Gesellschaft | salto Gespräch

“Es muss sich gut anfühlen”

Verluste, Corona, Krebs: 2020 war für Marion Maier ein schwieriges Jahr. Dennoch hat sie es mit einer positiven Bilanz beendet – und freut sich auf 2021.
Marion Maier
Foto: Salto.bz

Wenn Marion Maier auf das soeben zu Ende gegangene Jahr zurückblickt, sieht sie viele Farben. In ihrem Tagebuch hat die 47-Jährige aus Neumarkt einen grafischen Jahresrückblick verewigt. Begonnen hat 2020 mit der Beerdigung ihres Vaters. Dann folgte Corona mit all den Begleiterscheinungen. Auch wenn für Maier die Existenz nicht bedroht war – sie ist seit 1997 selbstständig mit einer Agentur für Grafik und Werbung tätig, begleitet im Auftrag von Volkshochschule und Amt für Weiterbildung die Bildungsausschüsse Unterland Überetsch und verdient daneben mit Trauben und Wein aus ihren Reben und dem Honig ihrer Bienen etwas dazu –, hat das Jahr an ihr gezehrt. Denn im Sommer wurde bei ihr Brustkrebs diagnostiziert.

 

Und doch: Trotz – oder gerade wegen – des aufreibenden und intensiven Jahrs, blickt Marion Maier positiv und mit Freude auf 2021.

salto.bz: Frau Maier, erinnern Sie sich, ob und mit welchen Vorsätzen Sie in das Jahr 2020 gestartet sind?

Marion Maier: Ich war so froh, dass 2019 zu Ende war. Für mich war es ein mühseliges und heftiges Jahr gewesen. Ich hatte mich nach langer Zeit getrennt. Entsprechend gefreut habe ich mich auf 2020 und gedacht, es kann nur besser werden. Das sage ich nie wieder. 2019 war erst der Gruß aus der Küche. Dann kam 2020: Schlimmer geht immer. Und trotzdem: Ich bin hier und freue mich auf 2021.

Weil mit 2020 ein weiteres Jahr vorüber ist, das Sie am liebsten vergessen möchten?

Nein, es ist nicht dasselbe Gefühl wie 2019, nicht im Sinne von “bin ich froh, wenn es vorbei ist”. Ja, ich verspüre viel Müdigkeit. Es hat ein paar richtig heftige Momente gegeben, die wirklich viel Energie gekostet haben. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass 2020 nur ein negatives Jahr war. Es ist viel weitergegangen, so viel entstanden: Ich habe Honig und ein neues Packaging für die Gläser gemacht, ich habe Wein erzeugt, ich war im Winterhaus tätig, wir haben ein Buch darüber herausgegeben, von dem die erste Auflage nach wenigen Wochen beinahe schon vergriffen ist. Ich war Radfahren und habe viele tolle Sachen erlebt – und dazwischen noch den Brustkrebs eingeschoben. Das war wirklich heftig. Aber ich freue mich auf das nächste Jahr, weil ich dieses mit positiver Energie abschließe.

Woraus beziehen Sie diese positive Energie?

Wissen Sie, was 2020 der Unterschied zu den Jahren zuvor war? Durch die Lockdowns und das Zurückfahren von allem war jedes Erlebnis viel purer, viel sauberer, viel ungefilterter. In diesem Sinne war dieses von oben herab verdonnerte Reduzieren und Verbieten schon auch ein Glück – weil das ganze Drumherum unseres Alltags weggefallen ist.

Und damit die Ablenkung vom Wesentlichen?

Davon bin ich überzeugt. Natürlich ist auch vieles weggefallen, was mir wichtig war. Mich mit anderen Menschen treffen etwa. Die Grundsatzfrage aber ist: Wie viel von dem, was weggefallen ist, ist wirklich etwas, was essenziell für mich ist, was mir gut getan hat? Diese Frage habe ich mir 2020 oft gestellt und bei ganz vielen Sachen habe ich einfach gemerkt, ok, es ist jetzt anders, aber es ist nicht schlecht. Man ist in einem so furchtbaren Rad drin… Und weil das abgebremst wurde, der Firlefanz rundherum in unserem Leben weggefallen ist, waren die Momente, die toll waren, viel exklusiver. Auch wenn es wenige gewesen sein mögen – die positiven Momente haben für mich eine viel größere Wirkung entfaltet.

Ich warte nicht mehr, bis sich die Welt verändert – ich verändere mein Leben selbst so, dass es für mich passt

An welchen tollen Moment erinnern Sie sich besonders?

(überlegt) Da fallen mir zwei ein: Die Arbeit mit den Bienen. Die ist immer faszinierend, aber 2020 war es noch intensiver. Ich musste sämtliche Arbeit Covid-bedingt alleine machen. Anfangs war ein mulmiges Gefühl dabei, ich habe nämlich eine Bienengift-Allergie. Aber am Ende habe ich den Transport in die Blüte – von Salurn ins Nonstal und dann in die Valsugana – gemeistert. Das Fantastische dabei war: Ich war mit den Bienen alleine. Die beiden Monate, als ich die Transfers gemacht habe, war der Lockdown in Kraft und auf der Straße nichts los. Es war ruhig, gemütlich, nur die Bienen und ich, sonst nichts und niemand. Da habe ich mir gedacht: Siehst du, es braucht nicht viel, damit es schön ist.

Und der zweite tolle Moment?

Die Radtour, die ich im August gemeinsam mit zwei Freunden gemacht habe: In mehreren Etappen von Salzburg nach Grado. Diese Fahrt war so befreiend! Es war Freiheit pur: Du radelst, bist in der frischen Luft, hast nichts um dich herum.

Im August thematisieren Sie in Ihrem Jahresrückblick zum ersten Mal den Brustkrebs.

Als wir die Radtour gemacht haben, hatte ich schon den Termin für die Biopsie. Aber die sieben Tage, die wir unterwegs waren, habe ich nicht einmal daran gedacht. Erst auf der Heimfahrt fiel mir ein, dass ich drei Tage später den Termin hatte.

Wann haben Sie die Diagnose Krebs erhalten?

Im Juli habe ich eines Abends zufällig selbst einen Knoten in der rechten Brust entdeckt. Eine Woche später folgte der Ultraschall, Ende des Monats die Mammografie. Zugleich ging eine Odyssee los, die ich als “Tumor-Chaos im Krankenhaus” gezeichnet habe. Angefangen damit, dass ich bis zur Biopsie am 24. August in der Luft hing. Ich habe keinerlei Informationen erhalten, was der Knoten bedeuten könnte. Als ich schon wenige Tage nach der Biopsie – also recht schnell – ins Krankenhaus gerufen wurde, wusste ich, dass etwas faul war. Die Ärztin meinte: “Frau Maier, es tut mir Leid, aber der Befund ist nicht gut.” Ich hatte damit gerechnet, dass der Knoten operativ entfernt werden muss. Aber dann sagt sie mir, er ist bösartig.

Das Mühseligste war der September mit diesem Wirrwarr – anderen erklären, wie man mit einer Tumorpatientin umzugehen hat, war heftig und anstrengend

Wie haben Sie in dem Moment reagiert?

Ich wollte meinen Ohren nicht trauen, war ungläubig: Etwas, was du immer nur von anderen hörst, betrifft dich plötzlich selbst. Meine Welt stand still. Auf den Stillstand folgte die Angst. Der Tumor war isoliert und stellte kein Todesurteil dar. Aber als ich das Wort “Krebs” gehört habe, fühlte ich mich bedroht. Denn auch wenn du hörst, es ist nicht so schlimm, weißt du trotzdem nicht, was mit dir jetzt passiert. Sekunden später verspürte ich ein weiteres Gefühl: Ich war froh, dass ich mein Leben bisher so gut gelebt habe und es mir immer habe gut gehen lasse.

Wie ging es weiter?

Es ist schlimmer gekommen, als es zunächst den Anschein hatte. Der Termin für die Operation war am 17. September. Ich wurde einen Tag vor der Einlieferung gebeten, eine halbe Stunde früher zu erscheinen, um noch einen Ultraschall zu machen. Denn ich hatte in der rechten Brust noch einen weiteren Knoten, der im ersten Moment aber nicht ausreichend untersucht worden war. Die Ärztin im Brustgesundheitszentrum klärte mich auf, dass ein weiterer Eingriff notwendig war und dadurch so viel von der Brust entfernt werden musste, dass ich eine Prothese erhalten sollte. Ich habe sie mit offenem Mund angestarrt.

Es war eine andere Ärztin als jene, die Ihnen die Diagnose mitgeteilt hatte?

Genau. Meine Ärztin habe ich an jenem Tag erst gesehen, nachdem ich fünf Stunden im Wartesaal der Gynäkologie gesessen habe. Sie meinte, es tue ihnen Leid, sie hätten bei der Besprechung am Tag zuvor noch eine zweite Stelle entdeckt, ich solle heimfahren in ein paar Tagen für eine weitere Biopsie wiederkommen. Also sie hat fünf Stunden gebraucht, um mir zu sagen, was sie gestern entdeckt haben… Die zweite Biopsie ergab, dass der zweite Knoten aggressiver war als der erste. Also das, was sie übersehen hatten, wäre schlimmer gewesen als der, wegen dem ich hätte am 17. September operiert werden sollen.

Wenn 2021 tatsächlich eine Rückkehr zur Normalität wird, dann ist es nicht wirklich etwas, worauf ich mich freue

Der Eingriff wurde schließlich am 1. Oktober durchgeführt. Wie ist es Ihnen bis dahin ergangen?

Über den Befund der zweiten Biopsie wurde ich erst informiert, als ich nach tagelangem Warten selbst im Krankenhaus nachgefragt habe. Eine Woche später sollte ich operiert werden, an einem Donnerstag. Drei Tage vorher sollte ich zum Corona-Abstrich nach Meran kommen. Als mir – immer dieselbe – Ärztin das so am Telefon mitgeteilt hat, habe ich gesagt: Moment einmal, mir fehlen hier ein paar Schritte. Ich fragte sie, was im Befund drin steht und was sie aufgrund des Befunds mit mir machen wollte. Die Antwort: “Das erklären wir Ihnen am Mittwoch.” Ich habe protestiert – man erklärt mir nicht einen Tag vorher, was mit mir bei der OP passiert. Schließlich bin ich nach dem Telefonat von Neumarkt nach Meran gefahren, wo mir die Ärztin alles erklärt hat. Ich habe sie gebeten, mir zu zeigen, was denn da in meine Brust hineinkommt – das möchte ich schon gerne wissen. Sie öffnete eine Schublade, holte die Prothese heraus und drückte sie mir in die Hand.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Das Sanitätssystem funktioniert in Südtirol wunderbar. Das muss ich wirklich sagen. Aber hier gab es ein menschliches Problem. Ich habe die Ärztin darauf angesprochen, dass ich ihren Umgang mit mir nicht passend fand. Am Ende des Gesprächs habe ich gesagt, ich wünsche mir zwei Dinge: bessere Informationsflüsse – für mich und alle anderen Patientinnen – und Empathie.

Die Operation ist erfolgreich verlaufen?

Ja. Am 15. Oktober habe ich die Nachricht erhalten, tumorfrei zu sein. Da sind mir Tonnen an Gewicht von den Schultern gefallen. Denn andernfalls wäre eine Chemotherapie mit Bestrahlung gefolgt. So aber war ich immens froh, dass es “nur” eine Hormontherapie werden würde. Die hat am selben Tag begonnen. Seither bin ich in den Wechseljahren, von einem Tag auf den anderen. Denn der Tumor, den ich entwickelt habe, ist von den weiblichen Hormonen genährt. Voraussetzung, damit kein neuer Tumor entsteht, ist, die Hormonproduktion zu unterbinden. Das mache ich mit einer täglichen Tablette und dreimonatlichen Depotspritzen.

 

Wie ist das Leben mit der Prothese?

Zwei Monate lang hatte ich das Gefühl, etwas in mir zu tragen, das nicht zu mir gehört und das ich eigentlich loswerden möchte. Inzwischen nehme ich den Körper, den sie in meine Brust geschoben haben, nicht mehr wahr.

Waren Sie während all der Zeit alleine?

Nein. Es ist sonst nicht meine Art, Sorgen und Ängste mit Freunden zu teilen. Beim Krebs habe ich das von Anfang an gemacht. Zum ersten Mal in meinem Leben.  Eine Freundin hat mich auch mehrmals zum Krankenhaus begleitet.

Die Reinheit im Erleben der tollen Momente hatte viel viel mehr Wirkung

Persönliche Verluste, Corona-Lockdown, gesundheitliche Schwierigkeiten: Hatten Sie 2020 irgendwann das Gefühl: “Ich kann nicht mehr”?

Das war im September. Mit dem Chaos bis zur Operation war ich echt ausgelaugt, hatte keine Energie mehr. Ich fühlte mich am Ende, ganz ganz unten. Tiefer als so ging nicht. In dem Moment, mit dem Wirrwarr und der Unsicherheit, habe ich von den positiven Momenten gezehrt, die ich zuvor in dem Jahr gehabt hatte und die in ihrer Reinheit doppelt und dreifach gewirkt haben, und die Energie gefunden, mich wieder nach oben zu kämpfen. Wenn du einmal ganz unten angekommen bist, kann es nur mehr aufwärts gehen.

So selbstverständlich ist das nicht – man könnte auch liegenbleiben.

Klar. Aber dafür hänge ich zu sehr am Leben. Ich hatte einfach viel zu viele tolle Momente erlebt in diesem Jahr, um in diesem Tief hängen zu bleiben. Und für mich überwiegen 2020 nach wie vor die Erlebnisse, die mich positiv geprägt haben und die mir nachhaltig Energie geben. Nach so einem Jahr kann ich mir sagen: Es gab mehr Positives als Negatives und ich freue mich aufs nächste. Vielleicht verschieben ja mehr Leute den Fokus auf das, was gut war.

Würden Sie sagen, dass wir dazu tendieren, dem Negativen zu viel Gewicht zu geben und das Positive allzu oft erst gar nicht erkennen?

Genau darum geht es: Sich bewusst machen. Eine ganz entscheidende Rolle nehmen dabei die Medien ein. Ich bin eine Anhängerin von konstruktivem Journalismus und good news. Der findet kaum statt. Es gibt leider Gottes viele schlecht gemachte Medien, wo nur das Negative Platz hat. Die Medien haben auch bei Covid eine entscheidende Rolle gespielt, haben die Leute nur mehr runtergezogen. Im ersten Lockdown habe ich bewusst aufgehört, täglich mehrere Zeitungen online zu lesen – weil mir das nicht gut getan hat. Was mich interessiert, recherchiere ich aktiv. Auch diese Entscheidung war Teil von dem Weglassen, was schlecht war. Es war eine Wohltat. Und ich lese nach wie vor ganz ganz wenig.

Ich habe für mich Karriere gemacht: Ich verfüge über meine Zeit

Wobei es schon auch Aufgabe von Journalismus und Medien ist, aufzuzeigen, wo Dinge schief laufen und weniger Schönes passiert.

Absolut. Aber Medien beeinflussen die Wahrnehmung der Welt. Ich lade die Menschen jedenfalls ein, eigenständig zu denken und im eigenen Kleinen selbst wahrzunehmen: Was ist weggefallen? Welche Bedeutung hat das, was weggefallen ist? Was ist stattdessen dazugekommen? Oder was von dem, was geblieben ist, hat sich entfalten können, weil Luft und Freiraum da waren? Ganz viel an Positivem, das wir täglich haben, entfaltet sich gar nicht, weil die Luft und die Zeit fehlen. Und durch das Wegfallen von vielem, was wir als essenziell erachten, haben sich Freiräume eröffnet. Diese Energie spüre ich jetzt.

Ich verspüre eine Müdigkeit, ja…

Sie dürfen auch müde sein, oder?

Ja, nach so einem Jahr darf ich mir auch zugestehen, müde zu sein. Und ich nehme mir die Zeit, um zu regenerieren. Aber im Endeffekt habe ich neue Energie, freue mich auf 2021, die neuen Projekte, die nächste Radtour von Bozen nach Venedig.

Beim Gedanken an 2021 hegen viele Menschen die Hoffnung, dass es eine Rückkehr in das “normale Leben” bringt. Möchten Sie, dass es wieder so wie “vor Corona” wird?

Der Gewinn von 2020 ist, den Blick geschärft zu haben für das wirklich Wesentliche. Und sich bewusst geworden zu sein, wie zerbrechlich und fragil die vermeintlichen Sicherheiten, die wir uns aufgebaut haben, in Wirklichkeit sind. Die Normalität, die wir hatten, ist völlig ungesund und abnormal. Vieles an unserer bisherigen Art, zu leben, ist nicht kompatibel mit einer ehrlichen, nachhaltigen Lebensweise. Wenn 2021 also tatsächlich eine Rückkehr zur Normalität wird, dann ist es nicht wirklich etwas, worauf ich mich freue. Aber für meinen Wirkungskreis, für mein Leben entscheide ja ich. Mir war immer schon wichtig, einen großen Handlungsspielraum zu haben. Insofern habe ich nach meinen Maßstäben Karriere gemacht: Ich verfüge über meine Zeit. Viele andere Unternehmerinnen und Unternehmer verdienen sicher mehr als ich. Aber sie haben einen furchtbaren Stress, von dem ich mir denke: Wozu? Wenn ich die Existenz gesichert habe, kann ich doch zurückschalten. Für mich ist Mittwoch mein freier Tag. 2021 kommt ein zweiter dazu.

Aber insgesamt glaube ich nicht, dass von den Phrasen des Frühlings etwas übrig bleibt. Um etwas zu verbessern, muss ich das aktiv wollen. Viele dieser Phrasen sind aus Angst und Verzweiflung entstanden und nicht aus einer Überzeugung.

Das Coronavirus wird keine besseren Menschen hervorbringen?

All die “Ich werde mein Leben ändern”-Sätze waren nicht ernst gemeint. Der Wille zur Veränderung ist nicht so präsent wie es im Frühling und im Sommer den Anschein hatte. Das war dahingesagt, in der ersten Panik und aus der Angst - so ungefähr “ich muss etwas ändern, weil dann passiert mir das nie wieder”. Ich glaube nicht, dass die Erfahrungen von 2020 gereicht haben, um etwas zu verändern. Wenn ich die Überzeugung gehabt hätte, hätte ich die Veränderungen ja schon vorher gelebt.

Es war wirklich heftig, aber ich freue mich auf das nächste Jahr, weil ich dieses mit positiver Energie abschließe

Vielleicht war es auch zu romantisch, an eine tiefgreifende Veränderung von heute auf morgen zu glauben oder darauf zu hoffen?

Kann sein. Mein Wunsch und Ziel ist es, mit 50 wesentlich weniger zu arbeiten und die Büroarbeit in der Agentur ganz zu lassen. Ich möchte, dass die Reben und die Bienen mehr Raum einnehmen. Natürlich brauche ich eine alternative Einnahmequelle, von der ich leben kann – unter geänderten Vorzeichen: Ich möchte mit weniger Geld auskommen, das ich im Umkehrschluss nicht verdienen muss. Deshalb habe ich 2020 angefangen, ganz bewusst hinzuschauen, was mich mein Leben kostet und wo ich unnötig Geld ausgebe. Ich warte nicht mehr, bis sich die Welt verändert – ich verändere mein Leben selbst so, dass ich in den Spiegel schauen und sagen kann, ich bin so unterwegs, dass ich dieser Welt möglichst geringen Schaden zufüge und dass es für mich passt. Es muss sich für mich gut anfühlen.

Was gibt Ihnen die Kraft, wieder nach oben zu starten, Ihr Leben zu ändern, zu sagen, ich freue mich auf 2021?

(überlegt) Meine Kraftquellen sind die Natur, alles, was ich in und mit der Natur mache, Freunde und Familie.

 

Nachtrag: Wenige Stunden nachdem diesem Gespräch geführt wurde, erfährt Marion Maier am Dienstag (29. Dezember) Abend vom Tod von Agitu Ideo Gudeta. Maier war mit der Äthioperin, die sich im Trentino eine neue Existenz als Ziegenzüchterin aufgebaut hat, gut befreundet. Am vorvorletzten Tag des Jahres legt die Neumarkterin noch einmal Hand an ihrem grafischen Jahresrückblick an und schreibt in einer Whatsapp-Nachricht: “In unserem Gespräch hab ich heute mal erwähnt ‘schlimmer geht immer’; mir war nicht klar, dass das so schnell und so brutal wahr wird. Ich habe das so bunte Jahr nun mit einem sehr dunklen Moment ergänzen müssen. Mein 2020 hat mit einem Tod begonnen und endet auch mit einem Tod – noch ein Grund mehr, 2021 voll ins Leben zu hupfen. Ich werde Agitus Kraft und Positivität mitnehmen und weitergeben.”