Politik | No-Green-Pass-Demo

Das Recht der Mehrheit, sich zu schützen

Die No-Green-Pass-Leute beharren darauf, sich nicht gegen COVID-19 zu immunisieren und dadurch andere zu gefährden. Mit dem „Tod der Demokratie“ hat das nichts zu tun.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Das Zu-Grabe-Tragen der Demokratie am S. Magnago-Platz gestern war eine lächerliche Inszenierung. Ob bei bisher rund 4 Millionen Corona-Opfern weltweit ausgerechnet die Impfgegner „tränengefüllte“ Kanister aufstellen, ist mehr als schlechter Geschmack. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass es in vielen Ländern statt der offiziell angegebenen 3,4 Millionen (Stand Mai 2021) ca. 6 bis 8 Millionen direkte und indirekte Todesfälle durch die COVID-19-Pandemie verursacht wurden. Eine breite Mehrheit der Gesellschaft will sich schützen; die große Mehrheit der Politik unterstützt diesen Ausweg aus der Pandemie, von dem auch die Ungeimpften profitieren. Eine kleine Minderheit – in Südtirol gibt es noch 20% komplett Ungeimpfte, in der Lombardei weniger als 16% - beharrt auf dem Anspruch, sich und den Rest der Gesellschaft mit einer Ansteckung zu gefährden. Bei jeder direkten Abstimmung über die Pandemiebekämpfung würden die No-Vax unterliegen, aber der Weg zu dieser Art von Beteiligung steht ihnen jederzeit frei.

Seit gestern gilt der Grüne Pass als Voraussetzung für den Zugang zum Arbeitsplatz. Wer am Arbeitsplatz partout die Impfung ablehnt und damit Kollege:innen gefährdet (das tun auch bloß Getestete, weil der Test eigentlich nur wenige Stunden aussagekräftig ist), muss sich eben kostenpflichtig testen lassen. Ansonsten stehen nebenan die Impfzentren für die kostenlose Immunisierung bereit. Für die Rettung und Pflege der No-Vax-Menschen muss das Gesundheitssystem Italiens heute schon 70 Millionen Euro im Monat an Zusatzkosten aufbringen (Studie ALTEMS, Univ. Cattolica Mailand), während Millionen Impfdosen in der nächsten Zeit verfallen und entsorgt werden müssen. Wer in diesem Zusammenhang für Gratistests eintritt, schwächt den Druck auf die Unentschiedenen, sich endlich impfen zu lassen. Damit wird das Ende der Pandemie zum Schaden aller hinausgeschoben.

Die hartgesottenen No-Green-Pass-Leute lassen sich von solchen Argumenten nicht beeindrucken. Doch es bleibt dabei: in einer Pandemie ist jeder nicht nur für seine Unversehrtheit verantwortlich, sondern auch Teil der Unversehrtheit mit Mitbürger:innen: der Nächsten in der eigenen Familie und Freundeskreis, aber auch am Arbeitsplatz, der Mitreisenden, der anderen Gäste im Gastbetrieb und bei öffentlichen Veranstaltungen jeder Art. Jeder ist frei, sich einzuigeln, aber nicht die anderen anzustecken. Wer wissenschaftlich fundierter Diagnose und Therapie und der ganzen pharmazeutischen Forschung misstraut, sollte konsequenterweise auch keinen Fuß mehr über die Tür einer öffentlichen Klinik setzen.

Die Freiheit, sich nicht immunisieren lassen, ist in einem demokratischen Rechtsstaat durch Grundrechte gesichert. Wer sich aber vor der Solidarität fürs Gemeinwohl drückt, muss Beschränkungen in Kauf nehmen. Demokratie umfasst zwar möglichst wirksame Mechanismen zum Schutz von Minderheiten aller Art, nicht aber das Recht einer Minderheit, die große Mehrheit ebenfalls zur Verantwortungslosigkeit zu zwingen. Wir sind frei, uns nicht zu immunisieren, aber nicht, (fast) alle anderen gesundheitlich zu gefährden.