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Das Ringen um den Beitritt

Nordmazedoniens langer Weg in die EU scheint auch trotz Namensänderung kein Ende zu nehmen.
Zoran Zaev
Foto: Facebook/Zoran Zaev

Nordmazedonien gilt gemeinhin als Vorzeigestaat der Balkanregion. Positive Entwicklungen und Reformbestrebungen der letzten Jahre haben die Hoffnung auf einen Eintritt in die EU gestärkt. Die Regierungschefs der 28 Mitgliedsstaaten haben eine Entscheidung um die Aufnahme von Beitrittsgesprächen nun jedoch vertagt

 

Zurzeit zeigt sich die EU von einer paradoxen Seite. Die einen wollen raus aus der Union, andere hingegen hinein. Beides ist offensichtlich ein äußerst delikates Unterfangen, dass durch Einwände störrischer Volksvertreter zum Scheitern verurteilt scheint. Während Großbritannien nun auf Neuwahlen zuschlittert und erneut eine lebensverlängernde Maßnahme ihrer Mitgliedschaft über sich ergehen lässt, warten Staaten jenseits der Adria indes weiterhin auf die Aufnahme von offiziellen Beitrittsgesprächen. Einer davon ist die ehemalige jugoslawische Teilrepublik Nordmazedonien. Um den Beitrittsprozess in Gang zu setzen bedarf es aber der Zustimmung aller 28 Mitgliedsstaaten.

 

„Non“ zu Beitrittsgesprächen

 

Ärgster Widersacher in der Debatte um den Start offizieller Beitrittsgespräche mit Nordmazedonien und Albanien ist Frankreich. Staatspräsident Emmanuel Macron sieht in der Aufnahme korruptionsbefangener und reformbedürftiger Staaten eine Gefahr für die EU und plädiert daher für eine Reformierung des Erweiterungsprozesses. Auch die Niederlande und Dänemark zeigen sich nicht überzeugt von den Kandidaturen.

Das Ziel Europas darf nicht darin bestehen, die Erweiterung um jeden Preis voranzutreiben. Es funktioniert bereits bei 27 nicht und wird auch bei 28, 30 oder 32 Mitgliedsstaaten nicht besser. Bevor wir neue Mitgliedstaaten in die Union aufnehmen, sollten wir sie reformieren. Lasst uns die Dinge in Ordnung bringen. 

Emmanuel Macron

Nordmazedonien ist seit 2005 offizieller Beitrittskandidat für die europäische Union und wartet seither vergebens auf nennenswerte Annäherungen. Dabei war man während eines EU-Gipfeltreffens 2003 in Thessaloniki zur Übereinkunft gekommen, dass man von Seiten der EU „die europäische Ausrichtung der westlichen Balkanstaaten vorbehaltlos unterstützt“ und „die Zukunft der Balkanstaaten in der Europäischen Union liege.“

 

Die Außenbeauftragte der EU, Federica Mogherini wähnte sich im Frühjahr 2019 sicher: „Der westliche Balkan gehört zu Europa und wird Teil der Zukunft der EU, einer stärkeren, stabilen und geeinten Europäischen Union sein. Das vergangene Jahr war in der gesamten Region ein Jahr des positiven Wandels. Albanien und Nordmazedonien haben sich entschieden für Fortschritte auf dem Weg in die EU eingesetzt und Ergebnisse erzielt, die konkret sind und nicht rückgängig gemacht werden dürfen. Auf dieser Grundlage empfehlen wir heute, dass der Rat Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien aufnimmt. Die Erweiterungspolitik der Europäischen Union ist eine Investition in Frieden, Sicherheit, Wohlstand und Stabilität in Europa.“

Ein halbes Jahr später, Ende Oktober, vertagt der europäische Rat Gespräche nun bis auf Weiteres wieder. 

 

Neue und alte Hürden

 

Dabei nahmen die Geschehnisse in und um Nordmazedonien in letzter Zeit erfreuliche und vielversprechende Wendungen. Insbesondere der progressive Kurs der sozialdemokratischen Regierung um Zoran Zaev und die Beilegung des Namensstreits mit Griechenland sollten den Weg zu ersten Verhandlungen mit der EU ebnen.

Jahrzehntelang verhinderte dieser vermeintlich banale Namenszwist die Aufnahme Nordmazedoniens in internationale Organisationen und Partnerschaften. Als die damalige Republik Mazedonien Anfang der 1990er Jahre aufgrund des Zerfalls Jugoslawiens ein eigenständiger Staat wurde, entbrannte nach anfänglichen Kooperationsbestrebungen ein Streit mit dem Nachbarn Griechenland. Die Verwendung des Namens Mazedonien implizierte laut griechischer Ansicht den Anspruch auf das kulturelle und historische Erbe der antiken Region Makedonien, von wo aus einst Alexander der Große sein Weltreich begründete. Weiters lag auch die Angst vor möglichen territorialen Ansprüchen von Seiten Nordmazedoniens in der Luft. Befeuert wurden diese Befürchtungen insbesondere durch die nationalistische Politik des früheren Premierministers Nicola Gruevski und seiner Partei. Er wurde 2018 wegen Korruption und Amtsmissbrauch zu zwei Jahren Haft verurteilt und flüchtete nach Ungarn.

 

Griechenland blockierte also Jahrzehntelang Nordmazedoniens Eintritt in Organisationen wie der NATO und verhinderte nicht zuletzt auch eine EU-Mitgliedschaft. Jedenfalls bis zur Aushandlung des „historischen“ Prespa-Abkommens von 2018 zwischen Nordmazedonien und Griechenland, das den offiziellen Namenszusatz und darüber hinaus auch diverse andere Bestimmungen vorsieht. Einem baldigen Beitritt zum Militärbündnis steht vorerst nichts mehr im Weg. 

Nicht nur das Verhältnis zu den Nachbarstaaten ist in Nordmazedonien von hohem Konfliktpotential geprägt. Innerstaatliche ethnische Spannungen zwischen der mazedonischen Majorität und der albanischen Minderheit, die ungefähr ein Viertel der Bevölkerung ausmachen, kochen immer wieder hoch. In der Hauptstadt Skopje manifestiert sich dies in einer immer deutlicheren Segregation der Bevölkerungsgruppen.

 

Erlöschender Stern

 

Nichtsdestoweniger hat Nordmazedonien große Schritte in der Korruptionsbekämpfung und bei Reformen zur Rechtsstaatlichkeit gemacht. Nach Ansicht des Großteils der EU-Mitgliedsstaaten sei deshalb die Zeit reif für den Start erster Gespräche für einen möglichen Eintritt in die Staatengemeinschaft. „Wenn die EU sagt, der Prozess der Annäherung basiert auf erbrachten Leistungen, dann erwarten wir nicht mehr oder weniger, als dass wir daran gemessen werden, was wir erreicht haben“, so Staatspräsident Stevo Pendarovski in einem Interview mit der österreichischen Tageszeitung Die Presse.

 

„Wenn die Strahlkraft der Sterne der Union erlischt, dann bricht für uns die Dunkelheit herein. Und im Dunkeln werden wir uns verlieren“, so Zoran Zaev sinnbildlich in einem Interview mit Euronews. Man sei „Opfer eines geschichtsträchtigen Fehlers der europäischen Union“ geworden. Tatsächlich könnte ein weiterer Aufschub nachhaltige Konsequenzen für die Region und auch den Rest Europas bringen. Die Sorge ist groß, andere Akteure wie Russland, China oder die Türkei könnten ihren Einfluss auf dem Balkan steigern und so eine zukünftige Integration potentieller Krisenherde unterbinden. 

Wenn die Strahlkraft der Sterne der Union erlischt, dann bricht für uns die Dunkelheit herein. Und im Dunkeln werden wir uns verlieren. 

Zoran Zaev

Der noch amtierende Kommissionspräsident Jean Claude Junker spricht deshalb von einem „schweren historischen Irrtum.“ Der Standpunkt der Kommission ist klar: „Eine feste und glaubwürdige Beitrittsperspektive für den Westbalkan ist nach wie vor unerlässlich, um den Wandel voranzutreiben, die Aussöhnung zu unterstützen, Stabilität in die Region zu exportieren und die Werte, Normen und Standards der EU zu fördern.“ 

 

Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte will bereits im November das Erweiterungsthema erneut auf die Tagesordnung setzen. Italien, dessen Bevölkerung nordmazedonischer Provenienz mehr als 60.000 Menschen umfasst, gilt neben Österreich als Befürworter der Aufnahme von Beitrittsgesprächen. Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel würde die Aufnahme Mazedoniens begrüßen.

Präsident Pendarovski zeigt sich desillusioniert: „Der Rat hat unsere berechtigten Erwartungen bedauerlicherweise nicht erfüllt und er hat sich nicht an frühere Aussagen der EU selbst gehalten. Natürlich sind wir im Moment enttäuscht aber wir müssen unsere Emotionen beiseitelassen und den neuen Realitäten nüchtern ins Auge schauen.“ Diese Realitäten sind nun vorgezogene Parlamentswahlen im April.

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Benno Kusstatscher Do., 31.10.2019 - 20:08

Wenn es nicht grad um Doppelpässe geht, machen wir uns erstaunlich wenig Gedanken über den Balkan, der immerhin bereits Wiege eines Weltkrieges war.

Die Türkei haben wir mit solcher unentschlossenen Verzögerungstaktik bereits aus dem westlichen Einflussbereich verloren. Andererseits ist es seit der Visegrad-Erfahrung schon verständlich, dass manche skeptisch auf der Bremse stehen.

Zu betonen ist da besonders die kontraproduktive Position Österreichs und Italiens, die einerseits händereichendes Tor zum Balkan mit Eigeninteresse sein wollen, andererseits mit den destruktiven Kräften in den neuen Mitgliedsländern im Osten herumschmusen und dadurch den Beitritt der Balkanländer behindern.

Do., 31.10.2019 - 20:08 Permalink
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gorgias Fr., 01.11.2019 - 18:55

Antwort auf von Benno Kusstatscher

Welchen Einfluss? Es war immer nur eine Minderheit die westlich orientiert war. Die kemalistischen Eliten oder sog. "weissen Türken" waren westlich orientiert. Der Rest der Bevölkerung hat mit westlichen Werten nicht viel am hut. Seit der Gründung der Republik Türkei gab es immer wieder Putsche der Militär die als "Wächter des Laizismus" immer wieder das System restaurierten. https://www.zeit.de/politik/ausland/2016-07/militaerputsch-tuerkei-chro…
So ein System war immer schon autoritär und Erdogan war niemals ein Demokrat sondern ein Extremist und Fundamentalist der Kreide gefressen hat. Und als er die Gelegenheit hatte, die Türkei in eine Presidialdiktatur umbebaut hat. Dass es mit den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nicht mehr weiter geht, liegt zum großen Teil an der Türkei selbst. Die Menschenrechtsverletzungen sind nicht hinnehmbar. Und wir können froh sein, dass die Türkei nicht der EU beigetreten ist, sonst wären wir in dieser strapazierten Situation noch schlechter dran. Die Türkei wird eh nicht mehr lange in der NATO bleiben. Man braucht nur sehen wie diese mit Syrien und Russland paktiert.

Dass viele osteuropäische EU-Mitglieder nicht auf die Migrationsträume anderer EU-Staaten Lust haben, ist nachvollziehbar. Die Integration funktioniert nicht wirklich, weil die kulturellen Unterschiede zu weit auseinander klaffen und jene die hier her kommen zu einem großen Teil nicht wissen wie unsere Gesellschaft funktioniert und nur an Sozialleistungen Interessiert sind.

Ich kann mich an eine Folge der Sendung presseclub erinnern, wo ein osteuropäischer Journalist meinte, dass viele Osteuropäier in Westeuropa waren und gesehen haben, dass die Integration nicht funktioniert und deswegen darauf gerne verzichten. Integration funktioniert, wenn es eine gemeinsame kulturelle Basis gibt. Deswegen funktioniert es gut mit den südamerikanischenb Migranten die nach Portugal kommen und mit den Ukrainern in Polen.

Es ist wohl Zeit aufzuwachen. Oder was brauchen wir nocht in Europa? Haben wir hier nicht genug Erdogansympathisanten und Clan-Kriminalität und was weiss ich noch? Migration ohne Plan und mit Helfersyndrom wird unser Untergang sein.

Fr., 01.11.2019 - 18:55 Permalink
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Benno Kusstatscher Fr., 01.11.2019 - 19:48

Antwort auf von gorgias

Ich lese mal drüber weg, dass Türkei und Syrien, die sich mit Panzern gegenüber stehen, miteinander "taktieren" würden, lasse die Migration als offtopic-Thema beiseite, und verkneife meine Belustigung bei Untergangsängsten.
Aber zum Thema: der Balkan, Osteuropa und auch Russland leben seit Jahrhunderten im selben europäischen Kulturkreis. Sicher, Spanien hat eine teils arabische Geschichte, der Balkan bis kurz vor Wien eine teils türkische. Von beiden hat Europa kulturell und wissenschaftlich profitiert.
Ost- und Westeuropa haben sich erst im 20.Jahrhundert auseinandergelebt, was, wie die ehemalige DDR zeigt, schwierig genug ist, aber Migrationsströme gab es hauptsächlich von Ost nach West, auch vom Balkan nach West.
Natürlich sind die Demokratien dort nicht stabil (Italien werfe den ersten Stein), aber wer die Geschichte kennt, weiß vom geopolitischen Interesse Russlands und der Türkei am Balkan. Am Balkan gibt es einen Wettbewerb der Systeme. Wenn wir nicht morgen russische, türkische, iranische oder arabische Realitäten in Bosnien, Serbien, Albanien, Nordmazedonien etc. wollen, dann muss es uns heut etwas wert sein. Sich über Helfersyndrome lustig zu machen, ist da wohl wenig weitsichtig.

Fr., 01.11.2019 - 19:48 Permalink
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gorgias Sa., 02.11.2019 - 03:36

Antwort auf von Benno Kusstatscher

Dass es einen kulturellen Austausch gab, streitet hier niemand ab. Es ist aber ein Unterschied wenn Gelehrte in Toledo griechische Texte wieder "Heimholt" oder man sich sonst reflektiert für die Übernahme von fremden Kulturgüter entscheidet. Oder wenn man es zulässt, dass gewisse Unkulturen sich in der Gesellschaft verbreitet werden evtl. auch durch ungeplante Migration. Dieses Experiment wurde schon in der Geschichte längst gemacht und kann im Süden Italiens besichtigt werden, wo Rechtsstaat, Infrastruktur und öffentliche Dienste disfunktional sind. Das Letzte was wir brauchen ist eine Terronisierung Europas.

Ich mache mich über Helfersyndrome nicht lustig. Menschen mit Helfersyndrom haben einen geschwächten Selbsterhaltungstrieb und überfordern sich selbst. Traurig ist nur, dass hier eine ganze Gesellschaft da hineingezogen wird.

Sa., 02.11.2019 - 03:36 Permalink