Wirtschaft | Prävention

Halstücher & Vetternwirtschaft

Das Land verteilt kostenlos 300.000 Halstücher. Im Hintergrund brodelt jetzt eine Polemik um die Herkunft dieser Schutztücher. Die Verantwortlichen zeigen sich gelassen.
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Foto: Sabes
Thomas Widmann ist keiner, der sich so leicht aus der Ruhe bringen lässt. Schon gar nicht dieser Tage. „Wir haben derzeit andere gravierende Probleme“, sagt der Sanitätslandesrat durchaus freundlich, „aber wenn Sie diesen Punkt ansprechen, dann kann ich nur sagen: Ich habe damit nichts zu tun.“
Der Mann, der damit zutun hat, bestätigte wenig später diese Aussage. Florian Zerzers Aufgabe ist es unter anderem alle Bestellungen für Schutzkleidungen und Hilfsgüter für den Südtiroler Sanitätsbetrieb und das Land zu koordinieren. Der Generaldirektor gibt eine ebenso einfache, wie entwaffnende Erklärung ab: „Wir sind in einer solchen Notsituation, dass wir alles händeringend nehmen, was uns von lokalen Unternehmen angeboten wird“. Natürlich muss Angebot und Preis passen. „Aber wir schauen hier wirklich nicht auf die Namen“, sagt Zerzer dazu.
Diese Präzisierung gründet darauf, dass Salto.bz Widmann und Zerzer mit einem Vorwurf konfrontiert hat, der seit zwei Tagen massiv kursiert.
Man unterstellt vor allem Gesundheitslandesrat Thomas Widmann hinter vorgehaltener Hand Nepotismus.
 

Die Schlauchtücher

 
Ausgangspunkt ist eine Aktion, die ab heute in Südtirol über die Bühne geht.
Seit rund zwei Wochen treten alle Landespolitiker bei den Pressekonferenzen mit einem farbigen Schal um den Hals auf. Sowohl Landeshauptmann Arno Kompatscher, wie auch Sanitätslandesrat Thomas Widmann werden dabei nicht müde zu betonen, dass ein solches Halstuch, – im Fachjargon Schlauchtuch -  zwar kein medizinischer Mundschutz ist, aber dennoch im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus eine wichtige Hilfsmaßnahme sei. Diese Auffassung wird von internationalen Experten geteilt.
 
 
Jetzt hat man diese Maßnahme in der Corona-Vorsorge auf eine neue Ebene gehoben. Ab heute Samstag verteilen Landesregierung und Sanitätsbetrieb landesweit kostenlos solche Halstücher.  Sie sind in allen Zeitungsgeschäften, an Kiosken und in Trafiken in drei Größen erhältlich: für Männer, für Frauen und für Kinder. Ein Beiblatt gibt die wichtigsten Gebrauchshinweise. Die Präventionsmaßnahme soll der gesamten Bevölkerung zuteil kommen.
Bei der Vorstellung der Aktion haben der medizinische Einsatzleiter Primar Marc Kaufmann und der Bozner Sanitätsdirektor Pierpaolo Bertoli noch einmal darauf hingewiesen: „Achtung: Das Halstuch bietet keinen absoluten Schutz, aber es hilft die Infektionsgefahr zu reduzieren“.
Der Sanitätsbetrieb hat 300.000 solcher Halstücher angekauft. Kostenpunkt: rund 700.000 Euro.
 

Das Unternehmen

 
Hergestellt und verkauft werden die Halstücher von einem Südtiroler Unternehmen: Der Firma TEXmarket.
Das 1987 gegründete Unternehmen mit Sitz in Bozen, vier Produktionsstätten und mehr als 1.200 Mitarbeitern ist Marktführer bei individuell bedruckter Kleidung für den Radsport, Running, Wintersport, Triathlon und verschiedene Mannschaftssportarten. Das Unternehmen produziert für die bekanntesten Marken des Sektors und stattet so über 15.000 Mannschaften aus. Zu den Kunden zählen Marken, die 30 Prozent der besten Radmannschaften der Welt und 60 Prozent der Biathlon- und Langlaufmannschaften des Weltcups ausstatten. 
TEXmarket hat Anfang dieser Woche in seinem Werk in Timisoara in Rumänien, die Tätigkeit umgerüstet und den Großteil der Produktion auf die Herstellung der Schlauchtücher auszurichten. 
Für den Transport von Rumänien nach Bozen hat man auf einen privaten Spediteur gesetzt, um die Gefahr, dass die Produkte an der Grenze blockiert werden, zu verringern. Die erste Lieferung von 150.000 Halstüchern kam auch rechtzeitig an.
 
 
Der Südtiroler Sanitätsbetrieb hat uns am vergangenen Freitag bezüglich der raschen Lieferung von Schlauchtüchern kontaktiert. Es passiert nicht oft, dass man so einen wichtigen Beitrag für das eigene Land leisten kann: alles Mögliche zu tun, um dieser Anfrage nachzukommen war deshalb für uns selbstverständlich“, sagt Christoph Widmann.
Christoph Widmann ist zusammen mit seinem Bruder Heinrich und ihrem Schwager, dem Bozner Textilhändler Peter Stadler, Besitzer der TEXmarket. Christoph und Heinrich Widmann sind Cousins von Sanitätslandesrat Thomas Widmann.
Genau das ist der Punkt an dem sich die Polemik entfacht. In den vergangenen Tagen trudelten in der Salto-Redaktion über ein halbes Dutzend Nachrichten ein, in dem auf diesen Zusammenhang empört hingewiesen wird. Der Tenor der Meldungen: „Das ist im wahrsten Sinne des Wortes die reinste Vetternwirtschaft“.
 

Ein Engl

 
Dass ihnen diese Unterstellung – vor allem in dieser schweren Zeit – an die Nieren gehen, merkt man Thomas Widmann und Florian Zerzer an. Beide erklären gegenüber Salto.bz aber völlig transparent das Zustandekommen dieses Ankaufs.
Es fehlt uns – wie überall – an Schutzkleidung, Masken und Gerätschaften, deshalb müssen wir alles nehmen was wir bekommen“, sagt Thomas Widmann. Dabei habe man schon vorvergangene Woche beschlossen, so gut wie möglich lokale Unternehmen um Hilfe zu ersuchen.
Florian Zerzer erhielt den Auftrag über den Südtiroler Unternehmerverband Kontakt mit möglichst vielen Betrieben aufzunehmen. „Wir haben fast alle Rückmeldungen dankend angenommen“, sagt der Generaldirektor heute. Das Problem bei der Aktion: Es gibt in Südtirol nur wenige Unternehmen, die in so kurzer Zeit so große Menge an Schutzmasken oder Hilfsgütern produzieren und liefern können.
 
 
Glück hatte man bei Südtirols größtem Sportartikel-Hersteller. Dem früheren SMG-Chef und jetzigen Salewa-Manager Christoph Engl ist es gelungen ein großes Hilfspaket in China zu sichern. Bei der chinesischen Produktionskette von Salewa hat der Sanitätsbetrieb eine Million medizinische Mundschutzmasken, 500.000  FFP2- und FFP3-Schutzmasken, 400.000 Schutzanzüge und 40.000 medizinische Spezialanzüge für Ärzte bestellen können. Kosten des Gesamtpaketes: 9,3 Millionen Euro.
„Es ist eine Notsituation, wo es um jeden Tag geht“, rechtfertigt Florian Zerzer diese Vorgangsweise. Weil überall Material fehlt, brauche man die Hilfe jedes Unternehmens.
Polemiken über Verwandtschaftsverhältnisse helfen dabei im Kampf gegen das Virus kaum weiter.