Gesellschaft | Interview

„Die Menschheit ist brüchig“

Reinhold Messner über die Corona Krise, die Auswirkungen, das Ende der Globalisierung, eine andere Welt danach und warum er derzeit nicht nach Südtirol zurückkehren kann.
Salto.bz: Herr Messner, was tut ein Extrembergsteiger und Abenteurer im Hausarrest? Klettert er die Wände hoch?
 
Reinhold Messner: (lacht) Die Zeit des Extrembergsteigens ist lange schon vorbei. Deshalb kann ich nur sagen, was ein Bürger, Mensch, Autor oder Filmemacher in diesen Tagen tut. Ich war gerade in Äthiopien zum Bergsteigen. Als ich nach Europa zurückkehrte, kamen die ersten Schreckensnachrichten aus Italien. Ich hatte seit langem eine ganze Reihe von Vorträgen in großen Hallen in Deutschland geplant. Die ersten vier Auftritte konnte ich noch absolvieren, dann war Schluss. Danach habe ich mich wie alle anderen zurückgezogen und bin in München geblieben.
 
Warum München und nicht in Südtirol?

Das hat einen einfachen Grund. Meine Freundin ist Deutsche und darf damit weder durch Österreich fahren noch nach Italien einreisen. Ich könnte theoretisch nach Italien, aber ich will sie in dieser Situation hier nicht alleine lassen. Ich möchte so schnell wie möglich nach Südtirol zurück, weil wir dort den geeigneten Standort hätten, die Krise auszusitzen. Ich warte deshalb nur auf die Gelegenheit, dass wir beide dorthin fahren können.
 
 
 
Was tut ein Workaholic wie Sie den ganzen Tag?
 
Ich haben zu schreiben angefangen. Wenn ich eingesperrt bin, habe ich keine andere Möglichkeit. Um die Zeit totzuschlagen, habe ich mich entschieden, eine klare Struktur in meinen Tagesablauf zu bringen. Das heißt: Ich arbeite und schreibe Sachen, die ich vielleicht einmal brauchen werde.
Das Ganze zeigt uns deutlich, dass wir keine Star Wars, keinen Angriff von Außerirdischen brauchen, um unterzugehen.
Wie erleben Sie diesen Paradigmenwechsel?
 
Das Ganze zeigt uns deutlich, dass wir keine Star Wars, keinen Angriff von Außerirdischen brauchen, um unterzugehen. Es reicht ein Virus, dessen Verhalten die Wissenschaftler noch nicht durchschauen, um uns in eine Situation zu bringen, die man in Italien inzwischen Krieg nennt. Hier in Deutschland  wird diese Wortwahl noch nicht gebraucht, aber in Italien und vor allem in der Lombardei ist die Situation wirklich so dramatisch, dass man von Kriegszuständen sprechen kann. Uns wird damit vor Augen geführt, dass wir Menschen ein Mängelwesen sind, das sehr schnell in die Enge getrieben werden kann. Allein von einem Virus.

Die große Frage ist: Welche Folgen wird diese Krise für die Gesellschaft haben?
 
Ich bin überzeugt, dass uns das Ganze um Jahre zurückwirft. Vielleicht hat dieser Schock am Ende auch seine positiven Seiten. Aber für viele Menschen ist das das Ende wirtschaftlicher Natur. Viele kleine Unternehmer, die sozusagen Woche für Woche weiterschauen müssen, werden Konkurs anmelden müssen. 
Am Beginn habe auch ich gedacht: Ach, mich betrifft das eh nicht und ich werde einfach schauen, irgendwo im Gebirge zu sein.
Sie dürfte das kaum treffen?
 
Ganz im Gegenteil. Auch meine Geschichten brechen zusammen. Meine Museen haben relativ hohe Spesen und ich kann und will die Leute nicht einfach entlassen. Wir haben plötzlich keine Einnahmen mehr. Zudem: Wovon lebe ich? Ich lebe von Vorträgen, von Auftritten und von der Vermittlung meiner Person. Das ist jetzt alles vorbei. Aber ich jammere nicht. Ich komme schon zurecht. Aber es gibt viele, viele Menschen - Musiker, Organisatoren, Veranstalter, aber auch Handwerker und kleine Kaufleute -, die das wirtschaftlich nicht überleben werden. Tausende kleine Läden werden Pleite gehen oder sind schon Pleite gegangen.
 
Es gibt Kritik, dass die Deutschen und auch ihre Regierung diese Notsituation zu lange nicht ernst genommen haben?
 
Nein, die Deutschen haben längst nachgezogen. Hier ist es inzwischen sehr streng. Man darf nur zu zweit hinausgehen. Wird man zu Dritt oder zu Mehreren erwischt, drohen Strafen bis zu 25.000 Euro. Jetzt ist es hier nicht mehr locker. Wobei man etwas sagen muss: Es ist auch nicht einfach für die Politiker, so drakonische Einschränkungen der Bewegungsfreiheit der Einzelnen umzusetzen. Man muss bedenken: Noch kann man Einkaufen gehen. Was aber, wenn das auch nicht mehr möglich ist? Wer hat schon 100 Kilo Kartoffeln daheim liegen oder 20 Kilo Spagetti.
Es gibt viele, viele Menschen - Musiker, Organisatoren, Veranstalter aber auch Handwerker und kleine Kaufleute -, die das wirtschaftlich nicht überleben werden.
Eine Grundsatzfrage ist es auch, wie weit die Einschränkung der Bürgerrechte gehen kann?
 
In dieser Notlage gibt es keine andere Möglichkeit. Es gibt keine andere Möglichkeit, als die infizierten Menschen zu isolieren. Ob das bei uns gelingt, wird sich zeigen. In China und in Korea hat man damit anscheinend Erfolg. Bisher haben wir es in keinem europäischen Land geschafft, diesen Peak herunterzuschrauben. Eine Erkenntnis aus dieser Krise ist auch die Tatsache, dass unsere Sanität auf diese Notsituation nicht vorbereitet war.
 
 
Sie sind jetzt 75 Jahre alt und gehören damit eindeutig zur Risikogruppe. Haben Sie Angst?
 
Nein, ich habe keine Angst um mich selbst. Ich glaube, dass ich mich ganz gut abgeschottet habe und auch gut aufpasse. Aber am Beginn habe auch ich gedacht: Ach, mich betrifft das eh nicht und ich werde einfach schauen, irgendwo im Gebirge zu sein. Was ich letztlich auch war. Heute sage ich: Wir hätten in Äthiopien bleiben soll, da waren wir weit weg von den Menschen. Aber wenn das so weiter geht, dann habe ich Sorge um das Nachher.
Ich glaube, dass wir die Globalisierung neu überdenken müssen.
Die Welt nach Corona wird eine andere sein?

Ja, die Welt wird eine andere sein. Ich glaube, dass wir die Globalisierung neu überdenken müssen. Dass gerade in Mailand das italienische Epizentrum der Seuche liegt, ist für mich kein Zufall. Mailand ist die Hauptstadt der Mode. Es gibt unzählige Messen. Fast das gesamte Zeug wird heute in China und Korea hergestellt. Für mich gibt es hier einen klaren Zusammenhang. Ebenso wird man gewisse Konzepte im Tourismus überdenken müssen. Man braucht nur zu schauen, wie hart es Südtirol getroffen hat. Auch durch Schuldzuweisungen aus Deutschland, die meiner Meinung nach völlig unberechtigt und unfair waren. Das alles muss danach wieder korrigiert werden. Wenn Südtirol damit aber für zwei, drei Jahre den Tourismus verliert, dann sind wir am Ende.

Düstere Prognosen?
 
Nein. Aber es muss uns klar sein, dass wir eine brüchige Menschheit sind auf dieser Erde. Dass wir Mängelwesen sind und dass es im Grunde genommen sehr wenig braucht, um uns umzubringen.