Kein Modell für alle
Fest steht: Am 7. September soll das Schuljahr 2020/2021 in Südtirol starten. Fest steht nicht: Wie. Bildungsdirektion und Landesschuldirektion planen mit einem Ampelsystem bzw. den drei Szenarien “Grün” (Normalbetrieb wie vor der staatsweiten Schulschließung Anfang März), “Rot” (völlige Aussetzung des Präsenzunterrichts) und “Gelb” (Präsenzunterricht am Vormittag in den Grund- und Mittelschulen, Mix aus Präsenz- und Fernunterricht an Oberschulen). Am wahrscheinlichsten, so Bildungsdirektor Gustav Tschenett, sei ein Schulbeginn mit bestimmten Einschränkungen, also das Szenario “Gelb”. An den damit einhergehenden Maßnahmen – kein Nachmittagsunterricht, keine Mensa, Kürzung der Unterrichtszeit, flexible Ein- und Austrittszeiten für die Schüler – gibt es nun immer mehr Kritik.
Vergangene Woche war neben Bildungsdirektor Tschenett auch Landesschuldirektorin Sigrun Falkensteiner bemüht, die Besorgnis und Verunsicherung in der Schulwelt zu entkräften. Nach einem offenen Brief aus der Grundschule Taisten wandte sich Falkensteiner ihrerseits mit einem Schreiben an das dortige Lehrerteam. Darin räumt sie ein, dass es wohl “nicht gelungen ist, gut und klar zu kommunizieren, was hinter den verschiedenen Maßnahmen steckt”, sieht zugleich aber auch “eine zum Teil wenig fundierte Berichterstattung, auch über die sozialen Medien” mit Schuld daran, dass “Unsicherheit und Spekulationen” gefördert würden.
Bei der Planung für das neue Schuljahr bzw. die angedachten Maßnahmen gehe es “weder um eine versteckte Schulreform noch um eine Beschneidung der autonomen Zuständigkeiten noch um eine aufgezwungene Digitalisierung”, betont Falkensteiner. Sondern “in erster Linie immer um unsere Kinder und Jugendlichen” und darum, “dass die Pandemie – auch wenn wir es uns alle anders wünschen würden – noch nicht überstanden ist und dass für die Planung des kommenden Schuljahres weiterhin Sicherheitsmaßnahmen zu berücksichtigen sind”.
Doch die Beschwichtigungsversuche sind bei vielen ins Leere gelaufen. Denn es gibt erneut einen offenen Brief, verfasst von Lehrpersonen des Schulsprengels Brixen/Milland, an Landeshauptmann, Bildungslandesrat, Landesschuldirektorin und Bildungsdirektor. Neben zahlreichen Grundschullehrern aus dem ganzen Land tragen den Brief auch mehrere tausend Bürger mit, die davon erfahren haben.
“Ganz schlechte Karten”
Der Brief ist verfasst als “Stellungnahme zu Plänen für das Schuljahr 2020/2021 in der Grundschule” und prangert unter anderem an, dass mit dem Modell “Gelb” “das Recht der Kinder auf Bildung beschnitten und die Generation der ‘Corona-Schüler*innen’, die in der Zeit der Schulschließung ohnehin schon auf so vielen Ebenen benachteiligt war, weitere Nachteile in Bezug auf ihre Schulbildung haben” werde.
Denn durch die Unterrichtszeitkürzungen – laut Bildungsdirektor Tschenett sind diese notwendig, um mit dem bestehenden Personal den Unterricht in 250 zusätzlichen Klassen abdecken zu können, die aufgrund des geplanten Mindestabstand von 1 Meter zwischen den Schülern geschaffen werden müssen – und die gleitenden Eintritts- und Austrittszeiten (von 7.30 bis 8.30 und von 12.30 bis 13 Uhr) werde der Kernunterricht in der Grundschule von 26,5 auf 17,5 Wochenstunden reduziert. In dem offenen Brief heißt es: “Diese Verringerung der Kernzeiten hat natürlich große Auswirkungen auf die Stundentafel. In einer vierten oder fünften Klasse haben die Kinder nach dem neuen Modell nur mehr drei Italienischstunden anstatt wie bisher fünf. Die Turnstunden, der Kunstunterricht, Religion, Geschichte, Erdkunde und Naturkunde werden auf die Hälfte reduziert und auch bei allen anderen Fächern sind Abstriche zu machen.”
Und weiter: “Dass es nicht möglich sein wird, in z.T. der Hälfte der Zeit dasselbe zu lernen oder zu vermitteln wie bisher, liegt unserer Meinung nach auf der Hand. Die Folge: a) Abstriche bei den Inhalten, die im Unterricht behandelt werden und/oder b) Inhalte werden in der Schule unter größerem Druck vermittelt und Übungs- und Vertiefungsphasen aus Zeitmangel an die Familien delegiert. Dass dabei vor allem Kinder aus bildungsferneren oder belasteten Familien ganz schlechte Karten haben, versteht sich von selbst. Wenn das institutionalisierte Lernen beschnitten wird, wächst die Chancenungleichheit im selben Maß.”
“Wenn sich nun keine Vorteile in Bezug auf die Sicherheit aus dieser Verkürzung der Unterrichtszeit ergeben, wenn keine nachvollziehbaren epidemiologischen Gründe für diese Maßnahmen ersichtlich sind – ob Kinder fünf Stunden zusammen lernen oder sieben, wird das Ansteckungsrisiko wohl kaum erhöhen, am Nachmittag ist Corona nicht ansteckender als am Vormittag –, dann entsteht der Eindruck, dass durch die Reduzierung der Unterrichtszeiten Lehrer*innenstunden eingespart werden sollen.”
(aus dem offenen Brief)
Am Ende des Briefes wird von den Entscheidungsträgern in Politik und Schule gefordert:
- “den Schulbetrieb im Herbst mit Unterrichtszeiten wie vor dem 5. März 2020 zu beginnen – mit Nachmittagsunterricht und Mensa, um den Kindern möglichst viel Bildungszeit zu ermöglichen und die Familien nicht zusätzlich zu belasten
- sich für einen Unterricht einzusetzen, der den Entwicklungsbedürfnissen der Kinder entspricht – sowohl in kognitiver als auch in emotionaler Hinsicht
- bei auftretenden Schwierigkeiten – z.B. zu kleine Räume – lokal zu handeln und kreativ nach Lösungen zu suchen, die auch etwas kosten dürfen; jeder Euro, der in die Bildung der Kinder gesteckt wird, ist gut investiert!
- die Schulen und die Lehrpersonen transparent zu informieren in einer Art und Weise, die es ermöglicht, die geplanten Maßnahmen zu verstehen und mittragen zu können;”
Die Lehrpersonen sollten
Die Lehrpersonen sollten anstatt nur Kritik zu üben auch einmal an Lösungsansätzen arbeiten. Anstatt die zu wenigen Wochenstunden im Kernunterricht zu beklagen (um die außercurricularen aber trotzdem verpflichtenden!! Wahlpflichtstunden ist eh nicht schade) sollten Lehrpersonen im Verein mit den Eltern anregen, dass es stattdessen MEHR Schulwochen im Unterrichtsjahr gibt. Dann werden fehlenden Stunden aufgeholt und das Ganze kommt nicht nur dem Unterricht zugute, der durch die Entzerrung profitiert; durch kürzere Sommerferien können viele Betreuungsprobleme sozusagen nebenbei entschärft werden und dem Steuerzahler und den Eltern wird weniger Geld aus der Tasche gezogen, da viele teure Sommerbetreuungsangebote wegfallen würden. 12 Wochen Sommerferien sind einfach nicht mehr zeitgemäß und im mitteleuropäischen Raum auch nirgendwo anzutreffen.