Wirtschaft | Genussgemeinschaft

Vom Bauer zum Städter und umgekehrt

„Vom Acker auf den Teller ohne Konzerne und ohne dazwischengeschaltetem Handel“ – klingt gut, aber wie soll das funktionieren?
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Foto: Photo by Elaine Casap on Unsplash

„Vom Acker auf den Teller ohne Konzerne und ohne dazwischengeschaltetem Handel“ – klingt gut, aber wie soll das funktionieren? Die Münchner Genussgemeinschaft Städter und Bauern e.V. zeigt wie: Als eine nachhaltige, aktive Community setzt sich der Verein leidenschaftlich für den Erhalt der bäuerlich-handwerklichen Lebensmittelvielfalt sowie für die Förderung einer direkten Beziehung zwischen Stadt und Land ein. Ein Interview von Legacoopbund mit Marlene Hinterwinkler, stellvertretende Vorsitzende der Genussgemeinschaft.

Frau Hinterwinkler, wie ist die zündende Idee zur Gründung der Genussgemeinschaft Städter und Bauern entstanden?
Marlene Hinterwinkler: Als im Jahr 2010 die Milchpreise für die Bauern in Bayern wieder mal auf einen Tiefstand gesunken waren, hatte Slow Food München die Idee, diese Bauern zu unterstützen. Zur selben Zeit war die Slow Food Aktivistin Petra Wähning beim Leitzachtaler Ziegenhof im Einsatz. Der Hof war kurz vor der Schließung, da die Banken die finanziellen Mittel für den Neubau einer EU-konformen Käserei trotz bester Lage und neu renovierten Ferienwohnungen nicht gewährten.
Mittels „Genussrechten“ wurden dann aber in kurzer Zeit 100.000 € eingesammelt und der Bau der Käserei konnte beginnen. Bei Genussrechten geben Investoren dem Betrieb bzw. Hof einen bestimmten Betrag für sieben Jahre und erhalten dafür Zinsen in Form von Naturalien.
Wir hatten privat von dem Projekt gehört und waren sofort dabei. Lieber das Geld am Hof verlieren, sollte es zum Worst-Case kommen, als auf der Bank, die Devise. Kurz darauf lernte ich Petra Wähning und Johannes Bucej kennen, die offiziell die Genussgemeinschaft Städter und Bauern als Projekt von Slow Food München etabliert hatten. Die Biostadt München, Referat für Gesundheit und Umwelt, gewährte einen Zuschuss, um u.a. die Webseite zu betreiben, die eine Plattform für Landwirte und Verbraucher in der Stadt werden sollte.

Wie wurden diese Ideen dann weiter in die Tat umgesetzt?
Für mich stellte sich gleich die pragmatische Frage: Wie kommt der Käse vom Ziegenhof in die Stadt?
Mit Freunden, Nachbarn und Slow Food Mitgliedern ging‘s los: Die Einkaufsgemeinschaft war geboren, ein Emailverteiler angelegt und die monatlichen Einkaufsfahrten zu den verschiedene n Höfen begannen. Die Sammelbestellungen gehen privat an den Hof, werden von mir vor Ort zu Preisen des Hofladens erworben und schließlich bei mir zu Hause von den einzelnen Mitgliedern abgeholt.
Außerdem werden auch Hofführungen angeboten, wodurch die Städter die Möglichkeit bekommen sich mit den Bauern zu unterhalten und mehr als nur einen kurzen Blick auf das aktuelle Hofgeschehen zu erhaschen.
Kurz nach dem Erfolg des Leitzachtaler Ziegenhofes folgten weitere Projekte, wie z.B. die Errichtung eines neuen Hühnerstalls mittels Genussrechten sowie ein moderner, offener Rinderstall. Die Erweiterung einer Biobäckerei und einer Biobrauerei wurden ebenfalls mittels Genussrechten auf den Weg gebracht.
So gibt es neben den besten Milchprodukten wie Rohmilchbutter und Rohmilch, ab und an auch Fleisch, Eier für die Gemeinschaft, sowie saisonal auch Geflügel, Fisch, Spargel und Honig.

Die Grundlagen der Genussgemeinschaft bilden Investitions- und Einkaufsgemeinschaften. Wie funktionieren solche Gemeinschaften?
Um Mitglied in den Einkaufsgemeinschaften zu sein, bedarf es keiner Mitgliedschaft im Verein Städter und Bauern. Die Mitglieder sind nicht an monatliche Bestellungen gebunden und sollten lediglich einen Mindestbeitrag von 30€ pro Monat zahlen. Außerdem müssen sie in Kauf nehmen, dass das Angebot der teilnehmenden Höfe aufgrund saisonaler Schwankungen nicht konstant ist. Erwartet werden zudem die Bereitschaft zum Mitfahren und ein aktives Mithelfen beim Verteilen der Lebensmittel.
Die Abholerin bezahlt die Gesamtrechnung an den Bauern und jeder Teilnehmer erhält eine eigene Tüte mit eigenem Kassenzettel und überweist die Summe zusätzlich der Spritkosten an die Abholerin.
Neue Investitionsprojekte oder alternative Beteiligungsmodelle wie Kleindarlehen für die Betriebe hingegen werden über einen Newsletter und einen Eintrag auf der Internetseite in der Rubrik „Investieren“ eingetragen und beworben. Bis jetzt lassen nahezu alle Investoren ihr Geld auf den Höfen, obwohl die Laufzeit bereits abgelaufen ist. Man kennt seinen Bauer und seinen Hof, hat einen starken Bezug zur Arbeitsweise und ist bereit dazu beizutragen, kleinen familiengeführten Höfen eine Überlebenschance zu geben.

Gab es anfängliche Schwierigkeiten und wenn ja, welche?
Minimale Schwierigkeiten wie die Disziplin der Besteller und Abholer haben sich schnell gelegt. Spätestens nach dem ersten Hofbesuch stieg die Wertschätzung der Teilnehmer immens. Die größte und nach wie vor bestehende Schwierigkeit ist, dass die Abholungen im privaten Raum abgehalten werden müssen. Beim Ansturm an einem Abholtag von 25 Bestellern wird’s da schon mal eng. In München einen bezahlbaren Raum zu finden um so eine Einkaufsgemeinschaft ohne Mehrkosten zu handeln, hat sich als unmöglich herausgestellt. Die Stadt ist uns dabei auch leider nicht entgegengekommen, was uns sehr enttäuscht.

Die Slow Food Bewegung ist ein wichtiger Bestandteil der Philosophie der Genussgemeinschaft. Was genau ist darunter zu verstehen?
Gut, sauber und fair – das ist das Credo von Slow Food. Gut ist guter Geschmack, sauber heißt ohne Konservierungsstoffe und das fair bezieht sich auf den gesamten Wertschöpfungsprozess und aller daran Beteiligten. Faire Löhne für wertvolle Lebensmittel, fair zu Mensch und  Tier, sowie fair zur Natur und Umwelt um eine enkeltaugliche Welt zu hinterlassen.

Sie arbeiten mit zahlreichen Bauern und Betrieben aus Deutschland, aber auch mit einigen Südtiroler Produzenten zusammen. Wie kam es dazu?
Wir haben schon jahrzehntelang Urlaub auf dem Bauernhof oder beim Winzer in Südtirol und Österreich gemacht. Dabei haben wir immer Produkte für uns, die Familie und Freunde mitgebracht. Bei Slow Food ist das ein liebenswerter Brauch und für die Genussgemeinschaft selbstredend.
Für den oberen Vinschgau ging diese Phase vor einigen Jahren los, als Alexander Agethle vom Englhornhof in Schleis bei Mals die alte Dorfkäserei mittels Verbraucherbeteiligung wieder aufbaute. Durch freundschaftliche Beziehungen zum Restaurant Broeding in München, wurde das Investment in München von uns beworben. Wir waren und sind immer noch sehr begeistert von diesem Hof, dem wunderbaren Käse und seiner Philosophie der Bodenpflege. Natürlich kam dann bald das Interesse, weitere Bio-Betriebe in der Region zu besuchen. Das Bestreben der pestizidfreien Gemeinde Biolandbau voranzubringen und die Felder der Bauern zu schützen, hat uns sehr bewegt.

Was sind ihre Ziele für die Zukunft?
Unsere Ziele sind es Betriebe in unserem Umfeld vor dem Fluche des „Wachse oder Weiche“ zu bewahren, kleinstrukturierte Betriebe zu vernetzen, Kooperationen statt Konkurrenz unter den Betrieben anzuregen und zu begleiten sowie viele Verbraucher mit auf den Weg zu nehmen.
Außerdem bemühen wir uns öffentliche Fördergelder zu erhalten, um langfristig auch bezahlte Projektarbeit zu ermöglichen. Bis jetzt ist all unsere Arbeit ehrenamtlich.