Politik | SVP

Zellers unbequeme Analyse

SVP-Vizeobmann Karl Zeller hat in einem langen Positionspapier an die Parteileitung seine Überlegungen zum Abstimmungsverhalten zur Regierung Conte 2 dargelegt.
Karl Zeller
Foto: SVP
Als die Sitzung der SVP-Parteileitung am Montagnachmittag begann, waren die Rollen klar verteilt. 
Die Prätorianergarde um SVP-Obmann Philipp Achammer hatte sich vorab formiert. Die SVP-Senator Meinhard Durnwalder und Dieter Steger griffen umgehend an. Sie beschuldigten Karl Zeller der Informant von Tageszeitungs-Chefredakteur Artur Oberhofer zu sein. Es folgten ein halbes Dutzend verbale Angriffe auf den Vizeobmann. „Man hielt ein Scherbengericht ab“, beschreibt ein Mitglied der Parteileitung die Stimmung.
So etwa war sich der EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann nicht zu schade, eine alte Pressemitteilung des neuen Regionenministers Francesco Boccia vorzulesen, in dem sich dieser gegen eine Sonderautonomie für die Lombardei ausgesprochen hat. Als Beweis für die Autonomiefeindlichkeit der Regierung Conte 2.
 
 
Dass man den Angriff auf den eigenen Vizeparteiparteiobmann generalstabsmäßig vorbereitet hatte, liegt auch daran, dass Karl Zeller einen Schachzug tat, der die Anti-PD-Seilschaft unterm Edelweiß noch nervöser machte.
Der langjährige Meraner SVP-Parlamentarier verschickte ein Stunde vor Sitzungsbeginn an alle Mitglieder der SVP-Parteileitung ein Positionspapier in dem er seine Überlegungen zum Verhalten der SVP in Rom darlegt.
 

Zellers Schreiben

 
Liebe Parteifreunde, für die heutige Diskussion in der Parteileitung habe ich einige Gedanken niedergeschrieben, die für euch vielleicht von Interesse sind. Mit freundlichen Grüßen. Karl Zeller“, heißt es einleitend in dem Schreiben mit dem nüchternen Titel „Abstimmungsverhalten SVP zu Regierung Conte 2 - Überlegungen –" 
Was dann folgt ist eine messerscharfe Analyse des von SVP-Obmann Philipp Achammer & Co vorgegebenen Kurses.
Karl Zeller beginnt in seiner Analyse mit der Vergangenheit. Der langjährige Meraner Parlamentarier schreibt:
 
  • Ziel der SVP war es immer (und ist es wohl auch heute noch), in Rom das Beste für unser Land herausholen. Aus diesem Grund hat die SVP ihr Abstimmungsverhalten immer nach den Regierungserklärungen der jeweiligen Ministerpräsidenten ausgerichtet. 
  • Dazu war es natürlich notwendig, diese abzuwarten, das Programm und die Ministerliste zu analysieren, zu verhandeln usw., bevor eine Entscheidung der Partei getroffen wird. Ohne alle Fakten zu kennen gibt es ja keine klare Entscheidungsgrundlage! 
  • Politik der SVP war immer die, dass bei autonomiefreundlichen Zusagen der Regierung und bei Aufnahme der Passage in die Regierungserklärung, dass Sonderautonomie geschützt und ausgebaut wird, das Vertrauen ausgesprochen wurde (1995 Dini, 1996-2001 Prodi, D ́Alema, Amato, 2006 Prodi, 2013-2018 Letta, Renzi, Gentiloni). Dies galt auch dann, wenn Teile der Koalition nicht auf der politischen Linie der SVP waren (wie z.B. Kommunistische Parteien 1995-2001, 2006-2008 oder Forza Italia 2013) in der Regierungskoalition vertreten waren, also Parteien gegen die es starke Vorbehalte gab. 
     
 
  • Jedes Fenster und jede Chance, die sich zum Ausbau der Autonomie ergeben hat, hat die SVP genutzt: Ergebnis: Rund 75 Durchführungsbestimmungen in den letzten 25 Jahren, viele Gesetze und rund 4 grundlegende Änderungen das Autonomiestatuts. zugunsten von Südtirol, wobei die internationale Verankerung der Autonomie maßgeblich gestärkt wurde (Briefwechsel Faymann-Renzi, Kurz- Gentiloni). 
 

Grundlegender Unterschied

 
Es folgt ein Vergleich der beiden Regierungen von Giuseppe Conte. Zeller:
 
  • Conte 1: anti-europäische Haltung von 5S und Lega, keine Zusagen für Autonomie, SVP hat sich daher enthalten, mit Autonomie ist dann nichts weitergegangen (Einsetzung der 12-er-Kommission nach mehr als 1 Jahr!), viele Angriffe aus Rom, auch weil die Lega wegen Südtirol keinen Bruch mit 5S riskieren wollte. 
  • Conte 2: PD ist nun in der Regierung vertreten. Mit PD und dessen Vorgänger-Parteien ist die Südtirol- Autonomie stark ausgebaut worden. Mit PD hat PO Achammer Ende 2017 ein schriftliches Abkommen abgeschlossen (das weder von PD noch von SVP aufgekündigt wurde und das als Basis für das Autonomie-Programm in dieser Legislaturperiode dienen könnte), mit dem u.a. eine Reihe von Maßnahmen für Südtirol vereinbart sind (Brennerautobahnkonzession usw). 
 
  • Neu ist, dass 5S nun auf europafreundlichen Kurs eingeschwenkt ist (Unterstützung von der Leyen, Defizitverfahren 2 x abgewendet mit Zusage sich an die Regeln des Stabilitätspakts halten zu wollen). Auch gegenüber Südtirol will 5S nun zeigen, dass sie für Autonomie sind, autonomiefeindliche Minister Grillo und Toninelli nicht mehr in der Regierung, Fraccaro und Boccia haben dafür gesorgt, dass das Landesgesetz für öffentliche Arbeiten nicht angefochten wird, obwohl auch Lega-geführte Ministerien das verlangt haben. 
 
Die Situation ist heute grundlegend verschieden im Vergleich zu Juni 2018 als sich SVP enthalten hat“, resümiert Zeller.
 

Drei Varianten

 
Dann schneidet der stellvertretende Parteiobmann drei mögliche Szenarien an:
 
Folgende Möglichkeiten sind denkbar: 
Variante 1: Enthaltung – von Fall zu Fall dafür stimmen.
Variante 2: SVP spricht Regierung Conte 2 das Vertrauen aus.
Variante 3: Nur die Fraktionssprecher sprechen der Regierung Conte 2 das Vertrauen aus.
 
Es folgt ein Argumentarium in dem die Vor- und Nachteile der verschiedenen Varianten herausgearbeitet werden.
Zuerst legt Karl Zeller die Vorteile der Enthaltung (Variante 1) im Vergleich zur Zustimmung zur Regierung Conte (Variante 2) dar.
 
  • Keine Identifikation mit Regierung, Vorteil bei allfälligen unpopulären Maßnahmen, weil SVP sich leichter von der Regierung abgrenzen und nicht dafür mitverantwortlich gemacht werden kann. 
  • Kein Risiko, dass Lega bei späterem Wahlsieg die SVP „sanktioniert“. 
  • „Blockfreiheit“ SVP wird unterstrichen. 
  • Keine Änderung der Haltung, die vor 2-3 Wochen in PL beschlossen wurde (allerdings ohne vorher Programm und Ministerliste zu kennen!), also keine „Gefahr“, dass „Umschwenken“ kritisiert wird. 
 
 
Dann folgt ein Satz, den Karl Zeller bewusst gesetzt haben dürfte.
 
  • Enthaltung liegt auf der Linie, die von einer großen Tageszeitung vorgegeben wurde, also wird die Enthaltung, ganz gleich ob vernünftig oder nicht, von diesem Medium sicher unterstützt werden. 
Die Enthaltung liegt auf der Linie, die von einer großen Tageszeitung vorgegeben wurde, also wird die Enthaltung, ganz gleich ob vernünftig oder nicht, von diesem Medium sicher unterstützt werden. 
 

Die Nachteile

 
Dann arbeitet Zeller die Nachteile der jetzt beschlossenen Enthaltung zur Regierung Conte heraus.
 
  • kein großer Anreiz für Regierungsmehrheit für Südtirol große Zugeständnisse zu machen, wenn die SVP nur Gesetz für Gesetz entscheidet, wie bei der Regierung Conte 1; zudem funktioniert diese Taktik nur dann, wenn SVP Stimmen auch in Zukunft gebraucht werden, was nicht sicher ist. 
  • Strategie: zuerst sollen sie uns Maßnahmen für Südtirol genehmigen, danach entscheiden wir, ob wir Vertrauen geben, funktioniert nicht, weil die Regierung die Stimmen JETZT braucht; die SVP- Stimmen sind vor allem jetzt, beim Start, wichtig, damit die neue Regierung eine breitere Basis hat, mit den unterstützenden Parteien auf über 161 Stimmen kommt und nicht auf Einzelstimmen der gemischten Fraktion des Senats angewiesen ist. 
  • 5S, PD und LeU haben derzeit zusammen nur 161 Stimmen (105 + 51 + 4), Autonomiegruppe hätte potentiell 8 (!) also das Doppelte von LeU, die dafür immerhin den Gesundheitsminister erhalten hat! 
Die Autonomiegruppe hätte potentiell 8 Stimmen, also das Doppelte von LeU, die dafür immerhin den Gesundheitsminister erhalten hat.
  • Bei der 1.Vertrauensabstimmung wird definiert, wer Regierung und wer Opposition ist. Wer sich enthält, zählt NICHT zur Mehrheit, damit keine Teilnahme an Mehrheitsbesprechungen möglich, SVP bleibt vor der Tür, während z.B. andere Mitglieder der Autonomiegruppe teilnehmen können (Bressa, Laniece usw.). 
  • Schwächung der Position der Fraktionssprecher Sen. Unterberger und K.Abg. Schullian. 
  • Kein „Programm“ für Südtirol in dieser Legislatur möglich. 
  • Einflussmöglichkeit bei Vergabe Brennerautobahnkonzession wird geringer (Lega-geführte Regionen Veneto und Provinz Trient werden nun weniger Druck machen können!). Dasselbe gilt für Einsetzung und Besetzung 12-er- und 6-er-Kommission, der Gremien Brennerbasistunnel sowie hinsichtlich der Realisierung der südlichen Zulaufstrecken des BBT 
  • Gefahr bei neuem Wahlgesetz: kein politisches Veto SVP bei reinen Verhältniswahlsystem (es droht ein „Verlust von 2 Sitzen in der Kammer!) 
  • Weniger politische Druckmöglichkeiten um Anfechtungen von Landesgesetzen zu verhindern 

Das Fazit

 
Das Fazit des langjährigen Chefverhandlers unterm Edelweiß fällt vernichtend aus.
 
  • Noch nie (!) hat die SVP, wenn sie entscheidende Stimmen in einer Kammer des Parlaments hatte (was ja nicht gerade der Regelfall ist), diese Chance nicht genutzt („Blumen am Wegesrand pflücken“) und bei entsprechenden Zusagen des Regierungschefs Vertrauen verweigert: 50 von 75 DFB (darunter alle wichtigen) haben wir in den Jahren erhalten, wo unsere Stimmen in Rom wichtig waren! 

 

  • SVP findet sich damit in der „Gesellschaft“ mit FI, Fratelli d ́Italia und Lega, die der Regierung Conte 2 ebenfalls nicht das Vertrauen aussprechen, während die EU-Kommission, alle wichtigen europäischen Mitgliedstaaten und sogar der Vatikan die neue Regierung und deren EU- freundlichen Kurs begrüßen; SVP stellt sich also freiwillig und gegen ihre Tradition ins politisch Abseits 
Die SVP findet sich damit in der „Gesellschaft“ mit FI, Fratelli d ́Italia und Lega, die der Regierung Conte 2 ebenfalls nicht das Vertrauen aussprechen. Sie stellt sich also freiwillig und gegen ihre Tradition ins politisch Abseits.
  • Die neue Mehrheit in Rom stellen jene Parteien, die die Wahl von Ursula von der Leyen unterstützt haben und nun Paolo Gentiloni in die EU-Kommission entsandt haben, der auch für Südtirol immer ein wichtiger Ansprechpartner war. 
  • SVP hat wenig zu verlieren, denn falls die Regierung die Zusagen nicht einhält, kann sie ja jederzeit die Unterstützung entziehen. 
 

Der Kompromiss

 
Weil Karl Zeller klar ist, dass der Block Achammer-Durnwalder-Athesia längst Position bezogen hat, schlägt er in seinem Positionspapier eine „Mittellösung“ vor. Die Variante 3 nach der nur die Fraktionssprecher in Senat und Kammer der Regierung Conte das Vertrauen aussprechen sollen.
Zeller dazu:
 
  • Vorteil: Nachteile von Variante 1 werden abgefedert, „Öffnung“ zu Regierung Conte 2 wird unterstrichen, Fraktionssprecher können an den Mehrheitsbesprechungen teilnehmen (und damit wohl auch die anderen SVP-Parlamentarier, obwohl sie sich „nur“ enthalten haben). 
  • Nachteil: Haltung SVP nicht klar und eindeutig, keine geschlossene Haltung der SVP-Parlamentarier. 
 
Karls Zeller Überlegungen kamen und kommen der SVP-Führung mehr als ungelegen. SVP-Obmann Phillip Achammer und seine Linie setzten sich am Montag in der Parteileitung durch.
Zellers Gegenargumente sollten erst gar nicht aufkommen.