Politik | Multilateralismus
„Ein Rennen um den Impfstoff“
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Nach zwei Monaten Pandemie fangen die Staaten dieser Welt an, Bilanz zu ziehen: Waren die Maßnahmen unserer Regierung ausreichend, um die Bürger zu schützen? Welcher Ansatz war der geeignetere: der totale Lock-down nach dem italienischen Modell oder der „Weiter-so“ Modus wie in Schweden? Letztendlich war Covid-19 aber ein globales Phänomen, das nicht nur die Gesundheit der Weltbevölkerung betraf, sondern auch die Weltwirtschaft, die humanitäre Situation und internationale Sicherheit. Demnach stellt sich eine Frage besonders: Wie schneidet die internationale Zusammenarbeit nach dieser Krisenzeit ab? Über dieses Thema sprach Dr. Ronja Scheler, Programmleiterin im Bereich Internationale Politik der deutschen Körber Stiftung beim Webinar „COVID-19: Gefahr oder Glanzstunde des Multilateralismus?“ des Bundesverbands Sicherheitspolitik an Hochschulen.
Der Machtkampf der Großen
Laut der Expertin für Internationale Kooperation und Krisenmanagement bieten internationale Krisen die ultimative Steilvorlage für internationales Handeln: „Die Finanzkrise von 2008 führte zur Etablierung der G20- eine starke Antwort auf die globale Herausforderung“, blickt Scheler zurück. „Bislang ist jedoch nichts dergleichen als Antwort auf die Coronakrise passiert“. Dies steht im starken Kontrast zur Ebola Krise vor sechs Jahren, als der UN-Sicherheitsrateine Resolution zur „Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit“ verabschiedete, eine Sondermission ins Leben rief und nationale Koordinatoren ihre Hilfsmaßnahmen miteinander abstimmten. Warum also handelt der Sicherheitsrat diesmal nicht so entschlossen? Was ist seitdem passiert?
Die Großen sitzen im Moment nicht mit am Tisch
Eigentlich wundert es nicht, dass internationale Institutionen diesmal so lange mit Antworten auf sich warten lassen, blickt man auf die internationale Kooperation letzten Jahre zurück: Die USA, einer der wichtigsten Geldgeber für internationale Organisationen, zog sich vom Pariser Klimadeal zurück und bezeichnete die NATO als obsolet. Donald Trump, das ist mittlerweile allen klar, ist kein großer Fan des Multilateralismus, sondern sieht „America First“. Doch genau von solchen staatlichen „Fans“ sind Organisationen wie die UNO oder die WHO abhängig, denn wie groß deren Handlungsspielraum ist, entscheiden die Geldsummen der Länder, insbesondere der Supermächte. „Wir beobachten zurzeit eine schwindende Unterstützung von der Bevölkerung für internationale Organisationen, weil es bei den Bürgern nicht ankommt, inwiefern diese ihrem alltäglichen Leben helfen“, erklärt Expertin Scheler. Doch das Grundbudget der UNO entspricht in etwa dem Budget der Stadt Stuttgart. Aus diesem Grund seien die hohen Erwartungen an internationale Organisationen und Kritik teilweise unangebracht, meint Scheler
Der skeptische Blick auf internationale Organisationen wiederspiegele sich laut Scheler auch bei Supermächten wie USA und China, die im Moment internationale Organisationen blockierten: „Zwischen China und den USA gibt es einen Systemkonflikt, und diesen Konkurrenzkampf führen bei der UNO fort, indem sie Resolutionen im Sicherheitsrat gegenseitig blockieren“. Die Reziprozität, also gegenseitige Hilfe, als fundamentales Prinzip des Multilateralismus sei hingegen am Schwinden, meint die Expertin: „Die Staaten versuchen mehr und mehr sich das besten aus den Organisationen herauszuholen, um es für die eigene Legitimierung zu verwenden.“
Das Schweigen der UNO
Die Coronakrise kommt als weiterer Schlag ins Gesicht des Multilateralismus hinzu, denn Covid-19 hat die Tendenzen noch verstärkt: Die USA und China zeigen gegenseitig den Finger aufeinander wenn es darum geht, einen Schuldigen für den Ausbruch des Virus zu finden. Der UN-Sicherheitsrat hat sich selbst an die Seitenlinie manövriert, trotz der Apelle des Generalsekretärs Antonio Guterres, die Staats-und Regierungschefs sollen zusammenkommen, um eine koordinierte Antwort auf die globale Krise zu geben: Seit 12. März tagt der Sicherheitsrat nur mehr online, aber ineffektiver denn je, da bis jetzt weder eine Erklärung, noch eine Resolution verabschiedet werden konnte. Die Friedensmissionen der UNO sind bis Juni ausgesetzt, genauso wie Friedensverhandlungen, die in Konfliktzonen eigentlich am wichtigsten wären, gibt Expertin Scheler zu bedenken: „Niemand spricht mehr über Libyen. Die Treffen zwischen den Konfliktparteien finden nicht mehr statt. Das ist eine besorgniserregende Tendenz.“ Scheler rechnet damit, dass aus der Krise mehr fragile Staaten und demnach auch mehr Konflikte hervorgehen werden, da unterliegende Faktoren wie Ungleichheit verstärkt werden.
Gerade aus diesem Grund seien andere internationale Organisationen wie etwa die WHO essentiell, denn sie schließt dort Lücken, wo Gesundheitssysteme auf nationaler Ebene nicht ausreichen. Doch auch hier machte Donald Trump, befeuert durch die Corona Pandemie, der internationalen Koordination einen Strich durch die Rechnung indem er die Finanzierungen für die Organisation einstellte.
Die Hoffnung auf die „Kleinen“
Scheler sieht aber auch Lichtblicke für die internationale Zusammenarbeit und bezieht sich auf die Zeit des Kalten Krieges, als das „Rennen um den Mond“, also die Konkurrenz der beiden Supermächte darum, wer zuerst den Mond besteigen konnte, zu Fortschritt führte. So ähnlich könnte diesmal ein „Rennen um den Impfstopf“ den Multilateralismus stärken: „Der Test wird sein, ob die Staatengemeinschaft in der Lage ist, einen Impfstoff zu entwickeln und ihn nach allgemein anerkannten Kriterien gerecht zu verteilen.“ Virologen berichten, die Wissenschaft habe noch nie so vernetzt und schnell gearbeitet, wie in dieser Pandemie. Ein Beispiel ist ResearchGate, eine online Plattform, auf der Forscher weltweit auf der Suche nach einem Mittel gegen das Coronavirus ihre Ergebnisse hochladen können. Auch Scheler setzt auf die Einbindung nicht-staatlicher Akteure zur Finanzierung der Forschung nach Impfstoffen und zählt etwa den Welcome Trust, die Gavi Impf Allianz oder die Bill- und Melinda Gates Stifung auf: „Das ist ein Weg, den man verstärkt einschlagen müsste, weil Staaten allein das multilaterale System schwer aufrechterhalten können,“ so Scheler.
Wenn es um die Aufrechterhaltung des Multilateralismus gehe, spielten die kleineren Staaten laut Scheler im Moment eine wichtigere Rolle. Auf Antonio Guterres‘ Aufruf, einen globalen Waffenstillstand auszurufen, reagierten verschiedene Gruppierungen, darunter im Jemen oder dem Südsudan. Auch Erzfeinde wie der Iran und Saudi Arabien legten ihre Streitigkeiten in der Krise beiseite, und Saudi Arabien schickte humanitäre Hilfe in den Iran. Auch bei der Finanzierung für die Entwicklung von Impfstoffen seien kleinere Staaten die Hauptspieler. Bei der von der EU-Kommission einberufenen internationalen Geberkonferenz am 4. Mai konnten 7,4 Milliarden Euro gesammelt werden. Weder Russland noch die USA beteiligten sich an der Konferenz, China schickte hingegen nur seinen Botschafter, statt den Premierminister: „Die Großen sitzen im Moment nicht mit am Tisch“, fasst Scheler die Lage zusammen.
Die EU hat sich als Krisenresilientes Geschöpf herausgestellt. Es wird eine Art der Anleihen für ganz Europa geben, die aber nicht Coronabonds heißen, damit alle zufrieden sind
Was bedeutet das für die EU?
Ein fundamentales Prinzip des Multilateralismus ist laut der Expertin Diffuse Reziprozität. Das heißt, Staaten erwarten bei Hilfestellung eine Gegenleistung ihres Gegenübers, jedoch nicht sofort. Genau jene Hilfe erwartete sich Italien von seinen europäischen, als es das erste Land war, in dem die Infektionskurve nach oben schoss. Diese kam zwar, denn es wurden z.B. Patienten aus Italien in deutschen Krankenhäusern aufgenommen, aber etwas zu spät. Die Lücke hatten hingegen Länder wie Russland und China geschlossen, die während der größten Not Masken und Personal lieferten. Wird Italien in Zukunft also China oder Russland zur Seite springen, und dafür sogar in Kauf nehmen, sich gegen seine europäischen Kollegen zu stellen?
„Ich glaube die Coronakrise hat die EU in eine Krise manövriert die es so in den letzten Jahren nicht gab,“ ist sich die Expertin sicher. Dennoch ist sie optimistisch: „Ich denke, dass die EU nicht zerbrechen wird, denn sie hat sich als Krisenresilientes Geschöpf herausgestellt, das viel aus Notsituationen lernen kann.“ Dafür müsse die EU zwei wichtige Fragen beantworten: Wie sollen Finanzierungslücken geschlossen werden? Und wie können wir innerhalb der EU mehr Solidarität zeigen. Zum Stichwort Coronabonds machte Scheler folgende Prognose: „Es wird wohl irgendeine Art der Anleihen für ganz Europa geben, die aber nicht Coronabonds heißen, damit alle Mitglieder zufrieden sind und ihr Gesicht wahren können.“ Entgegen der Sorge, dass Italien von nun an verstärkt auf China oder Russland setzen wird entgegnet die Expertin: „Chinesische Hilfslieferungen haben sich als gar nicht mal so hilfreich herausgestellt. Es war eher Teil einer gezielten Kommunikationsstrategie.“ Diese Sichtweise zeige sich vermehrt auch in der europäischen Berichterstattung.
Letztendlich liege in dieser Krise eine Chance, meint Scheler: „Den Globalisten war es schon immer klar, dass multilaterale Zusammenarbeit wichtig ist, um internationale Probleme, wie etwa die Klimakrise zu lösen.“ Doch jetzt könnte sich ein neues Mobilisierungspotential in der breiteren Gesellschaft ergeben, denn für die breite Masse war eine Krise noch nie so greifbar: „Den Menschen wird klar, dass das System zusammenkracht, wenn wir nicht zusammenarbeiten. Das ist jetzt also eine Riesenchance für unsere Politiker, die globale Ebene mit der nationalen Ebene besser zu vermitteln und deren Notwendigkeit an die Bevölkerung zu kommunizieren.“
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Solange ein Trump Präsident
Solange ein Trump Präsident der USA bleibt und der Streit zwischen den USA und China weiterläuft, solange Russland von der EU ausgegrenzt wird , solange die UNO über ein Budget verfügt, das nicht größer als jenes der Stadt Stuttgart ist (siehe oben), ist eine breitere internationale Gemeinschaftsbühne Illusion. Jetzt ist die EU gefordert, als Garant humaner Werte, die Solidarität und Zusammenarbeit mit anderen Staaten zu intensivieren, diese nicht auszugrenzen und Hegemonieansprüchen entgegenzuwirken.
Der Artikel setzt positiv das
Der Artikel setzt positiv das Ziel der internationale Zusammenarbeit in wissenschaftlichen Belangen, es wird aber nicht gesagt, dass die führenden Industrienationen dieses Ziel de facto boykottieren. Aus diesem Grund ist die WHO, auf die es ankäme, in einer mißlichen finanziellen Situation und auf Privatspender (einer der größten ist Bill Gates) angewiesen. China wird aber im Artikel auffallend ungerecht zitiert: "„Chinesische Hilfslieferungen haben sich als gar nicht mal so hilfreich herausgestellt. Es war eher Teil einer gezielten Kommunikationsstrategie.“. So war es nicht!
1. Chinesische Wissenschaftler haben schon im März 2019 auch in amerikanischen Fachpublikationen auf die höchste Wahrscheinlichkeit einer Pandemie hingewiesen, die Regierungen der führenden Industrienationen haben nicht darauf reagiert. Nicht von ungefähr hat China beim Ausbruch in Wuhan rasch und effizient reagiert.
2. China hat als erstes Land dem in Europa erstbetroffenen Italien Hilfsmaterial und -Personal geschickt (später Russland und Kuba).
3. China hat der WHO eine bitter nötige Spende überwiesen und versprach laut heutiger NZZ ärmeren Ländern eine Spende von 2 Mrd $ für COVID-19.
Die unberechtigte Kritik an China nährt sich an der transatlantischen Freundschaft Europas zu des USA. Trump, in seinem Machtdrang, möchte China die Schuld für die Pandemie in die Schuhe schieben und zur Kasse bitten, Europa widerspricht ihm nicht, pflichtet ihm also indirekt bei. Wessen Europa ist das denn? möge sich jede/r Leser/in fragen!
PS: Die wissenschaftliche Zusammenarbeit ist unverändert international und solidarisch.