Kultur | Christmas Song

Das Kettenkarussell

"Ein altes Kettenkarussell. Wie aus einer früheren, vergessenen Welt..." Kurt Lanthaler hat es in Szene gesetzt und ihm ein literarisches Weihnachtskleid beschert.
Kettenkarussell3
Foto: Kettenkarussell

Song

Kennst du die geschichte
vom kettenkarussell
Stand in der zeitung
hab ich gelesen

: Warn fuenf leute auf einer feier
drei maennchen, zwei weibchen
betriebsessen oder so, was man halt
alls von der steuer abschreiben kann
essen und saufen und weiber und so
Sind sie um vier uhr morgens losgezogen
durch die straszen die stadt raus. spazieren
Und da laufen sie alle viere
und freun sich
Und da laufen sie alle viere
und freun sich

Und dann steht da n karussell auffa wiese
der rest vonnem rummelplatz
Hammse sich inne sitze vonnem karussell gesetzt
und geschaukelt, und gejuxt, und geschaukelt
Und hell geworden isses langsam
hinter der wiese. und dann
sindse romantisch geworden
und wollten sich drehn
und dann sindse romantisch geworn
und wollten sich drehn

Und dann schalt einer das karussell ein
und springt auch noch auf
und dann drehn se sich,
un freun se sich
und dann drehn se sich, un dann freun se sich
Und die sonne geht auf
und sie drehn sich immer noch
und dann drehn se sich, un dann freun se sich

Und : dann wird dem ersten schlecht, und
er kotzt, und die lady hinter ihm
kriegt die kotze aufs abendkleid
und da wird ihr auch schlecht
und die andere schimpft und
einer von den typen will absteigen
und schreit: abschalten!, anhalten!
weil er aussteigen will

Geht aber nicht mehr
weil keiner an den hebel
rankommt zum abschalten
Und sie drehn sich weiter und weiter
und weiter und weiter und weiter

Paar stunden spaeter
hammse se gefunden
und das karussell abgeschalt
Zwei warn tot,
und drei kamen ins irrenhaus
Zwei warn tot,
und drei kamen ins irrenhaus


(music: Near to Zero Auditorium RAI, 1997)
 


 

 

Story

Die Geschichte, in das Jahr 1988 zu datieren, ist irgendwann in den letzten zwei Jahren in die wissenschaftliche Literatur eingegangen. Sonst wär sie sicher schon vergessen.
Folgendes hat sich ereignet: (Genauere Orts- und Zeitangaben erübrigen sich. Wie man sehen wird.) Sechs Geschäftsleute auf Geschäftsessen, alte Freunde nebenbei. Sechs Gänge Nouvelle couisine. Gepflegte alkoholische Begleitung. Alte Erinnerungen, Neues vom Nachwuchs. Man ist älter geworden, gönnt sich etwas, läßt die Puppen tanzen. In einem Nachtclub.
Dann, die Nacht ist schön, der Mond scheint bleich, zieht man um die Häuser. Mit einer Flasche Cognac. Genügt sich selbst und seinen Späßen so sehr, daß die Schönen der Nacht an ihren offenen Feuern am Straßenrand leer ausgehen. Und hinterher schimpfen. Was die lustige Gesellschaft nicht weiter stört. Bis man, schlußendlich, auf einem Rummelplatz landet. Weit und breit nichts als der kühle Schein des Mondes auf den wie abgestorben dastehenden Vergnügungsmaschinen. Mitten drin ein altes Kettenkarussell. Wie aus einer früheren, vergessenen Welt.
Sie setzen sich in die Sessel des Kettenkarussells. Und spielen, schaukeln, drehen den Sitz des Vordermannes ein. Bis einer den Hebel an der Maschine entdeckt. Sich hinschwingen läßt. Und den Hebel umlegt. Das Karussell setzt sich in langsam in Bewegung. Die Begleitmusik dazu kommt langsam auf Touren. Es ist die reine Freude. Sechs Geschäftsleute vergnügen sich um vier Uhr morgens auf einem Kettenkarussell. Katapultieren sich hinaus, spielen Fangen, lachen, schreien.
Nach einer halben Stunde ist der Spaß vorbei. Die sechs Geschäftsleute haben genug und wollen aussteigen. Geht nicht. Der Hebel, der das Karussell in Gang gesetzt hat, ist unerreichbar. Die Gesetze der Physik.
Vormittags findet man die sechs Männer. Auf dem sich immer noch drehenden Karussell. Bewußtlos. Einer liegt am Boden. Mit gebrochen Beinen. Zwei haben sich angekotzt.
Damit endet die Geschichte.
Die wissenschaftliche Verhaltensforschung weiß noch folgendes: Zwei der Männer sitzen seither in der Psychiatrie. Einer hat eine religiöse Gemeinschaft gegründet. Einer Selbstmord begangen. Was aus den restlichen zwei geworden ist, weiß man nicht.

(Geschrieben für und veröffentlicht in Extra de "Il Mattino", 23.12.1991)