieri. Weil sich der junge Mann auch vor den Carabinieri wehrt, wird er wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und versuchter sexueller Gewalt verhaftet und ins Bozner Gefängnis gebracht.
Heute wird er dem Haftrichter vorgeführt werden. Ob des zu einem Verfahren kommt, wird sich zeigen.
Das Urteil hat der Innenminister aber schon persönlich wie Facebook am Sonntag verkündet.