Gesellschaft | Corona-Tests

„Wo leben wir?“

Karin Adami ist seit 44 Tagen in Quarantäne. Ohne jemals positiv getestet worden zu sein. Eine Chronik, die zeigt wie Südtirols Behörden mit Menschenrechten umgehen.
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Foto: ORF/Südtirol heute
Am 27. März 2020 fühle ich mich krank. Da ich mich nach einer Woche mit Antibiotika nicht besser fühle, ordnet mein Vertrauensarzt einen Coronatest an. Am 8. April 2020 war mein erster von bisher fünf Coronatests. Ich bin seit Ende März zu Hause, seit Mitte April symptomfrei. Gefangen in der Quarantäne waren mit mir zunächst alle meinen symptomfreien Familienmitglieder, mittlerweile noch meine Tochter und ich. Man empfahl all meinen Familienmitgliedern einen Coronatest, da er sie schneller aus der Quarantäne befreien könnte. Obwohl sie alle symptomfrei sind, erklären sie sich einverstanden. Der Quarantäne-Wahnsinn beginnt:
 
 
 
In Südtirol ist es notwendig, zwei negative Testergebnisse hintereinander zu erhalten, ansonsten wird die Quarantäne immer wieder für 14 Tage verlängert. Meine Familienmitglieder, die dies geschafft haben (Ehemann, Kind 1 und Kind 3) sind aus der Quarantäne befreit. Kind 2 und ich sind noch mittendrin und möchten folgende Quarantäne-Erfahrungen mit euch teilen:
 
  • 8 Tage nach meinem ersten Test erkundigt sich jemand von der Sanität Bozen vormittags, ob und wann bei mir ein Test vorgenommen wurde. Es liegt nämlich kein Testergebnis vor. Am Nachmittag findet man dieses plötzlich, es ist negativ.
  • Erst ab meinem ersten „zweifelhaften“ Ergebnis kommen auch meine Familienmitglieder in Quarantäne, die sich aufgrund einer Fehlempfehlung freiwillig testen lassen.
  • Jeden zweiten Tag meldet sich ein Angestellter der Sanität Bozen, um sich stets nach den Symptomen von lediglich einer Person zu erkundigen. Als Familie sind wir nicht als Gesamtheit erfasst. Irgendwann wird ein neues System angekündigt. Ab sofort wird man nicht mehr persönlich dafür kontaktiert, sondern teilt entweder per automatisierten Computeranruf seine Symptome mit oder trägt sie selbst in eine App ein. Da wir uns weigern, werden wir weiterhin telefonisch kontaktiert.
  •  Mitte April wird die Schutzausrüstung in Südtirol knapp. Daher kann man uns zeitweise nicht mitteilen, wann der nächste Testtermin anfällt.
  •  Bei keinem der durchgeführten Tests meiner Familie war ein Identitätsnachweis erforderlich.

 

  • Bis heute hat niemand meiner Familie sein Testergebnis schriftlich erhalten. Das einzige Schriftliche, das uns stets pünktlich per E-Mail erreicht, ist die Verlängerung der Quarantäne. Nach Tagen trifft diese dann bei den meisten meiner Familie auch per Post ein. Wer sein Testergebnis schriftlich haben möchte, muss dies online anfordern. Dies ist jedoch ausschließlich in italienischer Sprache mit italienischem Formular möglich.
  • Weder bei den Anrufen der Sanität Bozen, noch beim Testen oder dem Mitteilen der Testergebnisse bringt man meine Familienmitglieder miteinander in Verbindung. Immer wieder wird eine Person vergessen oder ist nicht bekannt.
  • Bei keinen der Anrufe (meist mit anonymer Nummer!) kennen wir den Namen des Anrufers oder des Amtes. Bei Fragen rufen wir die Sanität Bozen an und werden in stundenlangen Endlosschleifen weitergeleitet – ohne Erfolg und Antworten auf unsere Fragen. Auch auf zahlreiche E-Mails an unzählige Sanitäts-Kontakte und politische Verantwortliche haben wir bis heute keine Antwort erhalten. Unsere Forderungen nach eindeutigen Tests und einem Ansprechpartner bleiben ungehört.
  • Wir beginnen bei Anrufen, nach Name und Amt zu fragen und erfahren, wer uns alles anruft. Darunter u.a. der tiermedizinische Dienst Bozen, der sich nach unseren Symptomen erkundigt.

Bis heute hat niemand meiner Familie sein Testergebnis schriftlich erhalten.

  • Im Nachhinein erfahren wir, dass der erste Test verweigert werden hätte können. Alle weiteren Tests sind jedoch verpflichtend bis zwei negative Testergebnisse hintereinander vorliegen.
  • Wir erhalten keinerlei Unterstützung von unseren Vertrauensärzten. Sie sind nur dazu verpflichtet, unseren Krankenstand zu verlängern, nachdem wir sie kontaktieren. Wir werden weder von ihnen über unser Testergebnis informiert, noch behandelt man unseren zweifelhaften Corona-Zustand, den niemand wirklich erklären kann. Sie teilen uns lediglich mit, dass die Fehlerquote der Coronatests bei 30% liegt. Dies wird uns von Sanitätsmitarbeitern bestätigt
  • Zunächst teilt man uns mit, die Quarantäne aller Familienmitglieder würde erst dann enden, wenn alle Familienmitglieder zwei negative Testergebnisse nacheinander erhalten. Dann wird den „Negativen“ mitgeteilt, sie wären frei, dürften jedoch keinerlei Kontakt mit den „Positiven“ (in unserem Fall „Zweifelhaften“) haben. Trotzdem stehen einmal die Tester vor der Tür und möchten ein drittes Mal die „Negativen“ (und nicht die „Zweifelhaften“!) testen. Sie weigern sich.
  • Nach Forderungen eines eindeutigen Testergebnisses verspricht man uns, einen Amtsarzt vorbeizuschicken, der über die „Zweifelhaften“ entscheiden könnte, wo sie doch alle symptomfrei sind. Bis heute ist dieser nie erschienen.

 

  • Obwohl offiziell nach einem positiven/zweifelhaften Testergebnis mindestens 11 Tage bis zum nächsten Test vergehen müssen, werden meine Familienmitglieder teilweise nach 8, 11 oder 15 Tagen getestet. Die Tage werden selten eingehalten und erscheinen willkürlich gewählt.
  • Wir erfahren, Südtirols  Coronatests werden teilweise in Italien, teilweise in Nordtirol ausgewertet. In Nordtirol gibt es keine zweifelhaften Testergebnisse, nur eindeutig negativ bzw. positiv.
  • Auch in privaten Arztkliniken ist in Südtirol ein Coronatest möglich, jedoch nicht, wenn man sich in Quarantäne befindet. Zudem werden die Resultate von der Sanität Bozen nicht anerkannt.
  • Im Mai gibt es eine Veränderung. Die Tester kommen nicht mehr zu den Quarantäne-Fällen nach Hause, sondern diese kommen zu den Testern zu einer Sammelstelle des jeweiligen Sanitätsbezirks. Datum und Uhrzeit werden uns nur kurz vor dem Termin nach eigener intensiver Recherche mitgeteilt. Immer wieder vergisst man uns.
 

Offene Fragen

 
1.  Wie kann es bei einer Inkubationszeit von 14 Tagen (Quelle: www.provinz.bz.it) sein, dass wir nach 2 Monaten Quarantäne immer noch zweifelhafte Testergebnisse erhalten und keine Symptome haben?
2.  Wie kann es sein, dass wir aufgrund von zweifelhaften Testergebnissen monatelang zu Hause eingesperrt werden, wo es doch in Nordtirol gar kein zweifelhaft gibt?
3.  Warum werden Personen, die monatelang „zweifelhaft“ sind, weder medizinisch behandelt noch psychologisch betreut?
 
 
Es ist nicht möglich, dass wir alleine gelassen werden und keinen einzigen Ansprechpartner finden, der sich unser annimmt.
 
4.  Wieso bemüht man sich in Südtirol nicht um ein eindeutiges Testergebnis?
5.  Der bekannte Virologe Bernd Gänsbacher sagt im Rundfunk, das Coronavirus überlebe im Menschen höchstens einen Monat. Wieso sind wir dann so lange zu Hause gefangen?
6.  Wo leben wir? Wir haben kein Recht auf Behandlung, kein Recht auf Klarheit, kein Recht auf Beistand, keinen Ansprechpartner und niemand, der uns hilft! Man sperrt uns weg, allein gelassen, vergessen, so wie hunderte Getestete und deren Familien in Südtirol!
 

Drei Möglichkeiten

 
Die Möglichkeiten unserer zweifelhaften Testergebnisse:
  • Wir sind eigentlich negativ: Die Tests sind fehlerhaft, weil sie etwas anzeigen, was gar nicht der Wahrheit entspricht.
  • Wir sind wirklich positiv: Die Tests sind mangelhaft, weil sie nicht eindeutig feststellen können, dass wir positiv sind. Zudem sind sie fehlerhaft, weil sie bei drei meiner Familienmitglieder 2 Mal hintereinander negativ ausfielen.
  • Wir sind teilweise negativ, teilweise positiv: Das Coronavirus ist gar nicht so ansteckend, wie man uns allen sagt. Sonst wäre die gesamte Familie positiv oder zumindest zweifelhaft.

 

Es MUSS abgeklärt werden, ob jemand positiv oder negativ ist. Zweifelhaft gilt nicht und ist auch nicht automatisch positiv! Es kann nicht sein,  dass wir wochenlang warten müssen, um zwei Testergebnisse zu haben und bei „zweifelhaft“ immer wieder alles von vorne beginnt! Es ist nicht möglich, dass wir alleine gelassen werden und KEINEN EINZIGEN Ansprechpartner finden, der sich unser annimmt.

Das alles kann und darf nicht sein, weil wir wissen, dass wir kein Einzelfall sind!
 

Salto.bz hat bereits zweimal über diesen Fall berichtet. Bisher anonym. Weil sich die Situation aber nicht ändert, haben Karin Adami und ihre Familie beschlossen an die Öffentlichkeit zu gehen. Am Freitag strahlte der ORF in „südtirol heute“ einen Beitrag zu dieser absurden Geschichte aus. Dabei kam auch die Südtiroler Volksanwältin Gabriele Morandell zu Wort, die sich mit Engagement des Falles angenommen hat.