Politics | Gastkommentar

Bleiben Sie zuhause!?

Zum Umgang der Mächtigen mit ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern.
Quarantäne
Foto: Pixabay

Wenn doch nur alle zuhause blieben! Dann wäre Covid-19 schon längst besiegt. Aber es gibt die Unbelehrbaren, die das verhindern. So wollen uns die Regierenden aller Ebenen, die Experten (und einige wenige Expertinnen), der Zivilschutz und eine Vielzahl von Moralaposteln glauben machen. #Iorestoacasa #Ichbleibezuhause ist zur Kurzformel geworden, der alles untergeordnet werden soll.

Doch wenn tatsächlich alle zuhause blieben, dann hätten wir bald keinen Strom mehr, die Mobiltelefone und Internetlinien würden nicht mehr funktionieren, wir könnten uns nicht mehr mit Nahrungsmitteln und Medikamenten versorgen und auch nicht mehr zum Arzt oder ins Krankenhaus bringen lassen, falls das nötig wäre. Dann würde aus dem Lock-down ein Break-down, ein vollständiger Zusammenbruch der Gesellschaft.

Die Kriegsrhetorik, die in Bezug auf das Virus Konjunktur hat, scheint auf die Disziplinierung der Bürgerinnen und Bürger übergesprungen zu sein

Somit müssen wir einen vernünftigen Mittelweg suchen zwischen der totalen Selbstisolation einerseits, die sich Virologen und Epidemiologinnen wünschen, und einem Mindestmaß an Tätigkeiten und damit verbundenen Begegnungsmöglichkeiten andererseits, die für die Grundversorgung der Menschen unverzichtbar sind – und die uns einen wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufschwung erleichtern, wenn das Schlimmste einmal vorbei ist. Und wir brauchen die Menschen dringend, die aus dem Haus gehen, sei es um „essentielle“ Arbeiten zu verrichten, sei es um andere Menschen zu unterstützen, die Betreuung medizinischer, pflegerischer oder sonstiger Art benötigen. Solche Menschen wird es auf längere Sicht jedoch nur geben, wenn wir auf ihr Verantwortungsbewusstsein, auf ihre freie Entscheidung setzen, nicht auf irgendeine Art von Zwang.

Polizeistaat-Methoden und Selbstverantwortung sind kaum vereinbare Gegensätze

Wie passt es da zusammen, wenn nicht nur wichtige und im Grunde richtige Regelungen erlassen werden, sondern deren Einhaltung mit den Methoden eines Polizeistaates durchgedrückt wird? Auf den Straßen fahren Polizeiautos, in den Städten und Dörfern patrouillieren kommunale Ordnungshüter und Militärstreifen, über unseren Köpfen kreisen Helikopter, Megafone des Zivilschutzes plärren die bekannten Verhaltensregeln bis zum Überdruss in die leeren Straßen, unsere Bewegungen werden mittels Big Data überwacht, demnächst sollen Drohnen unzugängliche Verstecke ausspionieren. Und damit ja niemand dem Auge des Gesetzes entschlüpft, lauern auf den Wanderwegen die Mitglieder der Forstwache. Die Kriegsrhetorik, die in Bezug auf das Virus Konjunktur hat (Ärztinnen und Pfleger im Schützengraben, Supermarkt-Kassierinnen an der Front, alle im Krieg gegen den unsichtbaren Feind), scheint somit auf die Disziplinierung der Bürgerinnen und Bürger übergesprungen zu sein. Wie das langsame Sieden von Fröschen (Nicola Canestrini), werden so Schritt für Schritt die bürgerlichen Freiheiten abgeschafft, ohne dass die Menschen es merken sollen, alles im Dienste des großen Kampfs, der entscheidenden Schlacht.

#Iorestoacasa #Ichbleibezuhause ist zur Kurzformel geworden, der alles untergeordnet werden soll

Natürlich braucht es neben Überzeugungsarbeit auch ein gewisses Maß an Kontrolle und die Möglichkeit, die Missachtung der Regeln zu sanktionieren. Aber Polizeistaat-Methoden und Selbstverantwortung sind kaum vereinbare Gegensätze. Glaubt man wirklich, dass ein paar einsame Spaziergänger oder Joggerinnen im Wald entscheidend zur Verbreitung des Corona-Virus beitragen? Ist es wirklich ein Problem, wenn jemand allein im Auto in den Nachbarort zum Einkaufen fährt? Oder geht es hier ums Prinzip? Darum, dass der Buchstabe des Gesetzes für alle gelten muss, und dies mit italienischer Maßlosigkeit und deutscher Gründlichkeit umgesetzt wird.

Oder ist es am Ende nur ein Zeichen der Hilflosigkeit der Krisenmanager? Weil sich die Seuche immer weiter ausbreitet, weil all die drastischen Maßnahmen nur zögerlich greifen, weil es am Ende nicht einmal gelungen ist, die am stärksten Gefährdeten in den Seniorenheimen und Pflegeeinrichtungen zu schützen, müssen wenigstens in Sachen sozialer Kontrolle Erfolge her. Und seien sie noch so fragwürdig. Denn in Wirklichkeit geht es ja gar nicht ums Zuhause-Bleiben, sondern um hygienisches Verhalten, um die Minimierung der sozialen Kontakte und ums Abstand-Halten. Aber das selbst einzusehen und einzuhalten, wollen unsere Entscheidungsträger ihren Mitbürgern offenbar nicht zutrauen.
Demokratie ade!