Seemann
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Gesellschaft | fritto misto

O Captain, my Captain!

So treiben wir denn dahin auf der See der Ungewissheit. Wie gut, dass es Käpt’n Gänsi gibt.

Wir sitzen alle im selben Boot. Auch schon gehört letzthin? Es soll wohl ein Trost sein, im Moment geht es nicht nur mir ziemlich an die Substanz, sondern auch dem Nachbarn, der Kassiererin, dem Arbeitgeber und den Twitter-Freunden. Leider stimmt es so bloß nicht. Wir paddeln wohl alle zur Zeit gleich hilf- und orientierungslos im weiten Meer der Krise herum, aber die Bötchen, in denen wir sitzen, die unterscheiden sich dann doch stark eines von dem anderen. Die Einen halten sich mit Müh und Not im morschen Kahn über Wasser, während die Anderen auf dem Luxusliner Cocktails schlürfen. Da kann ein und dieselbe Welle dann sowohl Todesurteil als auch nicht mehr als eine leichte Erschütterung sein. Und doch ist es so einfach auch wieder nicht. Weil die im morschen Kahn vielleicht mental stark und erprobt genug ist, den Schiffbruch abzuwenden, weil sie vielleicht einen verlässlichen Kameraden mit an Bord hat, während der im Luxusliner vor dem wilden Seegang schon auf wackeligen Füßen stand, weil er das Alleinsein nicht aushält oder eben mit dem falschen Kameraden unterwegs ist.

Was ich mit dem ganzen Geschwurbel sagen will: Wir können uns keine Urteile darüber erlauben, wer es im Moment schwer hat und wer weniger. Wem der Spaziergang an der frischen Luft (hach, die frische Luft!) vergönnt sei und wem nicht. Wer jammern darf und wer nicht. Alle dürfen jammern. Alle dürfen klagen. Wir sitzen zwar nicht im selben Boot, aber wir treiben in derselben Ungewissheit: Wie lange noch? Wie geht es weiter? Wie wird das Leben danach?

Mit sonorer Stimme versucht uns sturmgeschüttelte Südtiroler*innen nun schon seit Wochen Käpt’n Igloo, pardon: Käpt’n Immunologe Bernd „Gänsi“ Gänsbacher in den sicheren Hafen der Corona-freien Zone zu lotsen.

Das macht Angst. Und Angst kann das Beste und das Schlechteste im Menschen hervorbringen. Sie macht Menschen zu Denunzianten, die ihre Hilflosigkeit damit übertünchen, dass sie andere anschwärzen und glauben, der Gemeinschaft damit etwas Gutes getan zu haben. Sie macht Menschen zu Egoisten, die glauben, Freiheiten in Anspruch nehmen zu dürfen, die sie anderen versagen („Mir terfn aussi, weil mir hobn an Hund! Ober es?“). Sie macht Menschen zu Einzelkämpfern, die im Supermarkt feindselige Blicke austeilen, weil man ihnen ja die letzte Klopapierrolle wegschnappen könnte, und was dann? Apokalypse mit dreckigem Hintern? Unvorstellbar.
Gleichzeitig kann uns die Angst zu besseren Menschen machen, zumindest kurzzeitig. Sie führt dazu, dass wir uns aufrichtig besorgt nach Menschen erkundigen, die uns bis vor kurzem eigentlich schnurzepiep waren. Dass wir Nachbarn, mit denen wir bislang kaum ein Wort gewechselt haben, zum Trampolinspringen mit den Kindern in den Garten einladen, während wir selbst uns im Haus verbarrikadieren (Danke nochmals). Dass wir anderen Trost und Mut zusprechen, obwohl uns eigentlich selbst zum Heulen ist. Dass man gerade Menschen, die einem immer eher unsympathisch waren, grad sehr positiv erlebt. Und auch umgekehrt.

Das alles macht die Angst mit uns, dass wir manchmal über uns hinauswachsen und dann wieder klein und niederträchtig sind. Deshalb ist es auch so schwer, Menschen abzukanzeln, die sich jetzt daneben benehmen. Weil wir selbst die ganze Zeit über so wankelmütig und instabil sind, dass wir auch von den anderen nicht verlangen können, jetzt immer stark und korrekt zu sein. Es braucht also Geduld in jeder Hinsicht. Mit den Entwicklungen der Krise, und ganz besonders mit unseren Mitmenschen.

Ein Leben ohne Gänsi ist möglich, aber sinnlos – soweit meine persönliche Lektion aus der Corona-Krise.

Wie gut, dass wir zumindest einen Leuchtturm haben, der uns etwas guidance vermittelt: Mit gütigem Blick (okay, den kann ich mir nur vorstellen) und sonorer Stimme versucht uns sturmgeschüttelte Südtiroler*innen nun schon seit Wochen Käpt’n Igloo, pardon: Käpt’n Immunologe Bernd „Gänsi“ Gänsbacher in den sicheren Hafen der Corona-freien Zone zu lotsen. Und was sind wir dankbar dafür in diesen Zeiten der Ratlosigkeit. „Herr Professor, Sie sind ein SEGEN für uns!“, ließ ihn unlängst eine Hörerin seiner täglichen Sprechstunde auf Rai Südtirol mit beinah religiösem fervor wissen. Oder „Herr Immunologe Universitätsprofessor Doktor Hochwürden Gänsbacher, was täten wir ohne Sie?!“ Doch Gänsi beeindrucken weder schwärmerische Verehrung noch unterwürfiges Bombardement mit Titeln, beides lässt er eher widerwillig bis unwirsch über sich ergehen („ja, ja“), ist es doch nur Zeitverschwendung in seinem Kampf gegen den Virus – oder ist es nicht vielmehr ein Kampf gegen die Ignoranz seiner Landsleute?

 

„Herr Professor, stimmt es, dass man im Kuhstall nicht angesteckt werden kann?“, wollte jüngst ein Anrufer aus dem Eisacktal wissen, und es kostete Gänsi hörbar übermenschliche Anstrengung, sich von der Komplexität der Virenbeschaffenheit in die Niederungen des Kuhstalls zu begeben. „Horchen Sie!“, mahnt er dann ebenso beschwörend wie fassungslos, um zum wiederholten Mal den potentiellen Südtiroler Virenausscheidern klarzumachen: „ICH HABE SCHON GESAGT: Entweder der Mensch tötet den Virus oder der Virus tötet den Mensch! Top notsch!“ Da es von diesem Credo aber unzählige Varianten, Spielformen, Ausprägungen gibt („Was ist mit den Schuhen? Muss ich meine Schuhe waschen, wenn ich nach Hause komme?“), gehen dem Professor die besorgten Anrufer*innen nicht aus, die ihm immer wieder die Tücken der Virenbekämpfung im ganz praktischen Alltag vor Augen führen. Darf man seine Zahnprothese beim Zahnarzt abholen, wenn man „unten ohne“ ist? (hörbares Schnaufen beim Herrn Professor). Wirkt die Grippeimpfung nicht auch gegen Corona? (sehr hörbares Schnaufen beim Herrn Professor). Wieso bleiben nicht einfach alle zuhause, die infiziert sind, und die anderen dürfen raus? „HORCHEN SIE!!!“

Wir sitzen zwar nicht im selben Boot, aber wir treiben in derselben Ungewissheit.

So sehnsüchtig ich mir ein Leben ohne Corona vorstelle, so wenig kann ich mir nun ein Leben ohne tägliches halbstündiges Gänsbacher-Dozieren ausmalen. Ihm gebührt für sein unermüdliches Aufklären und Anschaulich machen post Corona ein Denkmal. Vielleicht so etwas wie eine Corona-Säule an prominenter Stelle, mit der Büste des heiligzusprechenden Professors on top und einem akustischen Best of seiner Moments auf Rai Südtirol.
Längst ist er zum heimlichen Schutzpatron der Lehrer*innen geworden, die bewundernd und schmerzlich wissend nicken, wenn er on air die Unbelehrbaren und Begriffsstutzigen, die Aufmüpfigen und die Musterschüler abholt und mit missionarischem Eifer erleuchtet, nur um zehn Minuten später wieder dieselbe Frage in leicht abgewandelter Form gestellt zu bekommen. Wohlig seufzend denken wir dann, so übel ist das mit der ganzen Schulschließung gar nicht. Man gebe dem Mann bitte eine Folgesendung, vielleicht gärtnert er ja oder kocht, irgendein Hobby wird er gewiss haben, in dem er uns auch in besseren Zeiten instruieren kann, denn: Ein Leben ohne Gänsi ist möglich, aber sinnlos – soweit meine persönliche Lektion aus der Corona-Krise.
Passen Sie auf sich auf.