Politik | Masken-Affäre

Zerzers Schutzengl

Es wird immer klarer, warum das Wiener Gutachten in der Sanitätsdirektion offiziell nicht aufscheinen durfte. Die Chronik einer Affäre, in der es um viel Geld geht.
Engl, Christoph
Foto: OberalpSalewa
Florian Zerzer hat in einem Punkt Recht und von Anfang an die Wahrheit gesagt.
Das Gutachten des Wiener Amtes für Rüstung und Wehrtechnik (ARWT) wurde weder vom Sanitätsbetrieb noch vom Land Südtirol in Auftrag gegeben.
Wer der eigentliche Auftraggeber ist, wird seit fünf Tagen bewusst verschwiegen. Selbst auf der Pressekonferenz mit dem Landeshauptmann am Donnerstag hütete man sich, auch nur ein Wort darüber zu sagen. Landesrat Thomas Widmann sprach von einem Gutachten, „das uns zugespielt wurde“, Generaldirektor Florian Zerzer von einem Gutachten, das „wir vertraulich erhalten haben“.
Die Frage ist warum man ein solches Staatsgeheimnis daraus macht, woher das Gutachten gekommen ist und wer der Auftraggeber beim Wiener Verteidigungsministerium war?
Die Antwort auf diese Frage findet man, wenn man sich einen Satz vergegenwärtigt, der längst zu einem Journalisten-Mythos geworden ist. „Follow the money – verfolgt die Spur des Geldes“, soll der geheimnisvolle FBI-Informant „Deep Throat“ den beiden Washington-Post-Reportern Bob Woodward und Carl Bernstein gesagt haben, die dann als Aufdecker der Watergate-Affäre in die Geschichte eingegangen sind.
Im ganz Kleinen ist es auch in dieser Affäre so.
Das wird klar, wenn man den mysteriösen Auftraggeber des ARWT-Gutachtens kennt. Es sind die Oberalp Group AG und deren CEO Christoph Engl.
Damit lässt sich die ganze Geschichte erzählen. Eine Geschichte in der es um die Sicherheit Tausender Mitarbeiter des Südtiroler Sanitätsbetriebes geht, aber auch um Millionen an Euro für ein privates Unternehmen
Es ist die Chronik einer Affäre, die über Südtirol hinausgeht.
 

Wiener Großauftrag

 
Am 23. März landet eine Boeing 777 der Austrian Airlines auf dem Wiener Flughafen Schwechat. Die Passagiermaschine kommt vom Flughafen Xiamen in China und hat keine Menschen an Bord sondern 130 Tonnen Schutzmaterial. Es ist die Ladung an Schutzenmasken und Schutzkleidung, die das Südtiroler Unternehmen „Oberalp Group AG“, bei Partner-Unternehmen in China für den Südtiroler Sanitätsbetrieb eingekauft hat.
Sechs Tage zuvor hatten Florian Zerzer & Co formal den Ankauf beschlossen. Kostenpunkt: 9,3 Millionen Euro.
 
 
Am Wiener Flughafen nimmt auch eine Abordnung des Österreichischen Roten Kreuz (ÖRK) die Atemschutzmasken in Empfang. Der Grund dafür: Das ÖRK ist an einem viel größeren Ankauf interessiert. Weil der erste Blick auf die Masken vielversprechend ist, schließt man noch am selben Tagen einen Rahmenvertrag zwischen ORK, dem österreichischen Wirtschaftsministerium und der Operalp Group.
Christoph Engl gelingt es für seine Firma einen Millionen-Deal einzufädeln. Nach gesicherten Recherchen des Wiener Nachrichtenmagazins profil bestellt das Rote Kreuz im Auftrag der Republik 20 Millionen Masken beim Südtiroler Sportartikelhersteller. Der Vertrag sieht vor, dass das Wirtschaftsministerium den Großteil der Kosten übernimmt.
Der österreichischen Recherche-Plattform Addendum wurde die Einkaufsliste aus dem österreichischen Innenministerium zugespielt. Die Oberalp-Bestellung ist die zweitgrößte Bestellung der Republik. Der Auftragswert liegt bei 26 Millionen Euro.
 

Zwei negative Gutachten

 
Weil das Wirtschaftsministerium zahlen muss, gibt die Behörde beim deutschen Prüfinstitut DEKRA mit Sitz in Essen ein Prüfgutachten zu den Oberalp-Masken in Auftrag. Das DEKRA-Gutachten liegt am 27. März vor. Es ist ein Schock. Aus dem Testbericht geht hervor, dass die KN95-Masken so schlecht sitzen, dass keiner der standarisierten Testreihen durchgeführt werden konnte.
Das DEKRA-Gutachten landet noch am selben Tag auf dem Tisch von Christoph Engl. Der Geschäftsführer der Oberrauch-Gruppe hat jetzt ein doppeltes Problem. Zum einen geht es um den Großauftrag in Wien und zum anderen um die Schutzmasken, die mit einer großen Show an den Südtiroler Sanitätsbetrieb übergeben wurden und deren Verteilung an die Südtiroler Krankenhäuser unmittelbar bevorsteht.
Christoph Engl tut das, was ein guter Manager machen muss. Er organisiert zusammen mit dem Österreichischen Roten Kreuz (ÖRK) eine zweite Prüfung. Am Morgen des 28. März, es ist ein Samstag, bringt die Firma Oberalp 50 Masken auf den Brenner. Dort werden sie von einem Sonderkommando des Bundesheeres übernommen und sofort nach Wien ins ARWT gebracht.
Es war ein Fahrzeug der Militärpolizei, das sich weil die Sache höchste Eile hatte,  nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzungen halten muss“, bestätigt der Sprecher des Österreichischen Verteidigungsministerium Oberst Michael Bauer gegenüber Salto.bz diesen Vorgang.
 
 
Am Samstag 16.30 Uhr wurde in den ARWT-Labors in Simmering mit dem Test der Masken begonnen. Der Leiter der Prüfung, Oberst Klemens Groh verfasst unmittelbar danach den Prüfbericht. Das Ergebnis ist bekannt. Der dreiseitige ARWT-Bericht ist noch katastrophaler als der deutsche Prüfbericht. Groh schickt den Bericht noch am Sonntag an den Auftraggeber der Prüfung: An Christoph Engl, Geschäftsführer der Oberalp-Gruppe.
Der negative Prüfbericht wird auch dem ÖRK bekannt. Zu diesem Zeitpunkt hat Oberalp bereits 1,7 Millionen Masken nach Wien geliefert. Anfänglich steht eine Stornierung im Raum. Dann einigt man sich auf eine pragmatischen Deal.
Wie der Cheflogistiker des Roten Kreuzes, Jürgen Kunert, der Wiener Tageszeitung Standard erklärte, würden zwei der sechs bereits gelieferten Chargen dem vereinbarten Standard für die medizinische Verwendung entsprechen. Die restlichen Masken können als Mund-Nasen-Schutz gebraucht werden.
Operalp werden demnach so lange liefern bis die vereinbarte Stückzahl erreicht sei.
 

Das Missgeschick

 
Noch am 29. März hat Christoph Engl aber auch seinen Südtiroler Auftraggeber von der Wiener Hiobsbotschaft informiert. Engl leitet das ARWT-Gutachten am Sonntagnachmittag per Mail „vertraulich“ an Florian Zerzer weiter.
Man muss dazu sagen, dass es zwischen Zerzer und Engl nicht nur eine langjährige Freundschaft gibt, sondern dass beide im öffentlichen Bereich jahrelang auch eng zusammengearbeitet haben. Florian Zerzer war von 1996 bis 2000 persönlicher Referent des damaligen Wirtschaftslandesrates Werner Frick und von 2000 bis 2004 Direktor der Abteilung Tourismus, Handel und Dienstleistungen. Christoph Engl war zu dieser Zeit Direktor der „Südtiroler Marketing AG" (SMG) und damit oberster öffentlicher Vermarkter Südtirols.
 
 
Christoph Engl schickte das Gutachten an die persönliche Mail-Adresse von Florian Zerzer ([email protected]). Was der Oberalp-Manager aber nicht bedacht haben dürfte. Diese Mails werden automatisch auch auf die offizielle Mailbox der Generaldirektion ([email protected]) umgeleitet.
Von dort wurde die Mail am Sonntagnachmittag pflichtbewusst an die klinischen Verantwortlichen der Südtiroler Krankenhäuser Gottfried Kühbacher (Innichen), Robert Rainer (Schlanders), Michael Engl (Sterzing), Elisabeth Montel (Brixen) Markus Markart (Sanitätskoordinator Gesundheitsbezirk Brixen), Valter Coarrocchi (Meran), Michele Sommavilla (Bruneck) und Flavio Girardi (Bozen) weitergeleitet. Sowie auch an den Leiter der Covid-19-Taskforce Marc Kaufmann und an denVerwaltungsdirektor des Sanitätsbetriebes Enrico Wegher.
Nach Information von Salto.bz war die Weiterleitung ein Missgeschick und nicht so wie im Nachhinein angekündigt eine Transparenzoffensive. Das wird auch an der „Archivierung“ des Gutachtens durch Florian Zerzer deutlich und seinen Anrufen am späten Abend bei jenen die das Gutachten erhalten haben. Salto.bz hat mit zwei der Empfänger der Mails bereits vor Tagen gesprochen. Beide haben die telefonische Intervention deutlich anders in Erinnerung, als sie der Generaldirektor jetzt öffentlich darstellt.
 

Cui bono?

 
Ich bin doch nicht blöd“, sagt Florian Zerzer im Interview mit der Tageszeitung. Als gelernter Informatiker wisse er, dass man einen Mailverkehr nicht verschwinden lassen könne.
Zudem hätte der Sanitätsbetrieb zwei Tage später, am Morgen des 31. März in einem Rundschreiben alle Mitarbeiter darauf aufmerksam gemacht, dass die Masken richtig getragen werden müssen. „Die Sicherheit unsere Mitarbeiter ist für uns das wichtigste Anliegen“, sagen Florian Zerzer und Thomas Widmann unisono am Donnerstag auf der Pressekonferenz.
Nun ist mittlerweile bekannt, dass im Prüfbericht des ARWT wörtlich steht: „Dies hatte zur Folge, dass bei 39 (von 48, C.F.) Masken beim Anlegen ein Dichtsitz im Bereich des Kinns und der Wangen nicht möglich war
Dass die Mitarbeiter darauf aufmerksam gemacht wurden, dass die Masken richtig getragen werden müssen, ist also kaum hilfreich, wenn die Masken (laut ARWT) gar nicht richtig getragen werden können.
Aber unabhängig davon bleiben bisher einige zentrale Fragen ungeklärt: Warum musste das Gutachten unter allen Umständen geheim bleiben? Warum hat man im Rundschreiben an die Mitarbeiter nicht auf das Gutachten verwiesen? Und vor allem: Warum hat Florian Zerzer das vertrauliche Mail „archiviert“ und das Gutachten und dessen Eingang bis zum 7. April im Sanitätsbetrieb nie offiziell protokollieren lassen?
 
 
Auch auf diese Fragen gibt es eine genauso einfache, wie auch beunruhigende Antwort.
Tatsache ist, dass das Unternehmen Oberalp den Großteil der Lieferung für den Sanitätsbetrieb vorausbezahlt hat. So hat das Unternehmen nicht nur die Lieferanten in China bezahlt, sondern auch das Geld für den Cargo-Lufttransport nach Wien vorgestreckt.
Der Zufall will es, dass die Führungsspitze des Sanitätsbetriebes am selben Vormittag des 31. März an dem man das Rundschreiben an die Mitarbeiter hinausgeschickt hat, den Beschluss Nr. 217/20 gefasst hat.
Der Betreff: „Covid19- Rückerstattung von Flugtransportspesen an die Firma Ober Alp AG von Bozen für die Lieferung von verschiedenen PSA aus China an den Sanitätsbetrieb der Autonomen Provinz Bozen“. Der Sanitätsbetrieb erstattet mit dem Beschluss 705.603,23 Euro an die Oberalp zurück.
Vor diesem Hintergrund wird eines klar. Hätte der Sanitätsbetrieb offiziell ein Gutachten erhalten, das gravierende Mängel an der Lieferung nachweist, hätte man weder die Transportkosten der Oberalp AG zurückerstatten, noch die gesamte Lieferung so wie beschlossen bezahlen können.
Für das Unternehmen geht es dabei um mindestens zwei Millionen Euro.
Das ist der Grund, dass die Krankenhaus-Leiter des Gutachten unbedingt vergessen mussten und Florian Zerzer ohne Protokollierung es in seiner Ablage „archiviert“ und dann in den Mails löschen lassen hat.