Umwelt | Interview

“Umweltschützer dürfte es nicht geben”

Einerseits immer mehr, andererseits immer weniger: Elisabeth Brunner von der Umweltgruppe Olang sieht Südtirol und seine Landwirtschaft auf dem falschen Weg.
Acker
Foto: Othmar Seehauser

“Es geht mir nicht darum, die Bauern schlecht zu reden”, will Elisabeth Brunner eingangs sofort klarstellen. “Aber so kann es nicht weiter gehen!” Brunner ist seit April Vorsitzende der Umweltgruppe Olang. Die hat ein Foto auf Facebook gestellt, das mit Schnee bedeckte Wiesen im Gsieser Tal zeigt, auf denen vergangene Woche Gülle ausgebracht worden ist. Das ist in Ausnahmefällen wie dem heurigen frühen Wintereinbruch erlaubt. Dennoch sagt Brunner: “Wir müssen alle schleunigst umdenken.”

salto.bz: Frau Brunner, sind solche Bilder Einzelfälle?

Elisabeth Brunner: Nein, leider sind uns solche Bilder bestens bekannt – zum Beispiel abgeerntete Maispflanzen, die auf den Feldern nicht mehr zu sehen sind, weil sie völlig von Gülle bedeckt sind – und wir haben den Eindruck, dass es jedes Jahr schlimmer wird. Heuer ist es eben sichtbarer, weil gerade der viele Schnee lag. Aber das Problem liegt hier schon tiefer.

Mehr Gülle kann nur ausgebracht werden, wenn in den Viehbetrieben mehr davon anfällt.

Ja, genau. Ich habe mir sagen lassen, dass in Südtirol 50 Prozent der Futtermittel zugekauft werden. Und das spricht eigentlich für sich.

Was heißt es, wenn Futtermittel zugekauft werden müssen?

Futtermittel werden zugekauft, damit die Kühe möglichst viel Milch geben, möglichst produktiv sind.  Dafür haben sie zu wenig Wiese, wir haben zu wenig Fläche, um die Futtermittel, die eigentlich benötigt würden, anzubauen. Wenn ein Bauer heute eine Wiese hat und genau die richtige Stückzahl an Vieh, dann bräuchte er nichts zukaufen, dann würde der Kreislauf stimmen. Aber der stimmt schon lange nicht mehr. Das mag eine etwas einfache Rechnung sein, aber: Wenn wir 50 Prozent zu viel Vieh haben, kann der Kreislauf einfach nicht stimmen. Und dann gibt es einfach auch zu viel Gülle.

Wo intensiv Gülle ausgebracht wird, ist die Artenvielfalt bedroht. Zudem können die Düngemittel ins Grundwasser gelangen. Andererseits brauchen die Bauern diese Düngemittel, der Bauernbund betont, Gülle sei “gut” und “wertvoll”. Ist dieses Dilemma zu lösen?

Es muss einfach ein Umdenken stattfinden. Anders geht es nicht. Wir können nicht jedes Jahr wieder zehn Kühe mehr anschaffen. Das kann einfach nicht so weitergehen. Ob eine Güllewiese wertvoll ist, hängt immer von der Menge ab, die ausgebracht wird. Und es wird einfach zu viel ausgebracht. Man braucht sich nur umschauen: Je weniger Farben und Formen in einer Wiese vorhanden sind, desto weniger Biodiversität gibt es und desto weniger gesund sind die Tiere. Und ich glaube, das geht schlussendlich auf die Gesundheit von allen. Denn wir brauchen Biodiversität! Wir haben jedes Jahr weniger Insekten, weniger Tiere… Da muss es ein Umdenken geben.

Ich weiß nicht, ob es eine Illusion ist, aber ich möchte daran glauben, dass ein Wandel in Bezug auf Umweltschutz, Umweltbewusstsein und überhaupt im Wirtschaften kommt.

Wer muss umdenken?

Schauen wir nach Deutschland: Dort gibt die Bundesregierung der Landwirtschaft höhere Auflagen vor – und die Landwirte bäumen sich auf. Ja, es tut weh, aber es muss sein. Doch auch als Konsument muss ich mir überlegen, was ich überhaupt einkaufe. Ein Umdenken muss vom kleinsten Konsumenten, zur Politik bis hinein im größten Wirtschaftssystem geschehen. Ansonsten, so glaube ich, geht es nicht mehr weiter.

Eine Möglichkeit, zu verhindern, dass zu viel Gülle auf den Wiesen landet, ist, sie an Biogasanlagen zu liefern, die daraus Strom oder Wärme produzieren. Wäre das eine Lösung?

Wenn wir hergehen und sagen, schafft nur mehr Vieh an, denn es landet ja alles in der Biogasanlage, kann ich damit auch nicht ganz zufrieden sein. Es wird sicher besser sein, als hundert Mal in den selben Acker hineinzufahren. Aber eine richtige Lösung ist es meiner Ansicht nach nicht.

Welche Lösungen schlagen Sie vor?

Wir haben ja eh schon zu viel Milch, die, weil man nicht weiß wohin, am Ende zu Milchpulver verarbeitet und in Länder exportiert wird, und die Existenz der dortigen Bauern gefährdet. Ich weiß ja nicht… Man müsste alternative Wirtschaftsformen mehr ankurbeln – Solidarische Landwirtschaft, die es bei uns in Südtirol so gar nicht gibt; Permakultur – und den jungen Leuten einfach andere Anreize geben. Am besten schon in den Landwirtschaftsschulen. Und die Förderungen müssen überdacht werden. Denn wenn heute einer Mais anbaut, darf er zusätzlich mehr Großvieheinheiten pro Hektar halten. Ich glaube, das ist einfach der falsche Weg.

 

Umdenken und umsteigen – ist das Ihr Appell als Umweltschützerin?

Ich weiß nicht, ob es eine Illusion ist, aber ich möchte daran glauben, dass ein Wandel in Bezug auf Umweltschutz, Umweltbewusstsein und überhaupt im Wirtschaften kommt. Vielleicht wird es ihn nie geben, aber ich will daran glauben – ansonsten kann ich meine Aktivitäten als Umweltaktivistin an den Nagel hängen.

Der Kreislauf stimmt schon lange nicht mehr.

Und jeder kann selbst etwas zu diesem Wandel beitragen. Ich versuche es selbst an mir – nichts mehr aus Plastik zu kaufen. Es ist sehr, sehr schwierig. Man muss sich viel mehr Zeit nehmen und es kann sich vermutlich nicht jeder leisten. Aber wenn jemand will, findet ein jeder etwas, wo er sagt, das muss ich jetzt nicht mehr haben oder darauf verzichte ich. Ein kleines bisschen kann jeder tun. Wir wollen ja auch, dass unsere Kinder gesund sind und noch Kinder haben, dass sie sich an einer schönen Wiese, ein paar Vögelchen oder Schmetterlingen erfreuen können. Wir müssen ja schauen, dass es weitergeht. Ich verstehe das nicht!

Gibt es einfach zu wenig Umweltschützer?

Ich erinnere mich als ich mit meinem Sohn, der heute 35 ist, im Kinderwagen bei uns in Olang durch die Felder geschoben habe. Im Frühling waren sie voller Feldlerchen und es hat von allen Seiten richtig schön gezwitschert. Wenn ich heute durchgehe, höre ich nichts mehr. Die Feldlerche ist bei uns ausgestorben, genauso die Wachtel. Das muss einem doch zu denken geben, das kann uns doch nicht alles egal sein. Uns Umweltschützer dürfte es eigentlich gar nicht mehr geben – alle Menschen müssten sich um die Umwelt sorgen. Leider ist das nicht so. Aber wie gesagt, ich gebe die Hoffnung nicht auf.