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Von einer unklärlichen Lücke

Ja, ich weiß, bis auf ein paar Wenige hängt das Thema "Doppelpass" den Meisten schon längst zum Hals heraus.
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Foto: arte, https://info.arte.tv/de/25-jahre-maastrichter-vertrag-ist-europa-noch-zu-retten

So sehr hängt es Einigen zum Hals heraus, dass ihnen allein schon das Überscrollen eines einschlägigen Textes zuviel ist. Mir persönlich geht es weitestgehend genauso. Ich würde den wahrscheinlich langweiligsten und sinnlosesten Dauer-Aufreger der Welt, wenn ich denn könnte, sofort und ohne Umstände in eine der staubigen Ecken der Südtiroler Geschichte verbannen, und ihn dort, ruhigsten Gewissens, vor sich hin modern lassen, bis der Zahn der Zeit ihn endgültig vertilgt haben wird. Es wurde ja auch, möchte man - frau auch - meinen, alles dazu gesagt. Im schieren Überfluss an einschlägigen Texten, Briefen, Forderungen, Meinungen, Vorschlägen, ernst und weniger ernst gemeinten, kann doch gar nichts mehr sein, das noch nicht ausführlich gesagt und besprochen worden wäre.

Und doch: Eine Lücke, finde ich, eine Lücke ist noch offen, und zwar eine sehr spannende Lücke. Unerklärlich, dass sie nicht schon längst, und mit Leidenschaft, gefüllt wurde. Denn in dieser Lücke, in dieser unerklärlichen Lücke, sitzt still und friedlich die Lösung, die freudige Aufhebung sämtlicher abgewetzter Träume von Doppel- und Dreifachpass, deren Bärte so alt sind wie der Bart des Kaisers, auf dessen Tage sich beruft, wer mit seinem aktuellen Pass nicht zufrieden ist, und mithin sehr viel älter als nur Schnee von vorgestern. Ich schlage also vor: Schneiden wir ihn doch einfach ab, den Bart vom Doppelpass, und den Doppelpass selbst gleich mit,

und widmen uns stattdessen der Lücke, der unerklärlichen Lücke, die da heißt: "Ein Pass für alle, und für alle den Gleichen". Man - frau auch - stelle sich nur einmal vor: Ein Projekt, an dem alle Südtirolerinnen gleichermaßen arbeiten könnten, egal welcher Sprachgruppe sie zugehörig sein wollen, egal für welche politische Farbe sie sich erklären und engagieren, egal, ob mit dem Hut der Schützen oder jenem der Alpini, egal, ob eher österreichisch oder italienisch oder nichts von beiden und einfach nur europäisch gesinnt, egal, ob "Südtirol" mit oder ohne Minus Herzensanliegen ist, und also: überhaupt alle. Danach könnten noch die Separatistischen aller europäischen Herrinnen Länder - Katalonien, Schottland und wo es sonst noch Abspaltungswütige geben mag in Europa - dazu genommen werden, und alle zusammen an einem größeren weiteren friedlicheren Europa arbeiten. Wer wollte etwas dagegen haben? Natürlich: Der europäische Einheitspass wäre nur ein erster Schritt auf dem Weg der zahllosen Dinge, die für ein besseres Europa noch zu setzen wären, aber es wäre, finde ich, ein gangbarer Schritt, ein guter Schritt, und ein großer Schritt – aber vor allem wäre er ein Schritt für alle, einer ohne Unterschiede und Unterscheidungen.

Und wer, wenn nicht wir, sollte diesen (ersten) Schritt tun? Und wer würde ihn mit schönerer Legitimation tun als wir, die europäischen Grenzgängerinnen die Grenzträumerinnen die Grenzvernichterinnen die Grenzverachterinnen und nicht zuletzt die Grenztrauernden?

Fehlte nur noch der Prinz, der das schlafende Dornröschen aus jener unerklärlichen Lücke wachküsst. Ich für mein Teil wüsste, wer für den Job in Frage käme, und ihn vermutlich sehr gut erledigen könnte - nämlich der gewählte Landesvorsitzende, in welchem Sinne und zu welchem Zwecke die Frage erlaubt sein muss: Lieber Herr Landeshauptmann, sehr geehrter Herr Kompatscher, machen Sie doch einen Sprung nach vorne, laufen Sie voran und öffnen Sie die Türen, die Ihnen und vielleicht nur Ihnen offenstehen, ziehen Sie die Fäden, die Sie und vielleicht nur Sie in der Hand haben, im Sinne des europäischen Einheitspasses, mit Geburtsort Südtirol, und dessen Landeschef als Geburtshelfer. Wie schön wäre das denn.

Notabene: Wo/falls nicht ausdrücklich genannt, sind Männer natürlich mitgemeint