Gesellschaft | Pflegeheime

"Nicht nur Betreuung, ein Zuhause"

Der Direktor des Altenheims St. Pauls, Erwin Lorenzini, spricht über die momentane Situation im Heim und darüber, wie man den drohenden Personalmangel aufzufangen sucht.
Erwin Lorenzini
Foto: Facebook/Erwin Lorenzini

Seit Freitag ist die Suspendierung der noch nicht geimpften Mitarbeiter in den Gesundheits- und Pflegeberufen möglich. Auf Nachfrage von Salto.bz erklärt der Sanitätsbetrieb, dass im Moment die sogenannten Feststellungsverfahren laufen: Die betroffenen Personen, das heißt nicht geimpfte Mitarbeiter*innen und deren Arbeitgeber*innen werden in Kenntnis gesetzt. Dann wird überprüft, ob die Arbeitskraft in einem Bereich, wo kein Infektionsrisiko besteht, einsetzbar ist. Erst dann wird eine Suspendierung verfügt. Bis dato hat es keine Suspendierungen gegeben.

Der Direktor des Pflege- und Betreuungsheims St. Pauls, Erwin Lorenzini, spricht im Interview über die Situation in seinem Altenheim und darüber, wie man den Personalnotstand aufzufangen versucht.

 

Salto.bz: Herr Lorenzini, Sie haben im Mai angegeben, dass 21 der 80 Mitarbeiter im Altenheim St. Pauls sich noch nicht impfen haben lassen; ein Viertel ihrer Mitarbeiter. Wie ist die Situation in ihrem Heim in diesem Moment?

Erwin Lorenzini: Was die Suspendierungen betrifft, haben wir noch keine Mitteilung erhalten. Wir wissen also nicht, wann die ersten Suspendierungen greifen werden und wie viele unserer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen betroffen sind. Von den 21 Nicht-Geimpften im Mai haben sich sicherlich noch einige impfen lassen. Von anderen weiß ich, dass sie sich weiterhin dagegen stemmen. Genauen Überblick über die Zahl der nicht geimpften Mitarbeiter habe ich im Moment aber keinen. Sobald die Mitarbeiter die Mitteilung erhalten, werden sie eine Entscheidung treffen müssen, finanziell aber auch gesundheitlich.

Dass die Suspendierungen greifen werden, ist eine Frage der Zeit. Gibt es hier einen Plan, wie das Problem aufgefangen werden kann?

Wir haben mehrere Notfallpläne, einen Plan A, einen Plan B und auch einen Plan C. Wir haben diesbezüglich vorgesorgt. Unser Haus ist relativ offen, das heißt, dass Freiwillige und Familienangehörige bereits aktiv sind. Diese können sich mit dem grünen Pass im Heim frei bewegen. So versuchen wir die Normalität wieder aufzunehmen.

 

Was die Suspendierungen betrifft, haben wir noch keine Mitteilung erhalten.

 

Wie sehen diese Pläne konkret aus? 

Wir sind ein Seniorenwohnheim. Das bedeutet, dass einige unserer Bewohner sterben. Diese Plätze würden wir im Fall eines Personalmangels nicht nachbesetzen. Auch ein Stopp bei den Kurzzeitpflegebetten ist möglich. Es geht darum, den Betrieb auf etwa 90 Prozent der Kapazität herunterzufahren. Wir werden fünf bis zehn Heimbewohner weniger betreuen und so die fehlenden Mitarbeiter auffangen.

Das heißt, es geht vor allem darum, die Kapazität des Pflegeheims einzuschränken und nicht darum, die Heime mit zusätzlichen Arbeitskräften auszustatten?

Es gibt auf dem Arbeitsmarkt keine Arbeitskräfte. Das ist das große Problem. Natürlich würden wir gerne jemanden einstellen. Noch besser wäre es, wenn die jetztigen Mitarbeiter sich impfen ließen. Wir üben aber keinen Druck auf unsere Mitarbeiter aus. Menschlich gesehen tun mir die Suspendierungen leid, als Direktor muss ich mich den staatlichen Regelungen aber anpassen und die Mitarbeiter suspendieren.

Kann durch die Verringerung der Kapazität der jetztige Pflegestandard weiterhin gewährleistet werden? 

Nein, dieselbe Pflegequalität werden wir nicht haben. Wenn wir heute für 95 Heimbewohner 80 Mitarbeiter haben und morgen nur mehr 70, können wir ihnen natürlich nicht dieselbe Leistung abverlangen. In der Vergangenheit haben wir bewiesen, dass wir gemeinsam auch schwierige Situationen bewältigen können. Wir hatten während der ersten Pandemiewelle zwischen Heimbewohnern und Mitarbeitern 100 Covid-19 Fälle. Was mir Angst macht, ist die Dauer der Suspendierungen, dies könnte bis zu sechs Monate dauern. Ich hoffe, dass sich einige Mitarbeiter noch impfen lassen werden. Zudem werden wir pensionierte Fachkräfte um Unterstützung fragen.

 

Wenn Mitarbeiter wegfallen, haben wir weniger Zeit, uns den Menschen zu widmen.

 

Inwiefern wird die Betreuung der Heimbewohner unter dem Personalnotstand leiden? 

Wir machen vor allem Beziehungsarbeit mit den Heimbewohnern. Natürlich pflegen wir sie auch, aber wir begleiten die Menschen vor allem. Wir nehmen uns Zeit, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Für die Bewohner ist das Pflegeheim nicht nur eine Betreuungsstätte, sondern ihr zweites Zuhause. Unser Auftrag ist es nicht nur die Menschen zu betreuen, sondern sie auch glücklich zu machen. Wenn Mitarbeiter wegfallen, haben wir weniger Zeit, uns den Menschen zu widmen. Das erschreckt uns. 

Der Verband der Senioren- und Pflegeheime hat bekannt gegeben, dass Freiwillige und Angehörige engagiert werden, um die Heime zu unterstützen. Ist das möglich? 

Freiwillige und Angehörige können einen Teil der Aufgaben übernehmen. Die Bewohner sind glücklich, wenn sie eine Runde im Dorf machen können, einen Kaffee trinken können. Wenn sie jemanden haben, um über den Alltag zu sprechen und Zeit miteinander zu verbringen. Diese zusätzlichen, sehr wichtigen Tätigkeiten können Freiwillige und Angehörige übernehmen. Da wir noch keine genauen Informationen zu den Impfungen haben, haben wir uns aber noch nicht an Angehörige und Freiwillige gewandt. 

 

Ich möchte niemandem eine Schuld zuweisen. Ich kann mir vorstellen, dass jeder seinen Beitrag geleistet hat.

 

Die Suspendierungen werden vom italienischen Gesetz verlangt und können somit nicht umgangen werden. Hat die Landesregierung oder der Verband der Seniorenwohnheime etwas verpasst, um sich auf diese Situation vorzubereiten? 

Nein, ich möchte niemandem eine Schuld zuweisen. Ich kann mir vorstellen, dass jeder seinen Beitrag geleistet hat.

Im Bereich der Pflege gibt es schon seit Längerem einen Mangel an Arbeitskräften, nicht erst seitdem die Suspendierungen drohen. Welche Maßnahmen könnten hier gesetzt werden, um diesem entgegenzuwirken?

Man müsste eine landesweite Aktion starten, um Pflegekräfte auszubilden. Es wird bereits jetzt viel Werbung gemacht, um junge Leute für den Pflegeberuf zu begeistern. Ein anderer Weg wäre jener, Pflegekräfte aus dem Ausland herzuholen. Aber die Voraussetzungen für Arbeitskräfte sind hoch und wir sind hohe Standards gewohnt. Es geht um Zweisprachigkeit, Qualifizierung, Professionalität, aber auch die Kenntnis der Traditionen... Um Mitarbeiter aus dem Ausland einzulernen und einzugewöhnen, braucht es eine gewisse Zeit.

Was macht den Pflegeberuf für junge Leute attraktiv? 

Es ist eine sichere Arbeitsstelle, aber auch eine Arbeit mit Perspektiven. Meiner Meinung nach ist es zwar keine sehr gut bezahlte, aber trotzdem eine gut bezahlte Arbeit.

Viele wären mit dieser Aussage nicht einverstanden. 

Ein Pflegehelfer mit einem Mittelschulabschluss und einer einjährigen Ausbildung verdient zwischen 1.600 und 1.700 Euro netto. Das ist meiner Meinung nach eine gute Bezahlung, auch wenn die hohen Lebenserhaltungskosten in Südtirol diese Aussage streitig machen. 

 

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So sehe ich das Mo., 28.06.2021 - 17:48

Sehr geehrter Herr Lorenzini,
laut Ihnen sind 1600 - 1700 Euro für ein Pflegehelfer/OSS ein gut bezahlter Job?
* Schichtarbeit ( 3 Schichten );
* Wochenenddienst;
* Feiertagsdienst;
* familienunfreundlicher Job;
* 13 Monatsgehälter;
* jederzeit einspringen müssen wenn ein/eine Kollege/inn ausfällt:
* man kann kaum planen da die Turnuspläne für kommenden Monat erst 10 Tage vorher veröffentlicht werden;
UND DAS WICHTIGSTE :
* die Verantwortung zu den Heimbewohnern / Patienten;
Das Pflegepersonal arbeitet nicht mit Papier / Kugelschreiber / Tastatur und
Bürostuhl :-)
Weshalb meinen Sie dass in den Pflegeeinrichtungen eine "so große" Personal-Fluktation ist?

Mo., 28.06.2021 - 17:48 Permalink
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So sehe ich das Mo., 28.06.2021 - 18:23

Antwort auf von So sehe ich das

N.B :
" Ein anderer Weg wäre jener, Pflegekräfte aus dem Ausland herzuholen "
Dann fehlen die Pflegekräfte halt im Ausland.
Viele der "jungen" Südtiroler Pflegekräfte gehen in die Schweiz (überhaupt Vinschger) arbeiten. Aber auch nach Österreich oder Deutschland - dort sind die Löhne im Pflegebereich um einiges besser. .....ich spreche aus Erfahrung.

Mo., 28.06.2021 - 18:23 Permalink
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Profil für Benutzer Wolfgang Nischler
Wolfgang Nischler Di., 29.06.2021 - 09:59

Hr. Lorenzini kann und will bestimmte Missstände in der Landesregierung nicht ansprechen. In der Tat gibt es diesbezüglich keinerlei Unterstützung von der zuständigen Landesrätin Fr. Deeg. Fragen Sie doch dort einmal nach, welche Maßnahmen geplant sind.

Di., 29.06.2021 - 09:59 Permalink