Gestrandet auf der Alm
Adrian* kommt seit vielen Jahren nach Südtirol. Und das, zweimal im Jahr. Im Sommer, um Wanderer und Touristen auf einer Berghütte zu bedienen, im Winter, um Skifahrer mit einer warmen Mahlzeit zu beglücken. Der Rumäne ist als Saisonarbeiter im Gastgewerbe tätig. Zumindest war er es, bis Covid-19 Südtirols Hotels und Gasthäuser lahmlegte. Seitdem ist Adrian einsamer Bewohner der Südtiroler Berghütte, in der er normalerweise arbeitet. Aufgrund der Entscheidung, Italien als Sperrzone zu erklären, musste Adrians Betrieb schließen, und den Weg nachhause schaffte der Rumäne in der kurzen Abfolge unvorhersehbarer Entwicklungen nicht. “Der Gastbetrieb, in dem ich arbeite, schloss am 10. März. Bis dahin blieb ich natürlich in Südtirol, weil ich arbeiten musste,“ erzählt Adrian. „Bereits am 12. März wurden alle Flüge aus Italien nach Rumänien eingestellt. Auch Busse fuhren keine mehr,“ so der Saisonarbeiter. In den zwei Tagen schaffte es Adrian nicht, seine Abreise zu organisieren und kam daher nicht rechtzeitig nach Rumänien. Die Abfahrt aus anderen Ländern war bald ebenso nicht mehr möglich: Flüge aus Spanien oder Frankreich stellte die rumänische Regierung ein.
Zwar organisierte Rumänien anfänglich noch einige Flüge, um seine Bürger nachhause zu holen. Doch diese galten zuallererst jenen mit gesundheitlichen Problemen, oder Arbeitern, die ohne Rückflug nach Rumänien in Italien auf der Straße gelandet wären. Adrian hatte Glück im Unglück, denn sein Betrieb bot ihm zwar einen Schlafplatz, doch minimierte er dadurch seine Chance, nach Hause zurückgeholt zu werden. „Da ich nicht als Notfall eingestuft wurde, hatte ich keine Priorität für die Rückholflüge.“ Bald darauf wurden alle Notfalltransporte von der rumänischen Regierung eingestellt.
Der Gastbetrieb, in dem ich arbeite, schloss am 10. März. Bereits am 12. März wurden alle Flüge aus Italien nach Rumänien eingestellt. Auch Busse fuhren keine mehr
Adrian meldete sich beim rumänischen Konsulat, dort steht er jetzt auf der Warteliste. Doch bisher bekam er noch keine Antwort. Langeweile und Einsamkeit inmitten der Südtiroler Berge sind jetzt seine stetigen Begleiter.
Damit ist er jedoch nicht allein. So wie Adrian geht es vielen Gastarbeitern, die in Italien während der Sommer- und Wintersaison ihrer professionellen Tätigkeit nachgehen. Laut Daten der Landesabteilung Arbeit wurden vom 9. bis zum 15. März knapp 18.000 Arbeitsverhältnisse vorzeitig beendet. Dies betrifft besonders die Branchen Beherbergung, wo die 21.000 Beschäftigten von Ende Februar auf 7.000 bis Ende März sanken, und die Gastronomie. Dort arbeiteten Ende Februar noch 11.000 Personen, einen Monat später nur mehr 7.000. Da diese Branchen hauptsächlich saisonal Arbeiten, treffen die vorzeitigen Kündigungen vor allem saisonale Arbeitskräfte, die nicht selten aus anderen EU-Staaten kommen, so wie Adrian. Zwar sind nicht ausschließlich saisonale Arbeitnehmer betroffen, denn manche Betriebe bleiben ganzjährig geöffnet. Dennoch machen sie einen großen Teil aus.
Wieviel davon jetzt in Südtirol oder Italien festsitzen, dazu gibt es keine offiziellen Zahlen. Adrian kennt jedoch zahlreiche Rumänen, die wie er, in Tälern und auf Almen darauf warten, zurück nach Hause zu können. Gleichzeitig sind sie aber auch erleichtert, nicht zu ihren Familien zurück zu müssen, denn als Arbeiter im Gastgewerbe zählt man zu dem Virus besonders ausgesetzten Personen. Die Angst, die eigenen Eltern im höheren Alter anzustecken, ist daher groß.
Der Europäischen Union ist dieses Thema nicht fremd. Am 26. März kündigten die Staats-und Regierungschefs der EU an, sie würden gemeinsam mit der Kommission Lösungen in Bezug auf EU Bürgerinnen und Bürger angehen, die aufgrund geschlossener EU-Binnengrenzen nicht in ihre Heimatländer zurückreisen können. Am 30. März folgte dann ein Schreiben der EU Kommission, in dem es übersetzt heißt:
„Temporäre Reisebeschränkungen müssen aufgehoben werden für Staatsbürger innerhalb des EU Schengenraums, die in ihr Heimtaland zurückkehren wollen.“
Theorie, schön und gut. Doch bezieht sich diese Richtlinie auf das Grenzmanagement, und nicht auf Rückholmaßnahmen, erklärt der Südtiroler EU-Abgeordnete Herbert Dorfmann: „Es geht darum, welche Beschränkungen an den Grenzen notwendig sind und welche nicht. Eine Pflicht, die Bürger heim zu holen gibt es an und für sich nicht.“ Bis jetzt hätte die Grenzöffnung für Heimkehrer gut funktioniert, meint Dorfmann: „Ungarn hat zum Beispiel die Grenzen geöffnet, damit auch Rumänen durchfahren können, um nach Hause zu gelangen“.
Welche Verkehrsmittel zur Verfügung stehen, ist mit dem EU Beschluss natürlich noch nicht geklärt. So strenge Regelungen, wie Italien gefasst hat, gibt es in anderen Ländern nicht.
Doch wie Gastarbeiter in Ländern, in denen der öffentliche Transport weitgehend eingestellt ist, diese Regelung in die Praxis umsetzen können, darüber ist auch Dorfmann ratlos: „Welche Verkehrsmittel zur Verfügung stehen, ist mit dem EU Beschluss natürlich noch nicht geklärt,“ so der EU Parlamentarier. „So strenge Regelungen, wie Italien gefasst hat, dass man keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr nutzen darf, gibt es in anderen Ländern eigentlich nicht.“ Der Bericht bleibt somit ein gut gemeinter Rat der EU, ohne dabei die einzelnen Länder wirklich in die Pflicht zu nehmen, ihre eigenen Bürger nach Hause zu holen. Dafür reichen die Kompetenzen der EU nicht. Und wie so oft, spielt jedes Mitglied nach seinen eigenen Regeln.
Für Saisonarbeiter, die hingegen in sogenannten "systemrelevanten" Berufen tätig sind- genannt werden explizit das Gesundheitssystem und die Landwirtschaft- stellt ein anderer Beschluss der Kommission ebenfalls Leitlinien auf. Mitgliedstaaten sollen ihren Bedarf an Arbeitskräften in den jeweiligen Bereichen mitteilen. Die nötigen Fachkräfte aus anderen EU-Ländern sollen dann über die Grenze gelassen werden um, so heißt es in der Pressemitteilung, "auf den krisenbedingten Arbeitskräftemangel zu reagieren." In bestimmten Fällen nämlich, würden Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft für wichtige Erntearbeiten gebraucht. Ob auch nach Italien der nötige Transport für diese Fachkräfte gegeben ist, bleibt unklar.
*Name von der Redaktion geändert
Bekommen diese Menschen in
Bekommen diese Menschen in irgendeinerweise Unterstützung um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können (Geld, Lebensmittelgutscheine)?