Gesellschaft | Bozen

„Das ist eine Schande“

Paul Tschigg über das Ende des VinziBus, den Eiertanz um die Mensa in der Marconistraße und den Versuch der Politik die Bedürftigen an den Rand der Stadt zu drängen.

Tschigg, Paul
Foto: RAInews
Salto.bz: Herr Tschigg, gestern musste der VinziBus seinen Essenausgabedienst für bedürftige Menschen einstellen. Ist es der Politik nach 18,5 Jahren gelungen diesem erfolgreichen Hilfsprojekt den Garaus zu machen?
 
Paul Tschigg: Ja, leider. Wir mussten die Essensverteilung einstellen, weil die Gemeinde Bozen beschlossen hat, alles nach Bozen-Süd in das sogenannte Alimarket-Gebäude zu verlegen. Wir sind aber überzeugt, dass das Schwachsinn ist. Die Menschen bewegen sich im Zentrum und wie bitte sollen sie jetzt in die Industriezone kommen? Wir wollten deshalb unbedingt im Zentrum weitermachen. Doch das hat man uns nichts erlaubt.
 
Die Gemeinde hat Euch einfach keinen Stellplatz für den VinziBus und die Essensausgabe mehr gegeben?
 
Bis vor eineinhalb Jahren hatte der VinziBus seinen fixen Ausgabeplatz am Verdiplatz. Dort haben wir zusammen mit der italienischen Vinzensgemeinschaft und Volontarius diesen Dienst gemacht. Wegen der Coronapandemie wurde diese Essenausgabe dann geschlossen. Wir mussten in Freie gehen und die Gemeinde hat uns verschiedene Standplätze in der Altstadt zugewiesen. Anfänglich waren es 5 Stellplätze, dann wurde daraus 3 Plätze und schließlich dürften wir nur mehr an einem Ort stehen. Dazu hat die Gemeinde vorgeschrieben, dass wir nur mehr mittags arbeiten dürfen. Was für uns ein Problem ist, denn dort haben wir deutlich weniger freiwillige Helferinnen und Helfer.
 
Auch der Verein Volontarius stellt seine Arbeit für den VinziBus ein.
 
Wir arbeiten seit vielen Jahren mit Volontarius zusammen, wir wechseln uns an verschiedenen Tagen ab. Auch sie haben am Dienstag den Dienst eingestellt, weil die Vereinbarung mit der Gemeinde am 15. November ausgelaufen ist und von der Gemeinde nicht mehr verlängert wurde.
 
 
 
Die Menschen bewegen sich im Zentrum und wie bitte sollen sie jetzt in die Industriezone kommen?
 
Sie und der Vinzenzverein arbeiten auch an einer fixen Essensausgabe im Zentrum. Auch dieses Projekt wurde blockiert?
 
Weil wir gemerkt haben, dass die Gemeinde uns keinen Platz mehr geben will, haben wir uns auf die Suche nach einer geeigneten Immobilie gemacht und sind fündig geworden. Wir haben in der Marconistraße ein Lokal angemietet, das wir für eine Mensa adaptieren wollen. Es gibt dazu seit Dezember 2020 eine regen Kontakt und Austausch mit den zuständigen Politikern und Funktionären der Gemeinde Bozen. Anfang September haben wir die Planung abgeschlossen. Wir haben zuerst ein Vorprojekt, dann ein Ausführungsprojekt eingereicht und den Baubeginn für die Umbauarbeiten angemeldet.  
Doch plötzlich wurde alles blockiert. Man sagte uns eine Mensa sei in diesem Lokal nicht möglich, es brauche eine Zweckumwidmung.
 
Was eine Ausrede ist: Denn vorher war in diesem Lokal der Abhängigkeitsdienst HANDS tätig, der ebenso Parteienverkehr hatte?
 
Mit HANDS war bereits sechs oder sieben Jahre lang eine öffentliche Einrichtung drinnen. Vor allem aber ist es so, dass wir das Essen ja nicht dort zubereiten, es wird angeliefert und wir teilen es dort nur aus. Das kann es also nicht sein. Plötzlich hat man uns gesagt, das Kondominium sei dagegen. Aber auch das kann so nicht stimmen.
 
 
 
Tatsache ist, dass man Menschen, die bereits am Rand der Gesellschaft leben, noch mehr an den Rand der Gesellschaft schiebt.
 
Haben Sie mit den Wohnungsbesitzern vorab nicht gesprochen?
 
Natürlich haben wir das. Wir sind immer transparent und sehr offen. Bereits im März haben wir der Hausverwaltung ein Schreiben geschickt, in der wir alle Details unseres Projekts dargestellt haben. Dieses Schreiben ging auch der Gemeindeverwaltung zu Kenntnis. Wir haben dort unsere privaten Telefonnummern angegeben und uns explizit bereit erklärt - wenn nötig - im Haus ein Meeting zu veranstalten, um auf alle offenen Fragen oder auf Bedenken zu antworten. Es hat Hausintern weder besondere Nachfragen gegeben, noch hat jemand protestiert. Deshalb sind wir davon ausgegangen, dass es auch kein Problem geben wird. Doch plötzlich hieß es in der Gemeinde, das Kondominium sei dagegen. Erst nach längerer Diskussion kam heraus, dass der Protest vom Nachbarhaus ausgeht.

Der Zufall will es, dass dort ein ehemaliger SVP-Stadtrat und amtierender Gemeinderat wohnt, der sich in einem Dolomiten-Interview vehement gegen die Mensa ausgesprochen hat?
 
Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass der Druck von dort ausgegangen ist.
 
Die Stadtregierung Caramaschi will die Obdachlosen aus dem Zentrum vertreiben. In der Altstadt braucht Platz für die Horden der Weihnachtsmarkt-Besucher. Beim schnellen Geldverdienen sind diese Menschen aber anscheinend im Weg?
 
Der Weihnachtsmarkt allein wird es nicht sein. Tatsache aber ist, dass man Menschen, die bereits am Rand der Gesellschaft leben, noch mehr an den Rand der Gesellschaft schiebt. Dahinter steht die Überlegung: Je weniger Infrastrukturen man diesen Menschen bietet, desto schneller verschwinden sie wieder. Doch das kann es doch nichts sein. In jeder Großstadt gibt es eine sogenannte Bahnhofsmission, die im Zentrum ist und dort arbeitet, wo die Menschen sind. Und nicht dort, wo sie die Politik gerne hätte.
 
 
Es braucht in Bozen eine menschenwürdige Lösung. Eine Lösung, die dort ist, wo die Menschen sind und nicht dort, wo wir sie haben möchten.
 
Die Politik scheint jenen Menschen, die sich freiwillig und ehrenamtlich für Schwächere einsetzen, einen Prügel nach dem anderen in den Weg zu legen?
 
Wir hören immer wieder das Loblied auf das Ehrenamt und die Freiwilligen. Wir leben dabei in vielen Bereichen auch nur von Freiwilligen-Organisationen, etwa in der Rettung. Aber in diesem Bereich will die Politik anscheinend selber entscheiden, wo die Menschen hingehören. Und dabei sollen sich die Freiwilligen nicht einmischen.
 
Ist diese Vorgangsweise nicht eine Schande für das reiche Südtirol?
 
Das ist eine Schande für Bozen und für das ganze Land. Denn wenn wir uns mit diesen Menschen nicht auseinandersetzen, dann werden wir nie weiterkommen. Die Struktur in der Marconistraße hätten wir als Vinzenzgemeinschaft auf- und ausgebaut, geführt, gezahlt und wir hätten die ganze Verantwortung übernommen. Es wäre vor allem eine langfristige Lösung gewesen. Denn ich frage mich schon: Wie lang geht das im Alimarket-Gebäude. Derzeit spricht man bis Juli 2022. Und dann? Glauben die, dass sich diese Menschen dann in Luft auflösen? Es braucht in Bozen eine menschenwürdige Lösung. Eine Lösung, die dort ist, wo die Menschen sind und nicht dort, wo wir sie haben möchten.
 
 

Vorweg,ein Kompliment an Paul und seinen Helfern für ihren Jahrelangen Einsatz für Bedürftigte,auch weil Paul sich kein Blatt vor dem Mund nimmt und den Verantwortlichen der Gemeinde Bozen aufzeigt wo es Möglichkeiten gäbe zu helfen ,aber vom Bürgemeister Caramaschi und Co. nicht zur Kenntnis genommen wird. Wirklich eine Schande.

Mi., 17.11.2021 - 09:49 Permalink

Menschen, die wertvolle Hilfe für arme und verlassene Menschen persönlich oder bürokratisch verhindern, sollten keine Weihnacht feiern; sie verletzen grob Jesu Aussage : "Was ihr den geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan !" Den Bürgermeister Caramaschi ersuche ich dringend, in diesem Sinne die Problemlösung von Vinzibus in der Marconistrasse ehestens zu genehmigen.

Mi., 17.11.2021 - 09:55 Permalink

Ehrenamt ist anscheinend nur dann fördernswert, wenn es an Bevölkerungsgruppen gerichtet ist, die in das scheinheilige Bild passen, das man von Südtirol zeichnen möchte. Beschämend aber bezeichnend für unsere Gesellschaft.

Sa., 20.11.2021 - 17:02 Permalink