Gesellschaft | Interview

“Oder sind sie schlecht informiert?”

Immunologe Bernd Gänsbacher spricht sich gegen eine allgemeine Corona-Impfpflicht aus, betont jedoch den Imperativ, sich fundiert über Nutzen und Risiken zu informieren.
Impfung
Foto: Katja Fuhlert, Pixabay

Bernd Gänsbacher ist Facharzt für innere Medizin, Hämatologie/ Onkologie und Allergie/Immunologie. Der emeritierte Professor der technischen Universität München ist einer der ersten Südtiroler, der gegen Covid-19 geimpft wurde. salto.bz hat mit ihm über die Impfung, Impfskepsis und die Möglichkeit einer Impfpflicht gesprochen.

 

salto.bz: Mitunter ein Grund für die nur schleppend voranschreitende Impfrate in Südtirol ist die relativ hohe Anzahl jener, die sich nicht – oder noch nicht – impfen lassen möchten. Sie selbst haben sich klar für die Impfung entschieden, aber auch unter dem Gesundheitspersonal ist dies keine Selbstverständlichkeit: Nur 60 Prozent jener, die im Gesundheitsbereich tätig sind, möchten sich impfen lassen. Wie erklären Sie sich diese Tatsache?

Bernd Gänsbacher: Es gibt ein Informationspaket über die Coronavirus-Infektion und über die Impfung. Bis gestern (Montag, 11. Jänner, Anm.d.Red.) wurden 26 Millionen Menschen geimpft. 20 Prozent der israelischen Bevölkerung sind bereits geimpft. In England beläuft sich die Zahl der geimpften Personen auf über eine Million. In Amerika sind es 8 Millionen Menschen. Es stellt sich die Frage, ob die Südtiroler über andere oder mehr Informationen verfügen als der Rest der Welt. Haben jene, die skeptisch sind, triftige Gründe oder sind sie schlecht informiert?

 

Aus verschiedenen Quellen wird deutlich, dass das Gesundheitspersonal nicht genügend informiert wurde und kaum Möglichkeiten geboten wurden, um sich eine fundierte Meinung zur Impfung zu bilden. Ein Versäumnis der Sanitätsdirektion?

Beide Seiten müssen fair behandelt werden. Einerseits könnte die Kommunikation und Information des Sanitätsbetriebs sehr viel besser sein. Ich würde es mir erwarten, dass einige der hoch bezahlten Funktionäre der Bevölkerung die Vor- und Nachteile einer Impfung erläutern. Andererseits hat aber auch die Bevölkerung die Pflicht, sich gebührend zu informieren. Jeder Südtiroler, der ein Auto kauft, informiert sich über jede einzelne Schraube. Wenn es aber um die Impfung geht, die über Leben und Tod von Mensch und Wirtschaft entscheidet, lehnen wir uns zurück und warten darauf, dass wir informiert werden. Auch diese Haltung kritisiere ich.

Sie fordern jede Bürgerin, jeden Bürger dazu auf, sich über die Impfung zu informieren. Inwieweit habe ich als Laie die Möglichkeit, mir selbst eine Meinung zur Impfung zu bilden?

Die richtigen Quellen zu finden erfordert einen gewissen Aufwand, aber jeder hat die Möglichkeit, darauf zuzugreifen. Leider gibt es in Südtirol keine Diskussionskultur, die eine offene und ehrliche Auseinandersetzung mit dem Thema fördert. Für den Fortschritt einer Gesellschaft sind Diskussion und Kritik aber unumgänglich. Vor allem die Diskussionskultur, die vonseiten der Politik in Südtirol an den Tag gelegt wird, muss kritisiert werden: Diskussion, die auf gegenseitigem Schulterklopfen besteht, verfehlt den Sinn der Sache. Kritische Stimmen werden von vielen Südtiroler Politikern als Beleidigung aufgefasst. Das eine hat aber mit dem anderen nichts zu tun. Kritik ist notwendig, um Systeme zu verbessern.

Haben jene, die skeptisch sind, triftige Gründe oder sind sie schlecht informiert?

Ein Faktor, der viele zu Skepsis bewegt, ist, dass die Impfung noch relativ neu ist und die Langzeitfolgen deshalb noch zu wenig erforscht seien, um die Impfsicherheit bestätigen zu können. Inwieweit hält diese Argumentation einer wissenschaftlichen Prüfung stand?

Die Argumentation ist teilweise an den Haaren herbeigezogen. Bei der Gesamtheit aller anderen Impfungen sind die wenigen schwerwiegenden Nebenwirkungen, die es nach Impfungen gab, innerhalb von sechs Wochen nach der letzten Injektion aufgetreten. Jeder kann diese Tatsache für sich selbst nachlesen. Die Regulatoren – EMA (European Medicine Agency) und FDA (U.S. Food and Drug Regulation) – haben darauf bestanden, dass Pfizer und Moderna die Zulassung der Impfung erst nach zwei Monaten beantragen dürfen. So sind die Konzerne auch vorgegangen. Wird also die Vergangenheit als Maßstab verwendet, müssten heute alle schwerwiegenden Nebenwirkungen erfasst sein.

Zudem fehlt oft das Verständnis dafür, dass die Injektion des Impfstoffes der Injektion eines Zehntels des Virus gleich ist. Die Impfung enthält also dieselbe Information, die das Virus auch in sich trägt. Bei einer Corona-Infektion erhält der Körper also die in der Impfung enthaltenen Teilchen zusätzlich zu den restlichen 27 Teilchen, aus denen das Virus besteht. Zudem verbreitet sich das Virus nicht wie bei einer Impfung nur in den Muskelzellen an der Injektionsstelle, sondern befällt unter anderem Lunge, Leber, Herz und Blutgefäße. Die Frage, ob die Impfung einer Infektion vorzuziehen sei, erübrigt sich für mich.

Wird also die Vergangenheit als Maßstab verwendet, müssten heute alle schwerwiegenden Nebenwirkungen erfasst sein.

Der Titel eines ihrer Bücher lautet: “Nicht wissen, glauben will der Mensch.” Im Vorspann steht: “Selten ist der Mensch ein objektiver Beobachter. Manchmal muss man ihn vor seinen eigenen Entscheidungen schützen”. Ist die Covid-19-Impfung so ein Fall?

Ja. Der Mensch tendiert dazu – Sie genauso wie ich –, dem Bauchgefühl, lange gehegten Ansichten, Freunden, gewohnten Radiosendern und so weiter Glauben zu schenken. Wir treten nicht allen Informationen gleichermaßen kritisch gegenüber. Die Annahme, dass der Mensch in jeder Situation die für sich selbst optimale Entscheidung treffen kann, ist falsch.

Wie kann der Mensch in diesem Fall vor seiner eigenen Entscheidung geschützt werden? Braucht es eine allgemeine Impfpflicht für die Covid-Impfung?

Ich bin gegen eine allgemeine Impfpflicht. Aber die Menschen müssen ihre Verantwortung, sich gebührend und auf Basis der richtigen Quellen zu informieren, erkennen. Diese Verantwortung muss auch vonseiten der Politik klar und deutlich kommuniziert werden. Die Webseite der EMA, der FDA, des Robert-Koch-Instituts oder des Paul-Ehrlich-Instituts können genaue Auskünfte über die Impfung geben. Diskussion und Zweifel müssen nicht aus dem Nichts gegriffen werden, sondern auf Basis von fundierten Informationen beruhen. Nur dann kann ich mit gutem Gewissen eine verantwortungsbewusste Entscheidung treffen.

Sind alle Daten und Informationen im Bezug auf die Zulassung der Impfung öffentlich zugänglich?

Ab dem Moment, in dem eine Impfung in Europa zugelassen wird, hat der Bürger das Recht, auf die diesbezüglichen Daten und Informationen zuzugreifen. Vor der Zulassung ist das aus Konkurrenzgründen nicht möglich.

Gegner der Impfpflicht fordern, dass jede und jeder selbst über die eigene Gesundheit entscheiden soll. Sie selbst haben sich gegen eine Impfpflicht ausgesprochen. Es steht aber nicht nur die eigene Gesundheit auf dem Spiel, sondern auch die Gesundheit jener Menschen, denen aufgrund der hohen Infektionszahlen angemessene ärztliche Versorgung und Vorsorgeuntersuchungen vorenthalten bleiben. Habe ich das Recht, andere durch oft uninformierte Entscheidungen diesem Risiko auszusetzen?

Nein, haben Sie nicht. Wer mit einem Kreuzfahrtschiff nach Westafrika fahren möchte, muss eine Gelbfieberimpfung vorweisen. Wer die Impfung nicht machen möchte, bleibt zu Hause.

Diskussion, die auf gegenseitigem Schulterklopfen besteht, verfehlt den Sinn der Sache.

Für bestimmte Tätigkeiten und Berufe sollte es also eine Impfpflicht geben.

Ja. Ein Arzt oder Pfleger darf seine Patienten nicht dem Risiko einer Corona-Infektion aussetzen.

Mehrere Seiten haben den Vorschlag eingebracht, jene Menschen, die aufgrund einer Covid-19-Infektion natürliche Antikörper gegen das Virus gebildet haben, nicht zu impfen. Was halten Sie von diesem Vorschlag?

Aus den Richtlinien der Behörden geht klar hervor, dass jeder geimpft werden sollte. Einerseits wäre ein an die Impfung gekoppelter Antikörpertest viel zu aufwendig. Andererseits variiert die Menge und Art der Antikörper, die bei einer natürlichen Infektion gebildet werden. Der Schutz, der durch eine natürliche Infektion entsteht, reicht also in manchen Fällen nicht aus. Die Anzahl der neutralisierenden Antikörper, die durch eine Impfung gebildet wird, ist vier- bis fünfmal höher als bei einer natürlichen Infektion.

Wie kann die Impfbereitschaft der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Südtirol erhöht werden?

Die Informationen, die über die Medien verbreitet werden, müssen auf Substanz geprüft werden. Zuhörer und Leser müssen einen Zugang zur Information erlangen, der es erlaubt, Inhalte zu verstehen und nachzuvollziehen. Viele die in der Öffentlichkeit stehen, sprechen über die Dinge hinweg, es werden zu wenig relevante Inhalte vermittelt. Nur wenn der Mensch Vor- und Nachteile richtig einorden kann, wird er für sich selbst die beste Entscheidung treffen.