Politik | Sanität

Persona non grata

Vergangene Woche kam es bei einer Aussprache im römischen Gesundheitsministerium mit Florian Zerzer zu einem Eklat. Der Landeshauptmann muss jetzt Feuerwehr spielen.
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Foto: Ministero della Salute
Das Schreiben ging am Mittwoch aus dem Palais Widmann ab. Verfasst vom Generalsekretär der Landesregierung Eros Magnago und unterzeichnet von Arno Kompatscher. Es ist ein persönlicher Brief an Gesundheitsministerin Giulia Grillo. 
Die diplomatische Depesche ist der Versuch einen Flächenbrand in Sachen Gesundheitspolitik einzudämmen und eine Art Handreichung aus Südtirol in Richtung Rom. Kompatschers Ansinnen: Die Gemüter zu beruhigen und einen konstruktiven Dialog zwischen der Südtiroler Sanität und dem römischen Gesundheitsministerium aufrecht zu erhalten.
Denn noch nie war die Lage so ernst wie derzeit. Der Grund: Genau eine Woche zuvor war es bei einer Aussprache im römischen Gesundheitsministerium zu einem Eklat gekommen, der die Beziehung mit Rom weit unter den Gefrierpunkt fallen ließ. 
 
 
Der Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes Florian Zerzer und mit ihm der Personalchef Christian Kofler verließen die Aussprache nach 40 Minuten nicht nur ergebnislos, sondern im offenen Streit. „Es stimmt ich habe noch nie eine so feindliche Atmosphäre in Rom erlebt“, bestätigt Florian Zerzer das Zerwürfnis.
Salto.bz hat aber auch mit einem Mann gesprochen, der am vergangenen Mittwoch im Ministerium auf der anderen Seite des Tisches saß: Costantino Gallo. Dieser Mann ist dann auch der Hauptgrund, warum Florian Zerzer in Rom die Contenance verloren hat.
Beide Seiten schildern den Vorfall in weiten Teilen deckungsgleich. Nur die Schlüsse und Urteile, die sie darauf ziehen, könnten kaum unterschiedlicher sein.
 

Der Eklat

 
Florian Zerzer hatte bereits vor Monaten schriftlich um eine Aussprache im Gesundheitsministerium angesucht. Die Themen waren dabei breit gefächert. Vor allem aber wollte der Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes dem Ministerium eine Lösung für den Ärzte- und Pflegekräftemangel in Südtirol vorschlagen.
Die Aussprache angesagt am vergangenen Mittwoch um 16 Uhr begann bereits unter keinem guten Stern. Zerzer und mit ihm Personalchef Christian Kofler erschienen mit einer knapp 30minütigen Verspätung. Sie waren vorher zu einem falschen Sitz des Gesundheitsministeriums gefahren.
Der Südtiroler Delegation saßen der Unterstaatssekretär und Vize-Gesundheitsminister Luca Coletto gegenüber. Der Veroneser Lega-Politiker hat im vergangenen Herbst nach der Wahl Maurizio Fugattis zum Trentiner Landeshauptmann dessen Posten im Gesundheitsministerium übernommen. Coletto ist ein absoluter Fachmann im Bereich der Sanität. Er war Sanitätsassessor der Region Veneto und seit 2016  Präsident der „Agenzia nazionale per i servizi sanitari regionali“ (Agenas).
Mit dabei die Generalsekretärin des Vizeministers Mara Tessaro und eine Reihe von Beratern. Darunter auch der Arzt Costantino Gallo. Gallo eingetragen in das nationale Verzeichnis der General- und Sanitätsdirektoren leitet in Padua die „Unità Ricerca e Innovazione“ der Sanitätseinheit. Er wird der Südtiroler Delegation als Berater des Gesundheitsministeriums und als „Fachmann zur Südtiroler Sanität“ vorgestellt.
 
 
Florian Zerzer trägt seine Ansinnen vor. Es ist sind vor allem Luca Coletto und seine Generalsekretärin Mara Tessaro, die antworten. „Man hat kurz um alles abgelehnt“, sagt Florian Zerzer zu salto.bz.
Nach rund 30 Minuten erhitzen sich die Gemüter und der Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes macht einen Schachzug, den man auf Pusterisch so umschrieben könnte: „mit den Genagelten ins Gesicht steigen“.
Denn Florian Zerzer verlangt allen Ernstes von Staatssekretär Luca Coletto er möge Costantino Gallo aus dem Sitzungszimmer verweisen. Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Ein Bittsteller ersucht einen Vizeminister, dass er seinen Berater vor die Tür setze. Einen größeren Affront kann es wohl kaum geben. Es ist eine Art institutioneller Selbstmord.
Coletto und noch energischer seine Generalsekretärin Tessaro weisen dieses Ansinnen entrüstet zurück. Spätestens damit ist das Klima aber endgültig vergiftet. Wenig später brechen Florian Zerzer und Christian Kofler die Aussprache ab und verlassen vorzeitig das Ministerium.
 

Staatsfeind Nr 1

 
Florian Zerzer Kurschluss kann nur an der Person Costantino Gallos und der Vorgeschichte erklärt werden.
Der 55jährige Mediziner aus Padua mit Ausbildung im Gesundheitsmanagement kennt das Südtiroler Gesundheitssystem weit besser als es den lokalen Verantwortlichen lieb ist. Er weiß aus eigener Erfahrung was in Südtirol funktioniert und wie es funktioniert. Vor allem aber kennt er die Schwächen der Südtiroler Sanität.
Costantino Gallo ist sicher kein einfacher Zeitgenosse und sein Bild auf die Südtiroler Realität ist äußerst kritisch. Das liegt auch an den persönlichen privaten und beruflichen Erfahrungen, die er mit und in Südtirol gemacht hat.
Gallo hat nicht nur als Arzt in Bozen gearbeitet, er war auch mit einer bekannten Ärztin und Führungskraft in der Südtiroler Sanität verheiratet. Nach der Trennung wurde er von seiner Exfrau mehrere schwerer Straftaten beschuldigt. Die Staatsanwaltschaft Bozen stellte die Verfahren 2015 und 2017 in der Ermittlungsphase ein. Seine Ex-Frau wurde zur Bezahlung von Schadenersatz an ihn verurteilt.
 
 
2013 wurde sein betagter Vater im Brunecker Krankenhaus operiert und dabei augenscheinlich falsch behandelt. Salto.bz hat über den Fall berichtet. So vergaß man dem Mann mehrere verpflichtende Einverständniserklärungen vorzulegen. Als Gallo die Patientenakte verlangte, wurde diese ihm auf Deutsch ausgehändigt, mit der Begründung, dass eine Übersetzung zuviel koste. Dabei steht im Landesgesetz genau das Gegenteil.
Costantino Gallo nimmt sich drei Anwälte und klagt gegen den Sanitätsbetrieb. „Ich wollte eine Entschuldigung“, sagt er zu salto.bz. Diese ist nie gekommen. Das Verfahren läuft noch und es geht nur mehr darum, wieviel der Betrieb an Gallo, dessen Vater neun Monate später verstorben ist, zahlen muss.
Vor allem aber ist Costantino Gallo hartnäckiger als ihm seine Gegner zutrauen. So nimmt er mehrmals am Auswahlverfahren des Südtiroler Sanitätsdirektors teil. Er hat alle Voraussetzungen, außer die Zweisprachigkeit. Als man ihn ausschließt, weist Gallo schlüssig nach, dass das Land vergessen hat diese Bedingung in die offizielle Ausschreibung aufzunehmen. Das Land schafft es sich irgendwie aus der Bredouille zu retten. Gallo beteiligt sich auch bei der nächsten Ausschreibung zum Sanitätsdirektor. Von seinem neuerlichen Ausschluss erfährt er aus der Zeitung.
 

Sticheleien & Anzeigen

 
Costantino Gallo beobachtet die Vorgänge in der Südtiroler Sanität von Padua aus minutiös. Immer wieder schreibt und stichelt er in Blogs und Interviews gegen augenscheinliche Missstände in Südtirol. Dass Gallo sich auskennt, das können selbst seine schärfsten Gegner nicht leugnen. Vor allem aber werden er und seine Mitstreiter aus der Südtiroler Sanität immer wieder mit Dokumenten und Insiderinformationen versorgt, die man dann in kryptischen Artikel verpackt, publiziert. Dabei legt man periodisch den Finger in offene Wunden der Südtiroler Sanität. So etwa weist er schlüssig nach, dass bei der Verlängerung des Auftrages seiner Ex-Frau Fehler gemacht wurden. Florian Zerzer muss den Beschluss nachträglich abändern.
An der Spitze des Südtiroler Sanitätsbetriebes wird man deshalb zunehmend nervöser. „Es wurden mehrere Anzeigen gegen diesen Herrn gemacht“, sagt Florian Zerzer. Das stimmt auch. Nach einem äußerst kritischen Blog zum Krankenhaus Schlanders verlangte Zerzer in einem Schreiben an die Südtiroler Ärztekammer die Einleitung eines Ausschlussverfahrens gegen Costantino Gallo. Zudem versuchte der Südtiroler Generaldirektor in einem weiteren Schreiben an Gallos Vorgesetzten in Padua die Einleitung eines Disziplinarverfahrens zu erreichen.
Was man aber in Südtirol nicht bedacht hat. Costantino Gallo ist seit vielen Jahren Aktivist der 5-Sterne-Bewegung. Spätestens mit der Regierungsübernahme und der Ernennung von Giulia Grillo zur Gesundheitsministerin stehen dem Paduaner Arzt die Türen im Ministerium damit offen. Es dürfte kein Zufall sein, dass man ausgerechnet Gallo zum Sonderberater für Südtirol ernannt hat.
Florian Zerzer ist vergangenen Mittwoch aber wie ein Stier gegen sein rotes Tuch gerannt.
 

Neuer Konfliktherd

 
Dabei könnte der amtierende Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes bei der Aussprache vergangenem Mittwoch in Rom einen zweiten Kapitalfehler gemacht haben. Zerzer wollte vom Ministerium die Zusicherung, dass man in Südtirol auch Krankenpfleger und –schwestern einstellen könne, die kein Italienisch sprechen. Als die Ministeriumsdelegation erklärte, dass das gegen die geltenden Gesetze verstoße, argumentierte Florian Zerzer damit, dass auch in der Südtiroler Ärztekammer Ärzte eingeschrieben seien, die kein Italienisch sprechen.
 
 
Es war ein Satz, der seine Gegenüber hellhörig werden ließ. Als man nachfragte, versuchte Zerzer zwar noch zu relativieren, doch es war zu spät. Bereits zwei Tage später trudelte eine offizielle Anfrage bei der Bozner Ärztekammer ein, ob das den Tatsachen entspricht. Auch das Gesundheitsministerium will hier eine Klärung. Es geht dabei um eine Grundsatzfrage: Können Ärzte in eine italienische Ärztekammer eingeschrieben werden, die kein Italienisch sprechen? Laut Staatsgesetz nicht.
Auch dieser Vorgang macht deutlich wie angespannt das Verhältnis mit Rom inzwischen ist.
Der Ernst der Lage wurde am vergangenen Mittwoch spätestens am Ende der Aussprache deutlich. Generalsekretärin Mara Tessaro erklärte Florian Zerzer offen dass er eigentlich kein Verhandlungsmandat habe. Das Gesundheitsministerium verhandle nicht mit dem Sanitätsbetrieb, sondern wenn schon mit dem Land.
Diese Botschaft ist in Bozen angekommen. Mit dem Brief des Landeshauptmannes an die Gesundheitsministerin wurde das Problem auf eine weit höhere Ebene gehoben.
Arno Kompatscher hat das Problem zur Chefsache ernannt. Er muss jetzt in Rom Feuerwehrmann spielen.