Politik | Landtag

Gewählt, um zurückzutreten

Die erste Sitzung des neuen Landtags ist Geschichte, das provisorische Präsidium steht: Vier der sechs Posten übernimmt die SVP, einen die Lega, einen Team Köllensperger.
Landtagspräsidium I
Foto: Landtag/Werth

Um 11.30 Uhr schlägt die Stunde von Thomas Widmann. Er ist zum Präsidenten des neuen Südtiroler Landtages gewählt worden. 23 Stimmen hat er erhalten. 12 der 35 Landtagsabgeordneten haben einen leeren Stimmzettel abgegeben.
Eine Stunde später steht fest: Massimo Bessone und Daniel Alfreider werden Widmann als Vizepräsidenten flankieren. Vorübergehend. Denn das gesamte Präsidium ist nur ein provisorisches. Sobald die neue Landesregierung steht, werden sie alle zurücktreten. Auch die drei Präsidialsekretäre, Maria Hochgruber Kuenzer, Helmuth Renzler und Maria Elisabeth Rieder haben dem Gentleman’s – und Ladies’ Agreement zugestimmt.

 

Szenen, die der Landtag kennt

Um kurz vor 10 Uhr werden die Türen geöffnet. Dass die neuen Landtagsabgeordneten nicht früher in den Sitzungssaal dürfen, hat einen Grund. In der Vergangenheit gab es einige Mandatare, die bereits um 7 Uhr früh ihre Sitzplätze besetzten. Denn anders als etwa im Deutschen Bundestag, wo den Parteien gemäß ihrer ideologischen Ausrichtung die Plätze zugewiesen werden – die AfD sitzt von der Regierungsbank aus gesehen ganz rechts, ganz links die Linke –, steht es den Abgeordneten im Südtiroler Landtag frei, sich ihren Sitzplatz auszusuchen.

Als erster stürmt Alessandro Urzì in den Saal, dicht gefolgt von Sven Knoll. Gemeinsam mit seiner Parteikollegin Myriam Atz Tammerle ist Knoll in Tracht erschienen. Die beiden machen nicht nur durch ihr Outfit auf sich aufmerksam. Als sie wie alle 35 Abgeordneten den Eid auf die Verfassung ablegen, fügen Knoll und Atz Tammerle ihrem “Ich schwöre” – “Io giuro” auf italienisch – ein “und werde mich im Sinne der Verfassung für die Selbstbestimmung einsetzen” hinzu. Was Alessandro Urzì die Gelegenheit gibt, seine erste Duftmarke zu setzen. “Das ist eine Provokation des Landtages!”

Es ist das übliche Spiel am Beginn jeder neuen Legislaturperiode.
Neu ist heuer, dass – offiziell – noch keine Mehrheit in Aussicht ist. Die Gespräche der SVP mit Lega, Grünen und PD gehen erst ab Donnerstag in die heiße Phase.

 

Start mit Bauchschmerzen

Um die Arbeiten inzwischen aufzunehmen, braucht der Landtag aber ein Präsidium. Deshalb ziehen sich Vertreter aller neun Parteien und Gruppierungen um 10.30 Uhr zu einer 15-minütigen Besprechung zurück. Es ist Arno Kompatscher, der anschließend dem Plenum von dem Ergebnis berichtet. Man habe sich mehrheitlich geeinigt, das provisorische Präsidium wie folgt zu besetzen:
Die SVP soll als stimmenstärkste Partei den Präsidenten sowie zwei Präsidialsekretäre stellen. Der Vizepräsident soll von der Lega als stimmenstärkste italienische Partei übernommen werden, ein weiterer Vizepräsident soll den Ladinern zufallen. Der dritte Präsidialsekretär soll aus dem Team Köllensperger als zweitstärkster Fraktion kommen.

Wirklich zufrieden ist niemand mit diesem Vorgehen. Unisono wird betonet, dass die Geschäftsordnung des Landtages abgeändert gehöre und ein Präsidium erst nach der Regierungsbildung gewählt – dann aber in seiner definitiven Zusammensetzung. Nicht zuletzt, weil durch die provisorische Besetzung Spekulationen über die künftige Koalition und Postenschachern Tür und Tor geöffnet werden. Der höchsten demokratischen Institution des Landes, die der Landtag darstellt, eigentlich unwürdig.

Aus diesem Grund erheben die Grünen ihre Stimme – und bringen eine Alternative auf den Tisch. “Damit die Koalitionsgespräche unbelastet vonstatten gehen können, schlagen wir vor, das provisorische Präsidium repräsentativ zu besetzen”, wirft Brigitte Foppa ein. Sprich, die meist gewählten Parteien sollen je einen Vertreter in das Präsidium entsenden. Ein wenig Kalkül schwingt in dem Grünen Vorschlag mit, der am Ende erwartungsgemäß keine Zustimmung findet: Durch ihren Vorschlag würden auch die Grünen einen Platz im Präsidium erhalten. So aber bleiben sie außen vor.

 

Gewählt, um zurückzutreten

Namentlich ruft Jasmin Ladurner (SVP), die mit Carlo Vettori (Lega) als jüngste Landtagsabgeordnete zu Beginn der Sitzung mit Helmuth Renzler als ältestem den Vorsitz übernommen hat, die Landtagsabgeordneten zur geheimen Abstimmung über das provisorische Präsidium auf. Die SVP hat Thomas Widmann für den Posten des Präsidenten, Daniel Alfreider für jenen des ladinischen Vize sowie Maria Hochgruber Kuenzer und Helmuth Renzler für die beiden Präsidialsekretäre vorgeschlagen.
Die Lega nominiert Massimo Bessone, Team Köllensperger Maria Elisabeth Rieder. Gegenvorschläge gibt es keine. Dennoch stehen am Ende auch andere Namen auf den Stimmzetteln, die in geheimer Abstimmung in den Urnen landen.

23 Stimmen bekommt Thomas Widmann, der Renzler sogleich als Vorsitzenden ablöst. Bessone und Alfreider werden mit 20 bzw. 21 Stimmen als Vizepräsidenten gewählt. Allerdings entfallen auch vier Stimmen auf Manfred Vallazza, den zweiten Ladiner-Vertreter der SVP im Landtag. “Das sind Stimmen gegen Arno Kompatscher”, meint ein bewanderter politischer Beobachter, der dem Geschehen beiwohnt.

Auf Maria Hochgruber Kuenzer entfallen ebenfalls 21 Stimmen, 19 kriegt Helmuth Renzler. Aber auch die Vize des SVP-Arbeitnehmerchefs Magdalena Amhof erhält eine Stimme. Den größten Zuspruch erhält Maria Elisabeth Rieder: 31 Stimmen.
Zu verdanken hat sie das ihrem Team Köllensperger. Dessen sechs Abgeordnete haben bei den restlichen Präsidiumskandidaten weiß abgegeben, bei Rieder aber mitgestimmt.

Um kurz nach 12.30 Uhr ist die konstituierende Sitzung des neuen Landtages Geschichte. Nun geht es daran, die Landtagsfraktionen zu bilden. Innerhalb 26. November müssen die Fraktionssprecher bekannt gegeben werden. Arno Kompatscher und seine SVP haben ab dem heutigen Tag 90 Tage Zeit, eine Regierungsmehrheit zu finden und ein Kabinett für die nächsten fünf Jahre auf die Beine zu stellen. Um die Weihnachtszeit soll es so weit sein.

À propos Bescherung: Auf den Gängen und vor dem Landtagsgebäude haben die Initiatoren der Petition “gegen eine Regierungsbeteiligung der Lega” den 15-SVP-Landtagsabgeordneten die über 5.000 Unterschriften übergeben, die in weniger als zwei Wochen zusammen gekommen sind.