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Juristisches Erdbeben

Drahtzieher der katalonischen Unabhängigkeitsbewegung zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Spaniens innenpolitische Probleme nehmen kein Ende.
Flag Catalonia
Foto: Pixabay

Als Carles Puigdemont im Herbst 2017 das Ergebnis des zuvor stattgefundenen Unabhängigkeitsreferendums im katalanischen Regionalparlament verliest, ahnt er wohl noch nichts von der Tragweite seiner sezessionistischen Bemühungen. Damals sprechen sich 90% der an der Abstimmung teilnehmenden Bürger für die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien aus. Zwei Jahre später verkündet Spaniens Oberster Gerichtshof nun hohe Haftstrafen für Puigdemonts Mitstreiter.

 

„El Procés“ (dt. der Prozeß) ist mit großer Sicherheit das prägendste Justizkapitel der jungen spanischen Demokratiegeschichte. Neun katalanische Separatistenführer wurden vom obersten spanischen Gerichtshof wegen Aufstandes und Veruntreuung öffentlicher Gelder zu Haftstrafen von neun bis 13 Jahren verurteilt. Die Höchststrafe gab es für den ehemaligen Vize-Regierungschef Oriol Junqueras. Drei der Angeklagten wurden wegen Ungehorsams zu einer Geldstrafe und fast zweijährigem Berufsverbot verdonnert. Der Tatbestand der Rebellion, worauf im Falle einer Verurteilung sogar 25 Jahre Freiheitsentzug gestanden hätten, wurde von den Richtern um Manuel Marchena fallen gelassen. Gegen den ehemaligen Präsidenten der Regionalregierung Kataloniens Puigdemont wurde indes ein internationaler Haftbefehl erlassen. Er hält sich zurzeit im Exil in Brüssel auf und spricht im Zusammenhang mit dem Gerichtsurteil von einer „Barbarei.“

Junqueras bezog gegenüber der Tageszeitung El Mundo Stellung nach dem Urteilsspruch: „Sie haben Rache geübt, nicht Gerechtigkeit, weswegen ich diese Fragen vom Gefängnis aus beantworte, aber die Unabhängigkeitsbewegung ist stark und gefestigt. Ich bin überzeugt, dass dieser Urteilsspruch die Unabhängigkeitsbewegung nicht schwächen wird, sondern im Gegenteil.“  Als Antwort auf das Urteil gab es insbesondere in Katalonien landesweite Proteste von Befürwortern und Unterstützern der Separationsbewegung. Neben der Lahmlegung des Flughafens in Barcelona gab es zahlreiche weitere Akte zivilen Ungehorsams, teils unter Anwendung von Gewalt – auch seitens der Polizei kam es zu gewaltsamen Übergriffen.  

 

Aus der Hauptstadt Spaniens werden Stimmen laut, Puigdemont, Junqueras und Co. hätten von Anfang an um die Aussichtslosigkeit ihrer Unabhängigkeitsbestrebungen rund um 1-O, den 1. Oktober 2017 gewusst und ein Referendum bewusst forciert, um die Zentralregierung unter Druck zu setzen. Fest steht, dass der Verfassungsgerichtshof die Organisation einer Abstimmung 2017 untersagt hatte und sich die damals verantwortliche Regierung Kataloniens darüber hinwegsetzte.

Die Anwälte der Verurteilten wollen wohl indes prüfen, ob eine Berufung beim spanischen Verfassungsgerichtshof oder dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen das Urteil Erfolg in Aussicht stellt.

 

Die Stimmen zum "Juicio del Proces" 

 

Die spanische Tageszeitung El Pais berichtete in der Dienstagsausgabe auf 25 Seiten über das Gerichtsurteil und in Folge auch eingehend über die Ausschreitungen im Zuge dessen. Die Haltung des Blattes mit Redaktionssitz in Madrid ist eindeutig: „Dieser Urteilsspruch […] beendet das juristische Kapitel einer der größten institutionellen Krisen, dieses durch die Verfassung geschaffenen demokratischen Systems. […] Die verhängte Strafe resultiert aus der strikten Anwendung des Strafrechts in einem Rechtsstaat, nicht aus einem einseitigen Prozess oder aus Vergeltung.“ So einer der zahlreichen Kommentare.

 

Die weltweite Presse hingegen beäugt das Geschehene wesentlich kritischer. Über die sozialen Medien meldeten sich auch mehrere Mitglieder des Europäischen Parlaments zu Wort und kritisierten den Urteilsspruch. Offizielle Rügen aus EU-Mitgliedsstaaten blieben bisher aber aus, die verfassungsrechtliche Integrität Spaniens als wichtiger Bestandteil der EU scheint wohl nicht infrage gestellt zu werden. The Telegraph aus London spricht deshalb von „rückgratlosen EU-Leadern“.

„Unsere Verfassung enthält drei Prinzipien. Die der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz. Zweitens, die territoriale Vielfalt; die Einheit Spaniens basiert auf der Vielfalt und einem hohen Maß an Selbstverwaltung der Autonomien. Und drittens, wie bei jeder demokratischen Verfassung, die Unverletzlichkeit der territorialen Integrität. Die Verletzung dieser drei Prinzipien ist die Grundlage für den Urteilsspruch". (Pedro Sánchez)

Für ein Spanien, das laut Aussagen von Premierminister Pedro Sánchez eine führende Rolle in Europa übernehmen wolle, sind die zunehmenden Spannungen zwischen Hauptstadt und Autonom-Region aber nichtsdestoweniger ein enormes Hemmnis.  Besonders im Hinblick auf die am 10. November stattfindenden Parlamentswahlen, könnte der Unmut eines nicht unwesentlichen Teils der spanischen Bevölkerung in einer Fortführung der bisherigen instabilen Lage münden. Es sind bereits die vierten Neuwahlen innerhalb von vier Jahren für die junge parlamentarische Monarchie. „Was für Auswirkungen das Urteil auf die Wahlen am 10. November hat, weiß ich nicht. Was ich aber weiß ist, dass Spanien nicht regiert werden kann, ohne die Stimme des katalanischen Volkes zu hören“, meint Kataloniens Regierungschef Quim Torra gegenüber CNBC. Tatsächlich deuten erste Umfragen auf keine eindeutigen Merhheitsverhältnisse hin. Die Sozialisten unter der Führung Sanchez´ bleiben wohl aller Voraussicht nach stärkste Kraft, dürften jedoch Probleme haben, Partner für eine Regierungskoalition zu finden. 

„Dieser Konflikt muss durch den Gang an die Wahlurne gelöst werden .... Wir sind überzeugt, dass früher oder später ein Referendum unvermeidlich ist. Wie können wir ansonsten den Bürgern eine Stimme geben?“ (Oriol Junqueras)

„Was wir fordern, ist ein Ende der Repression und die Freilassung der eingesperrten Politiker. Das ist der einzig mögliche Weg,“ so Alfred Posch i Pascual, seit einem Jahr Minister für auswärtige Angelegenheiten. „Wir wollen einen offenen Dialog zwischen uns und der spanischen Regierung, notwendigerweise auch durch die Mobilisation der internationalen Gemeinde.“ 

 

„Wir haben hier verfassungsrechtliche Diskrepanzen, ohne Zweifel. Unserer Ansicht nach, müssen jene politischen Diskrepanzen aber im Rahmen der Politik gelöst werden. Und gerade bei Themen, wo es nur sehr schwierig eine zufriedenstellende Einigung geben wird, ist es ratsam, das Volk zur Urne zu bitten. Auf diese Art und Weise kann ein Ausweg gefunden werden, der nicht über Haft, Exil oder polizeiliche Gewalt führt.“

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Sigmund Kripp Do., 17.10.2019 - 14:32

@Julian Mayr: Ich finde den reisserischen Ausdruck "Drahtzieher" im Untertitel des Artikels unangebracht und falsch. Ein Drahtzieher sitzt - wie der Ausdruck sagt - im Hintergrund, ist oft unbekannt, und zieht an Drähten, mit denen er Figuren bewegt. Die hier erwähnten Inhaftierten aber waren ganz offizielle, legal gewählte Politiker. Insofern wäre doch der Ausdruck "Proponenten" oder "Ideatoren" besser und gerechter.

Do., 17.10.2019 - 14:32 Permalink
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Sepp.Bacher Do., 24.10.2019 - 15:08

Aber wohl auch noch später; ich habe vernommen, dass erst eine Regierung der letzten zwei Jahrzehnte, die Autonomie der Katalanen beschnitten hat! Der derzeit wachsende Widerstand auf den Plätzen ist auch Folge von diesen wesentlichen Beschränkungen.

Do., 24.10.2019 - 15:08 Permalink