Politik | Kaltern

“Kopf nicht in den Sand stecken”

Der Beschluss, mit dem der Kalterer Gemeinderat erneut Nein zu Asylwerbern sagt, wird keine Probleme lösen, ist Vizebürgermeister Werner Atz überzeugt.
Werner Atz
Foto: KVW

Es sei “ein klares Zeichen gegen illegale Einwanderung und dafür, dass wir uns an ihren Folgen nicht beteiligen wollen” gewesen, das die Mehrheit im Kalterer Gemeinderat habe setzen wollen, sagt Siegfried Rinner. Am Montag stand ein Beschlussantrag zur Abstimmung, der den Gemeinderat aufforderte – nach dem Nein zum SPRAR-Programm –, ein weiteres Mal sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen auszusprechen. Eingereicht von Rinners Parteikollegen, dem SVP-Rat Mathias Lobis, fand der Antrag schließlich eine knappe Mehrheit. Siegfried Rinner selbst enthielt sich der Stimme, “weil ich als Fraktionssprecher eine neutrale Position einnehme”, erklärt er im Gespräch mit salto.bz. Dass die SVP nicht geeint stimmte, sieht Rinner nicht tragisch. Die Meinungen in der Partei zum Thema Asylwerber gingen “weit auseinander” und jeder sei frei gewesen, “nach seinem sozialen und humanen Gewissen” abzustimmen.
Dieses Gewissen hat Vizebürgermeister Werner Atz dazu gebracht, den Antrag abzulehnen. Auch Atz ist SVPler, Sozialreferent der Gemeinde Kaltern und nicht zuletzt Geschäftsführer des KVW.

salto.bz: Herr Atz, Sie haben am Montag gegen den Antrag Ihres Parteikollegen gestimmt. Warum?
Werner Atz: Nicht zuletzt habe ich aus rechtlicher und menschlicher Überzeugung gegen diesen Antrag gestimmt. Als Sozialreferent der Gemeinde sehe ich mich ich immer wieder mit der Frage und der Aufgabe konfrontiert, wo man Asylanten in Kaltern unterbringen könnte. Einerseits in der Bezirksgemeinschaft als es um das SPRAR-Programm ging, und zuletzt auch von der Provinz Bozen bezüglich des CAS-Programms. Klar, jeder wünscht sich – auch ich –, dass in den Herkunftsländern alles mögliche unternommen wird, damit es diese Migrationsbewegungen nicht mehr gibt. Das unterschreiben wir alle. Nur ist die Realität eines Sozialreferenten in Südtirol leider etwas anders.

Wenn es eine Diskussion gibt, müssen wir diese auf Augenhöhe miteinander führen. Auf Kanälen wie sozialen Netzwerken führe ich keine Diskussionen.

Inwiefern?
Er wird damit konfrontiert, dass diese Asylanten bereits hier sind und sie irgendwo untergebracht werden müssen. Und die Realität sagt uns ganz klar, dass wir in Kaltern früher oder später 28 Asylanten aufnehmen werden müssen.

Allerdings nicht aus freien Stücken, sondern weil das Land Südtirol nach der Ablehnung an der Teilnahme am SPRAR-Programm auf eigene Faust Unterkunftsmöglichkeiten in Kaltern schaffen will.
Wir haben uns gegen das SPRAR-Programm ausgesprochen, ja. Gegen das CAS-Programm können wir nicht viel tun. Da entscheidet die Provinz, wo Flüchtlinge untergebracht werden. Sogar der Antragsteller selbst gesteht ein, dass man das CAS-Programm nicht wirklich abwählen kann. Auch deshalb hat es für mich nicht viel Sinn gemacht, diesem Beschlussantrag zuzustimmen.

Konkrete Folgen hat der Beschluss keine?
Was ich als Sozialreferent befürchte ist, dass dieser Beschluss die Handlungsspielräume der Gemeinde ziemlich einschränkt. Wenn die Provinz Bozen nun herkommt und sagt, wir würden gerne mit der Gemeinde Kaltern über das CAS-Programm sprechen, dann muss die Gemeindeverwaltung sagen: Tut mir Leid, aber der Gemeinderat hat sich zwar mit einem knappen Ergebnis, aber doch mehrheitlich dafür ausgesprochen, an diesem CAS-Programm nicht teilzunehmen.

Kaltern wird früher oder später 28 Asylanten aufnehmen müssen. Die Frage ist nur, in welcher Form.

Die Gemeinde klinkt sich komplett aus dem Thema Flüchtlingsaufnahme aus?
Das kann ich mir nicht vorstellen. Aber im Beschlussantrag von Mathias Lobis heißt es ganz klar, dass man sich gegen die Aufnahme von Asylanten ausspricht und dass die Gemeindeverwaltung alles tun muss, “um eine Ansiedlung von Asylbewerbern zu verhindern”. Für einen Sozialreferenten und die Gemeindeverwaltung schmälert das die Möglichkeiten, aktiv mitzureden, sollte das CAS-Programm gestartet werden. Darüber hinaus muss ich ganz offen sagen, dass das CAS-Programm den Vorteil hat, dass die Asylanten in einer bestimmten Struktur untergebracht werden, sie von einem Verein begleitet werden und entsprechend auch die Überschaubarkeit und Verträglichkeit der Struktur gegeben ist.

Ihre Meinung wird von der Mehrheit des Gemeinderates nicht geteilt, wie man zuletzt am Montag gesehen hat. Die Abstimmung hat erneut gezeigt, dass auch Ihre Partei, die SVP, gespalten ist: Sechs der anwesenden SVP-Räte haben für den Antrag aus den eigenen Reihen gestimmt, drei dagegen, drei haben sich enthalten, darunter die Bürgermeisterin. Wie erklären Sie sich die unterschiedlichen Positionen?
Wir sind eine Sammelpartei, in der verschiedene Meinungen vorherrschen. In dieser Angelegenheit gibt es innerhalb der Partei jene, die sich dafür aussprechen, und jene, die dagegen sind. Ich glaube, das ist die Seele einer Volkspartei, dass man nicht immer einer Meinung ist.

Sind sich die Kalterer auch uneins?
Ich kann nicht von der gesamten Bevölkerung sprechen, sondern nur von jenen Menschen, mit denen ich in Kontakt komme. Die Meinungen sind relativ gespalten. Es gibt jene, die sagen, Kaltern hätte sehr wohl die Möglichkeit, Asylanten aufzunehmen. Aber es gibt auch jene, die sagen, Kaltern soll keine aufnehmen.

Die Angst ist nicht ganz weg, aber man geht die Angelegenheit offener an.

Ähnlich wie in anderen Gemeinden? Wobei man feststellen kann, dass sich in den Landgemeinden, die bereits Flüchtlinge aufgenommen haben, anfängliche Befürchtungen nicht bewahrheitet haben und die Skepsis im Laufe der Zeit großteils breiter Akzeptanz gewichen ist.
Genau. Ich bin mit anderen Gemeinden in Kontakt, in denen das CAS-Programm bereits gestartet ist und habe mich mit ihnen konfrontiert. Und ich muss wirklich sagen, dass sich in jenen Gemeinden, in denen anfangs sehr große Skepsis vorherrschte, die Angst in der Bevölkerung gelichtet hat sobald die Personen einmal da waren, man sie kennengelernt und gesehen hat, dass sie auch Menschen sind. Die Angst ist nicht ganz weg, aber man geht die Angelegenheit offener an.

Hätten Sie sich gewünscht, dass die Abstimmung am Montag anders ausgegangen wäre?
Im Gemeinderat sind verschiedene politische Meinungen vertreten und jeder hat nach seinem Wissen und Gewissen abgestimmt. Die Entscheidung ist gefallen, ich habe gegen den Beschlussantrag gestimmt. Natürlich erhofft man sich stets, dass die eigene Meinung eine Mehrheit findet. In dem Fall war es leider nicht so. Aber deshalb geht die Welt nicht unter.

Der Gemeinderat hat auch beschlossen, innerhalb Oktober eine Bürgerversammlung zum Thema Flüchtlinge bzw. Aufnahme von Asylwerbern zu veranstalten. Was erwarten Sie sich davon?
Ich erwarte mir, dass die verschiedenen Seiten angehört werden, dass eine ganz sachliche Diskussion stattfindet und die Menschen, die sich dafür einsetzen ebenso wie jene, die dagegen sind, sich der Thematik gemeinsam widmen und sich austauschen.

Scharfe Worte nach der Abstimmung


 

Der Einbringer des jüngsten Antrags in Kaltern kritisiert in einem öffentlichen Facebook-Post die meisten SVP-Räte, die nicht dafür gestimmt haben, scharf. Am Harschesten ist die Kritik an Bürgermeisterin Gertrud Benin Bernard. Finden Sie das in Ordnung?
Ich kann nicht für Mathias Lobis sprechen. Ich habe den Post gelesen, aber wie immer, wenn eine politische Thematik am Tapet ist, diskutiere ich sie nicht in sozialen Netzwerken, sondern persönlich. Wie Sie gesehen haben, habe ich auf diesen Post nicht geantwortet. Das ist nicht mein politischer Stil. Wenn es eine Diskussion gibt, müssen wir diese auf Augenhöhe miteinander führen, Pro und Contra abwägen und danach kann jeder seine Meinung haben. Auf Kanälen wie sozialen Netzwerken führe ich allerdings keine Diskussionen.

Flüchtlinge und der Umgang damit wird Thema in der Partei bleiben?
Ja, das ist sicher eine Thematik, die nicht erst seit heute auf dem Tisch ist, sondern schon seit einer gewisser Zeit im Raum steht. Mit diesem Beschluss ist sie nicht vom Tisch. Asylanten und Migranten sind eine Thematik, die wir in den kommenden Jahren aufarbeiten und für die wir Lösungsansätze finden müssen. Dazu kommt, dass diese Thematik in einigen Menschen ganz viel Angst auslöst – diesen Ängsten muss man begegnen, versuchen, sie zu entkräftigen und die bestmögliche Lösung zu finden. Was man nicht tun darf ist, den Kopf in den Sand stecken, sagen, wir wollen keine Asylanten und meinen, dass das Problem somit gelöst ist.

 

Auf die öffentliche Attacke gegen die Bürgermeisterin angesprochen, winkt der SVP-Fraktionssprecher Siegfried Rinner ab: “Nach über 40 Jahren in der Politik, in denen sie einiges erlebt hat, weiß sie, wie reagieren.”

Bild
Profil für Benutzer Paul Schöpfer
Paul Schöpfer Fr., 22.09.2017 - 20:55

Information ist besser als Emotion. Schauen wir uns die offiziellen Zahlen des Innenministeriums an.
Kurz ein paar Auszüge:
2016 sind die in Italien 186.000 angelandet, davon haben nur 123.600 Asyl beantragt. Zirka 60.000 davon sind einfach verschwunden. Wohin?

Nur 5 % der Asylansuchen werden genehmigt, weil es sich effektiv um Flüchtlinge handelt. Weitere 35% erhalten eine befristete Aufenthaltsgenehmigung aus anderen gründen. 60 % der Asylanträge werden abgelehnt da kein Anspruch besteht. Das bedeutet, das von den 186.000 angelandeten, bei gleichbleibenden Prozentsätzen, ca. 6.000 wirklich Kriegsflüchtlinge sind und insgesamt ca. 50.000 tsd. eine legale Aufenthaltsgenehmigung erhalten. 120.000 haben entweder nicht mal um Aufenthaltsgenehmigung angesucht oder keine erhalten, da kein Anrecht besteht. All diese werden aber nicht zurückgebracht, sondern bleiben zum Großteil illegal hier. Übrigens sind nur eineinhalb Prozent der Asylwerber aus Syrien.

Quelle (http://www.libertaciviliimmigrazione.dlci.interno.gov.it/it/documentazi…)

Fr., 22.09.2017 - 20:55 Permalink