Vor einiger Zeit erklärte mir eine Mutter, weshalb sie ihr Kind nicht in den Kindergarten schickte, den sie quasi vor der Haustür hatte, folgendermaßen: „Da sind doch lauter Ausländer. Da kann dir passieren, dass du dann einen Mohammed beim Kindergeburtstag zuhause dabei hast. Und womöglich die Mutter auch noch. Was redest du denn mit so einer?“ Ja, schwierige Frage: Über Kernphysik oder doch lieber den üblichen Mami-Kram, den man halt so von sich gibt, wenn einen nichts verbindet mit der Gesprächspartnerin als die Tatsache, dass man eben Kinder hat?
Die Anekdote mag im ersten Moment als Paradebeispiel für Fremdenfeindlichkeit herhalten, sie zeigt aber auch, dass da Angst ist und Unverständnis. Angst vor dem Fremden, von dem man nichts weiß und von dem man keine Ahnung hat, wie man ihm begegnen soll. Angst, dass dieses Fremde in „unsere“ Welt eindringt und sie verändert, ja schlimmstenfalls unsere Kinder verändert, bei ihnen Spuren hinterlässt, die wir da nicht haben wollen, weil da eine andere Sprache ist, anderes Essen, andere Bräuche und andere Gewohnheiten. Angst, dass „unsere“ Kinder draufzahlen könnten, wegen dieses Fremden, weil man Rücksicht nehmen muss, weil ein paar Dinge vielleicht anders ablaufen in Kindergarten und Schule wenn’s da Fatimas gibt oder eben Mohammeds.
Das ist legitim. Es gibt keine größere Sorge als die um das Wohlergehen des eigenen Kindes. Deshalb werden Menschen, die man für weltoffen und liberal gehalten hat, vorsichtig und kleinlaut, und schicken den Sprössling dann lieber doch nicht in den Kindergarten mit dem hohen Migrantenanteil.
Es ist ein sensibles Thema, das uns zunehmend fordern wird. Gerade deshalb ist von Seiten der Bildungseinrichtungen viel Fingerspitzengefühl und Feinfühligkeit gefragt, um einerseits den Eltern diese Angst zu nehmen und andererseits den Eltern und Kindern mit Migrationshintergrund zu vermitteln: Ihr seid willkommen hier.
Es ist ein sensibles Thema, das uns zunehmend fordern wird. Gerade deshalb ist von Seiten der Bildungseinrichtungen viel Fingerspitzengefühl und Feinfühligkeit gefragt, um einerseits den Eltern diese Angst zu nehmen und andererseits den Eltern und Kindern mit Migrationshintergrund zu vermitteln: Ihr seid willkommen hier. Wir nehmen euch in unsere Gruppe auf. Ihr gehört zu uns und wir freuen uns auf euch. Keine einfache Aufgabe. Man würde ja meinen, aufgrund der Brisanz des Themas geht man mit besonderer Sorgfalt und Gründlichkeit vor, wenn das deutsche Schulamt eine Broschüre erstellt, die Lehrpersonen im Umgang mit muslimischen SchülerInnen beraten soll. Man würde meinen. Aber man lernt ja nie aus.
Wozu eine Arbeitsgruppe einrichten, wozu mit SchülerInnen, Eltern, Lehrpersonen, ExpertInnen darüber reden, welche die Bedürfnisse vor Ort sind, wenn man auch einfach zusammenpanschen kann, was es schon gibt? Schnell mal gegoogelt, ach, schau her, ein Faltblatt für Rheinland- Pfalz, „Muslimische Kinder und Jugendliche in der Schule“, und da noch was, „Islam und Schule
Handreichung für Lehrerinnen und Lehrer an Berliner Schulen“ – kurzer Moment des Zweifelns: Hmmm, Situation in Berlin ist vielleicht doch ein wenig anders als jene in Sarnthein – aber egal, ein bisschen gekürzt, Bilder von stereotypen Kopftuchmädchen reingeklatscht, da und da und da. Copy, paste, und tralala, schon ist die Broschüre da. Arbeitsaufwand eine Stunde, maximal. Quellenangabe: Fehlanzeige. Dass der oder die Schöpfer/in des Schriftwerks nun angeblich gefeuert werden soll, lächerlich. Wäre es nicht Aufgabe eines Vorgesetzten gewesen, das Ganze zu sichten und abzusegnen?
Hmmm, Situation in Berlin ist vielleicht doch ein wenig anders als jene in Sarnthein
Dabei ist das Abgekupfre nicht mal das Schlimmste. Es ist wohl peinlich, und gerade vom Schulamt kommend, unterminiert es die Anstrengungen, die man als Lehrperson ad nauseam unternimmt, um den SchülerInnen einzubläuen, dass sie ihre Quellen angeben müssen. Viel schlimmer aber sind die Gedankenlosigkeit und Gleichgültigkeit, die bei dieser Vorgehensweise durchscheinen. Man hat einfach eine Realität auf eine andere übertragen hat, ohne sich darum zu kümmern, ob diese zwei Realitäten deckungsgleich sind. Sie sind es nicht.
Wenn da etwa nach Geschlechtern getrennter, jahrgangsübergreifender Sportunterricht vorgeschlagen wird, dann ist das für Deutschland nichts Außergewöhnliches und an vielen Schulen bereits Usus.
In Südtirol kenne ich keine Schule, in der Jungs und Mädchen getrennt turnen, aber ich lasse mich gern eines Besseren belehren. Oder aber, wenn dazu geraten wird, während des Ramadan keine Schularbeiten anzusetzen. Das macht in Schulklassen mit mehreren Fastenden durchaus Sinn, aber haben wir die? Ein einziges Mal hatte ich einen Schüler, der schlapp in der Schulbank hing, und auf meine Nachfrage, ob er krank sei, lieber gestorben wäre, als zu sagen, was los war. Erst die Mitschüler klärten mich auf: „Der macht den Dings, den Bums, den Ramadan!“ Dass er daraufhin geschont wurde, was er aber keineswegs verlangte: Keine Frage. Dass die ganze Klasse deshalb keine Schularbeiten machen muss: Kommt gar nicht in Frage. Genau so stellt es die Südtiroler Broschüre aber dar: Als würde die Anwesenheit der einzelnen muslimischen SchülerInnen, die wir haben, verlangen, dass der gesamten Schulalltag auf den Kopf gestellt wird.
Dabei bestehen die größten Probleme mit muslimischen SchülerInnen meines Wissens unter anderem bislang darin, dass vereinzelt Mädchen nicht mitkommen, wenn die Klasse zwei, drei Mal im Jahr ins Schwimmbad geht. Was nichtmuslimische Mädchen übrigens genauso machen. Weil die Schminke zerrinnt oder sie sich nicht in Badebekleidung zeigen wollen. Ist ja auch egal. Ich habe noch keine muslimischen Eltern oder SchülerInnen erlebt, die von der Schule gefordert hätten, sich ihren Bedürfnisse anzupassen. Möglich, dass sie nicht unangenehm auffallen wollen, möglich, dass sie selbst Lösungen finden (siehe Schwimmbadbesuch), möglich aber auch, dass sie sich bereitwilliger eingliedern, als wir es für möglich halten.
Ein einziges Mal hatte ich einen Schüler, der schlapp in der Schulbank hing, und auf meine Nachfrage, ob er krank sei, lieber gestorben wäre, als zu sagen, was los war. Erst die Mitschüler klärten mich auf: „Der macht den Dings, den Bums, den Ramadan!“
Die mittlerweile
zurückgezogene Broschüre hat aber genau das Gegenteil suggeriert, indem sie Maßnahmen, die für unsere Realität überzogen sind, als sogleich in vorauseilendem Gehorsam zu beschreitende Wege darstellt. Ohne Not. Dabei schickten sogar die Autoren des rheinland-pfälzischen Flyers voraus, dass besagten Maßnahmen
„schwere Konflikte“ vorausgehen müssen. Von diesen schweren Konflikten zwischen muslimischen SchülerInnen und unseren Schulen habe ich bislang nichts mitbekommen, wohl aber vom Frohlocken der Freiheitlichen, ohne deren, in diesem Fall mal ausnahmsweise berechtigtem Einspruch, die Südtiroler Broschüre wohl immer noch in Umlauf wäre.
Ihnen hat man mit dieser unbedachten Aktion, die die Bevölkerung zunächst für einen Aprilscherz hielt, um dann in den Kommentarbereichen der Online-Medien Gift und Galle zu spucken, in die Hände gespielt. Die Leidtragenden dagegen sind unsere muslimischen MitbürgerInnen, die gar nichts wollten und doch auf den Deckel bekommen haben. Sie werden sich, zumindest in nächster Zeit, hüten, irgendwelche Ansprüche, und seien es auch noch so berechtigte, zu stellen, angesichts des Vorgeschmacks, den sie da unverlangt serviert bekommen haben.