Abgang einer Unerschrockenen
Bezeichnend ist die Uhrzeit: Nur fünf Minuten bevor Martha Stocker die Medien im Land informiert, teilt sie ihrer Partei am Sonntag Abend mit, dass sie für eine Kandidatur bei den Landtagswahlen im Herbst nicht zur Verfügung steht.
Partei und Bezirk erwischt die Landesrätin kalt. Weder Obmann Philipp Achammer noch Bezirksobmann Meinhard Durnwalder wussten von ihrem bevorstehenden Abschied.
“Ich war sehr überrascht”, gesteht SVP-Obmann Philipp Achammer am Montag Morgen. Er hatte “fix” mit Stocker auf der Kandidatenliste für die Landtagswahlen gerechnet. Dass es nur einen Grund für Stockers Rückzug gegeben hat, glaubt Achammer nicht. Vielmehr dürfte es eine wohl überlegte und sorgsam vorbereitete Entscheidung gewesen sein.
Bewegte Zeiten
“Es war für sie ohne Zweifel eine schwierige Amtszeit mit sehr schwierigen Themen”, meint Achammer. Als Landesrätin für Gesundheit, Soziales, Arbeit und Sport musste Stocker etwa bei der Schließung der Geburtenstationen von Innichen und Sterzing ihr Gesicht hinhalten. “Natürlich steht man als Landesrätin in der ersten Reihe, aber die Entscheidungen wurden immer gemeinsam in der Landesregierung und in der Partei getroffen”, unterstreicht Achammer. Dabei habe es viel Streit und viele kontroverse Diskussionen gegeben. Er selbst sei nicht immer einer Meinung mit der Landesrätin gewesen, verrät der Parteiobmann. “Aber Martha Stocker hat keine Diskussion gescheut. Und wer sie kennt, weiß: Sie hat eine sehr, sehr dicke Haut.”
Anerkennung schwingt mit in Achammers Stimme: “Man kann Martha Stocker nur Respekt für all das, was sie in diesen vielen Jahren der Tätigkeit in der Partei und in ihren gewählten Ämtern gemacht hat, danken.” Wertschätzende Worte kommen auch von Meinhard Durnwalder. Der SVP-Obmann von Stockers Heimatbezirk Pustertal nennt ihren “ausgezeichneten Einsatz”, ihre “Hartnäckigkeit” und ihr “Tiroler Heimatbewusstsein” als besonders schätzenswert. Stockers Beschluss, im Herbst nicht mehr antreten zu wollen, sei “eine persönliche Entscheidung und als solche zu akzeptieren”, sagt Durnwalder.
Platz für Erneuerung
Mit ihrem Verzicht auf eine Landtagskandidatur macht Martha Stocker Platz “für Neue”, wie sie selbst sagt. Es ist inzwischen kein Geheimnis mehr, dass im Pustertal ein großes Drängeln um einen Startplatz auf der SVP-Liste im Gange ist. “Ein Platzhirsch ist nun weg”, bringt es Meinhard Durnwalder auf den Punkt. Er spricht von einer ganzen politischen Generation, die nun abtritt: “Martha Stocker, Richard Theiner, Florian Mussner, Hans Berger, Karl Zeller – es findet ein Generationenwechsel statt.” Und den sieht Durnwalder durchaus positiv. “Aber nun müssen wir schauen, wie wir uns aufstellen müssen.”
Bis 30. April müssen die Anwärter für die 22 Kandidatenplätze, die über die SVP-Bezirke vergeben werden, feststehen. Am 22. Mai findet dann die Abstimmung im Pusterer Bezirk statt. Zehn Kandidaten wird der Landeshauptmann in Absprache mit dem Parteiobmann vorschlagen. Alle 35 Landtagskandidaten, die über den Parteiausschuss den Sprung auf die Kandidatenliste der Volkspartei schaffen, werden Anfang Juni auf der SVP-Landesversammlung präsentiert.
Über Martha Stockers Erben – als Landtagskandidatin und Landesrätin – will sich der Parteiobmann am Montag nicht äußern. Seit Längerem bringt sich Thomas Widmann immer wieder als nächster Sanitätslandesrat ins Gespräch. “An diesen Spekulationen beteilige ich mich nicht”, so der Kommentar von Philipp Achammer. Auch, ob künftig die Hammer-Ressorts Gesundheit, Soziales und Arbeit in die Hand einer einzigen Landesrätin bzw. eines einzigen Landesrates gelegt werden, lässt er offen: “Das ist nicht meine Entscheidung, und dafür müssen wir erst einmal die Wahl abwarten.”
Achammer geht jedenfalls davon aus, dass Martha Stocker nicht völlig von der politischen Bühne verschwinden wird und “als politische Person, die sie ist, der Partei erhalten bleibt”.
Grüne: “Signal einer neuen Ära”
Inzwischen haben sich auch die Grünen in einer Presseaussendung zu Stockers bevorstehendem Abschied aus Landesregierung und Landtag geäußert:
“Landesrätin Stocker hat 2014 von ihren Vorgänger im Bereich Gesundheit und Soziales ein schweres Erbe übernommen, die anschließenden Herausforderungen wie Gesundheitsreform und Flüchtlingsbewegung haben die Last ins Ungemessene vergrößert. An diesen Aufgaben hätten sich die allermeisten Anwärter verhoben, Landesrätin Stocker hat sich diesen Herausforderung im Dienste der Partei gewohnt diszipliniert gestellt, sie hinterlässt aber die zentralen Agenden Gesundheit und Soziales, zumal den Flüchtlingsbereich, als problematische Baustellen. Dennoch: die langfristige politische Bilanz von Martha Stocker ist mehr als beachtlich: Sie hat an der Schnittstelle zwischen Frauen- und Sozialpolitik, Bildung, Kultur und Volkstumspolitik nicht nur für Ihre Partei Herausragendes geleistet, sondern auch den Übergang von der Ära Magnago (der sie gefördert hat) in die Ära-Post-Durnwalder-Ära (der sie klein zu halten versuchte) begleitet und maßgeblich gestaltet.
Nicht in der Tätigkeit als Landesrätin liegt ihr eigentliches Verdienst, sondern in der sorgsamen Gestaltung vieler Übergänge in 40 Jahren. Dabei zählte der Dienst an ihrem Land ebenso viel wie die SVP und die eigene, durchaus macht- und medienbewusste Profilierung. Mit ihrem absehbaren Abgang verliert nicht nur ihre Partei eine zentrale Impulsgeberin. Ihr Abschied ist Signal einer neuen Ära, in der ihre ethisch vielfach entkernte Partei und die Politik nach neuen Werten, Orientierung und Glaubwürdigkeit suchen müssen. Aber noch sind Nachrufe verfrüht: Vor Martha Stocker und dem Landtag liegen noch sechs intensive Arbeitsmonate.”