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Tafel-Träume

Zurück aus der Großstadt, hat sich René Romen in Meran einen Traum erfüllt: Er stellt Schokolade her, mit so wenig wie möglich und so viel wie nötig.
René Romen
Foto: Anna Mayr

„Weniger ist mehr“ lautet das Credo des Meraner Chocolatiers René Romen. Es zieht sich wie ein roter Faden durch das minimalistische Konzept seiner Schokoladenmanufaktur „58 Chocolate“. Dabei schöpft er aus der Fülle: Nach acht ereignisreichen Jahren im Ausland ist er an den Ort zurückgekehrt, an dem er aufgewachsen ist, um sich einen Traum zu erfüllen.

 

Das Atelier 58 liegt in einem Seitengässchen des Meraner Rennweges. Versteckt und doch transparent. Hat man es erst einmal gefunden, gewähren große Fensterscheiben Einblick in den puristischen Verkaufsraum: Dunkle Böden, helle Wände und zurückhaltende, weiße Ausstellungstische, die im Hintergrund bleiben. Auch sonst steht in diesem Atelier nichts herum, was nicht unbedingt reingehört. Die Bühne gehört nur der Schokolade und ihrem Macher. René Romen, 29, hat viel gesehen, gemacht und erlebt. Acht Jahre verbrachte er in London und Berlin. Vor zwei Jahren kam er zurück, die Großstadt sieht und merkt man ihm noch an. Es sind nicht nur die Mütze und der hipsterisch angehauchte Kleidungsstil, sondern vor allem seine Offenheit und sein Weitblick, die erahnen lassen, dass er auch jenseits des Brenners Erfahrung gesammelt hat. Betritt eine vermeintlich deutsche Kundin seinen Laden, erzählt er in perfektem Hochdeutsch alles was es über Schokolade zu wissen gibt. Auch wenn er jetzt wieder zuhause ist, passt er sich an sein Gegenüber an. Ein Automatismus, den viele Weltenbummler*innen teilen. Kakaoduft liegt in der Luft. Den Raum beherrscht ein Mix aus Minimalismus, Transparenz und Geschmack. Alles ist sauber und aufgeräumt. Dabei wird hier nicht nur ausgestellt und verkauft, sondern auch gearbeitet. Nur eine Glasscheibe trennt den Tresen von Renés erster Arbeitsstation, in der die Bohnen ihre Reise antreten, bevor sie in der Werkstatt weiterverarbeitet werden. Der Arbeitsraum dieses zweiten Trakts ist durch mehrere Gucklöcher einsehbar. Fast wie in einem Museum, in dem man Station für Station in die Welt der Schokolade eintaucht. René erklärt die verschiedenen Entwicklungsschritte. Jede Begegnung ist für ihn eine Herausforderung, die er begeistert annimmt. „Wenn ich Menschen von meiner Schokolade erzähle, sie diese mitnehmen und dann wiederkommen, weiß ich, ich habe sie überzeugt“, sagt er und lächelt zufrieden.

 

Von der Bohne zur Tafel

 

René Romen macht alles selbst und begleitet den gesamten Herstellungsprozess seines Produkts, von der Auslese der Bohnen beim Bauern, über die Verarbeitung des Rohstoffes bis hin zur Vermarktung des Endprodukts. Deshalb heißt es bei ihm „from bean to bar“ – von der Bohne zu Tafel. „Wenn du aus den besten Rohstoffen mit deinen Händen und deiner Erfahrung das Beste herausholst, kann nur das Beste dabei herauskommen“, ist er überzeugt. Eine starke und gleichzeitig riskante Aussage. Denn wenn man alles selbst macht, bleibt keine Fluchtmöglichkeit. Kein Raum für Ausreden, das verlangt Selbstvertrauen. Die Basis dafür schufen seine Eltern durch deren freie Erziehung. Er erinnert sich gerne an seine unbeschwerte Kindheit zurück: „Spielen und erst um 10 Uhr abends ohne Angst nachhause gehen zu können, das ist nicht selbstverständlich“, weiß René nach vielen Jahren in der Großstadt. „In Großstädten hast du als Kind diese Freiheit nicht. Da ist immer ein Stoppschild“. Rückblickend nennt René sich selbst einen Rebellen. Er schwamm gegen den Strom und seine innere Neugier auf die Welt trieb ihn schlussendlich in die Welt hinaus. Er wollte die Chance nutzen, die Großstadt zu erleben, auf andere Kulturen zu treffen und Lebenserfahrung zu sammeln.

 

„Ich ging nicht weg, um zu arbeiten, sondern in die Welt, um zu lernen und zu erleben“, erinnert er sich. Seine Eltern bestärkten ihn drin und sagten: „Mach das!“ Schon in jungen Jahren hatte er sich – nicht unüberlegt – für die Gastronomie entschieden, denn er wusste: „Das öffnet Türen – immer und schnell. Da wird man immer gesucht.“ Nach seiner Kochlehre an der Savoy ging er nach Berlin, tauchte in die Hotellerie ein und perfektionierte sein Patisserie-Handwerk. Nach drei Jahren war er bereit für die nächste Herausforderung – auch sprachlicher Natur. Er zog an einen der wichtigsten Dreh- und Angelpunkte Europas: London. Schnell fand er in der 10-Millionen-Einwohnerstadt, in der es an erstklassigen Restaurants nicht mangelt, eine Stelle im Sternemilieu und erfuhr immer mehr Anerkennung für seine Arbeit. Was Großstadt und Gastronomie gemein haben, ist die Schnelllebigkeit. Beides fordert Flexibilität und bringt Unerwartetes, worauf man schnell reagieren kann, wenn man denn will. René wollte. Vor allem wollte er dazulernen. Er war nicht schüchtern und hatte stets eine Kopie seines Lebenslaufs in seinem Rucksack. „Man weiß ja nie, was sich so ergibt.“

 

Schmeckt nicht nach Schokolade

 

Und so kam es, dass ihn der Zufall an einem freien Tag nach Shoreditch im Osten Londons führte. Die hippe Künstlergegend beeindruckte und inspirierte ihn. Beim Spazierengehen entdeckte er eine Schokoladenmanufaktur. So kam ihm die Idee, seinen Fokus auf Schokolade zu setzen. Sie ist eines der wichtigsten Produkte in der Patisserie. Die Möglichkeit, diese für die Patisserie selbst herzustellen, begeisterte ihn. Vorher hatte er sich nie damit beschäftigt. Er erinnerte sich an seine Kindheit, als es hieß: Es gibt weiße, dunkle und Milchschokolade. Heute weiß er: „Schokolade schmeckt nicht einfach nach Schokolade.“

 

Allein Zartbitterschokolade hat viele Varianten und kann je nach Herkunft, Boden, Hangrichtung und Jahr ganz anders schmecken. Mutig zückte er also seinen Lebenslauf. Anfangs gab es eine klare Verneinung. „Danke, aber das Team ist voll“, hieß es. Eine Woche später aber kam dann der Anruf und er hatte die Stelle. Es dauerte nur zwei Monate bis René zum Produktionsleiter des Unternehmens aufstieg, das eine Filiale in London und eine in New York hatte – stets mit demselben Konzept: Produktion und Verkauf im gleichen Gebäude. Ein Element daraus nahm er mit in sein aktuelles Atelier: die Glaswand. Transparenz, das ist ihm wichtig, damit der Kunde barrierefrei sieht, was und wie produziert wird. Der Patissier hat gelernt, sich nie zu verstecken. „Das mag Angst einjagen, denn Transparenz macht angreifbar“, sagt er, „aber die Erfahrung hat mich gelehrt: Angst brauchst du nicht zu haben, wenn du hinter dem stehst, was du machst!“

 

Der Kunde ist Prinz

 

Seine Erfahrung hat René Romen selbstbewusst gemacht, aber nicht arrogant. Er begegnet Menschen gerne auf Augenhöhe. Deshalb missfällt ihm auch der Satz „Der Kunde ist König“. Er sieht seine Kund*innen als Prinz oder Prinzessin. René bietet ihnen etwas an, aber er will auch etwas zurück; nämlich die Möglichkeit, sein Gegenüber ein zweites Mal zu sehen – mit einem Feedback. Das treibt ihn an, jedes mal von Neuem sobald die nächste Kundschaft hereinspaziert. Die minimalistische Ader hingegen spiegelt sich – abgesehen vom Design und der Zutatenliste seiner Schokolade – auch im Produktportfolio wider. Die Kollektionen sind begrenzt. Zum einen um kreativ zu bleiben, zum anderen um dazu einzuladen, sich die Kollektion abzuholen. „Wir leben in einer Konsumgesellschaft, in der es immer mehr, mehr, mehr gibt“, sagt er, „davon will ich mich abgrenzen.“

 

Rebell ist er geblieben

 

Zu Renés erster Schokoladenkollektion, die den Namen seiner Heimatstadt trägt und zu der fünf unterschiedliche Geschmacksrichtungen zählen, gesellte sich im Frühjahr 2021 die „Alpi Collection“. Sie soll mit Südtiroler Bergminze, Ziegenmilch und Erdbeere noch mehr Heimat in die Schokolade bringen. Neu sind auch die Pralinen, mit denen er das Konzept „from bean to bar to praliné“ erweitert. Damit zählt er zu nur einer Handvoll Patissiers in Europa, die den gesamten Herstellungsprozess – von der Kakaobohne zur Praline – selbst meistern. Um faire Preise und gute Produktionsbedingungen zu gewährleisten, steht er in direktem Kontakt mit den Plantagenbesitzer*innen, die den Hauptrohstoff seiner Produkte produzieren. Bei einem Produkt wie Kakao, das bekanntlich viel Schatten wirft – von Sklaverei und Kinderarbeit bis hin zu gestreckten, minderwertigen Produkten – ist das kein Leichtes. Aber René bleibt seinem Credo auch hier treu: Ein bisschen gegen das Große und immer für das Richtige. Rebell ist er geblieben. Auf die abschließende Frage, was bei Schokolade denn eigentlich das Wichtigste sei, zieht René eine Parallele zum Leben: „Die beste Geschichte hinter einem Produkt ist nichts wert, wenn es nicht schmeckt. Genauso ist es im Leben. Ist man offen und pflegt einen respektvollen Umgang mit Mensch und Dingen, ergibt sich ein Gesamtbild, das nicht nur schön ist, sondern auch schmeckt.“

 

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Sebastian Felderer Mi., 30.06.2021 - 18:01

Ich hatte das Vergnügen, René kennen zu lernen. Die Beschreibung seiner "Persönlichkeit" in diesem Beitrag stimmt punktgenau. Das Selbstbewusstsein Renés bringt ihm den Erfolg. Er tut, was er weiß und weiß, was er tut.
Was mich besonders fasziniert an ihm, ist die Einstellung zu seinem Umfeld und zu seiner Tätigkeit, zum Geschäft schlechthin. "Weniger ist mehr", ist noch ziemlich geläufig. Aber dass der Kunde nicht König ist, sondern Prinz, das überrascht und hebt ab von der üblichen Unterwerfungshaltung. "Er möchte auch was zurück", sagt er. Genau dies fasziniert mich. Ich sehe es genau so bei meiner Tätigkeit als Aussteller. Das ist das Bedürfnis, das wohl jeder kreative Mensch, jeder Kunstschaffende hat. Er hat gleichsam Anrecht auf ein Feedback. Der Dank für den herrlichen Schokoladegenuss, für das Beleben der Sinne muss zurückfließen auf den Verursacher, auf den Auslöser dieses Genusses und muss ihm Input und Anreiz sein für sein Handwerk, seine Kunst. Ich denke, genau darin liegt der Unterschied zwischen edlem Genuss und bloßem Konsum.

Mi., 30.06.2021 - 18:01 Permalink