Nachhaltigkeit: wohlfeiler Gummibegriff?
Die Maxime wurde auf alle Lebensgrundlagen ausgeweitet: nutze nur so viel an Ressourcen, wie die beteiligten Systeme dauerhaft aushalten können ohne Schaden zu nehmen und produziere nur so viel Schadstoffe und Abfall, wie die Umwelt und Atmosphäre absorbieren können. Dann kam der dreidimensionale Nachhaltigkeitsbegriff ins Spiel, der ökologische, soziale und ökonomischen Ziele bündelt. Auch die 17 SDG der UN bauen auf diesem Konzept auf. Im Kern bleibt die Idee immer dieselbe: Ressourcen dürfen bei Nachhaltigkeit nur in dem Maß verbraucht werden, dass weder Mensch noch Natur auf Dauer Schaden erleiden. Wo ist das im Tourismus so?
„Nachhaltigkeit“ zirkuliert in der Produkt-, Tourismus- und Standortbewerbung inflationär, auch in Südtirol. Der Begriff ist inzwischen so verbreitet wie inhaltsleer. In allen denkbaren Facetten werden ganz traditionelle Produkte und Destinationen als nachhaltig angepriesen, die nichts mit dem Kerngedanken zu tun haben. Es gibt inzwischen mehr als 200 Nachhaltigkeitssiegel. Zwischen Greenwashing und seriösen Zertifizierungen ist da schwierig zu unterscheiden. Wenn zum Beispiel Airlines und Reiseveranstalter Klimaneutralitätszertifikate ohne den Nachweis einer echten Treibhausgasbilanz bringen, wenn Hotels einige Dienstleistungen grün einfärben, wenn Unterkünfte schon beim Verzicht auf Plastikstrohhalme und Handtuchwechsel als 'Nachhaltigere Unterkunft' ausgewiesen werden, ist Skepsis angesagt. TourismWatch hat zu diesem Zweck einen eigenen „Wegweiser durch den Labeldschungel“ herausgebracht.
Greenwashing kreist meistens um den Kernslogan „Nachhaltigkeit“, was zahlreiche Studien bestätigen. 2022 hat die EU-Kommission in einer Studie geprüft, ob Unternehmen, die sich als „nachhaltig“ präsentieren, tatsächlich umwelt- und klimaschonend produzieren. In 42% der Fälle waren die Behauptungen zur Nachhaltigkeit „übertrieben, falsch oder irreführend“. Die Studie hat auch zahlreiche Betriebe aus der Tourismusbranche unter die Lupe genommen.
Warum hat das Greenwashing keine Folgen, aber auf dem Markt Erfolg? Vor allem, weil „Nachhaltigkeit“ in der Werbe- und Kommunikationspraxis zu einem fast unendlich dehnbaren Begriff geworden ist. Weil eine allgemeine Definition oder ein rechtlich verbindlicher Kriterienkatalog fehlt, kann praktisch alles als nachhaltig oder auch nicht bezeichnet werden. Oft werden schon „Bestrebungen in Richtung Nachhaltigkeit“ anerkannt, ohne zu wissen, wohin sie denn geführt haben. So verkommt Nachhaltigkeit immer mehr zu einer Floskel in einer PR-Strategie. Es gibt die Zertifizierungen, doch wer vergibt sie? Wer kontrolliert die Zertifikate? Warum werden die Zertifizierungskriterien von IDM und HGV, also von den direkt Interessierten, ausgearbeitet? Geht es am Ende doch wieder nur, um die „Nachhaltigkeitskommunikation“ (IDM), die einen klaren Wettbewerbsvorteil verschaffen und einen höheren Preis rechtfertigen soll?
Die IDM hat ausgehend von den Kriterien des Global Sustainable Tourism Council (GSTC) ein eigenes „Nachhaltigkeitslabel Südtirol“ kreiert, um besonders nachhaltige Destinationen (Betriebe) zu zertifizieren. Der Anspruch wird klar benannt: die nachhaltige Entwicklung des Tourismus soll nicht nur spürbar, sondern auch messbar werden. Die Bewertung anhand von 30 Kriterien mit 80 Einzelindikatoren soll soziale, ökologische und wirtschaftliche Nachhaltigkeit nachweisen. Mehr Resilienz, mehr Lebensqualität, weniger CO2, verspricht die IDM. Es wirkt seriös und fundiert, doch verleiht die IDM selbst dieses international anerkannte Label, keine Landesumweltagentur oder unabhängige Umweltschutzorganisation. Wird diese Label-Vergabe auch von unabhängiger Seite auditiert?
Sinnvoller wäre eine umfassende und transparente Ökobilanz eines Tourismusbetriebs, zertifiziert durch öffentliche oder unabhängige Umweltinstitute. Als Bewohner einer von Übertourismus geplagten „Tourismusdestination“ und auch als Gast wird man weiterhin genau hinzuschauen haben, ob wirklich die Kriterien des „Global Sustainable Tourism Council“ im Zentrum stehen, oder doch nur das nachhaltige Wachstum der Nächtigungszahlen und Umsätze.
Wenn der Nachhaltigkeitsbegriff so inflationär wie heute verwendet wird, entsteht zudem der Eindruck, dass ein Leben in Einklang mit den natürlichen Lebensgrundlagen und dem Klimaschutz leicht zu haben ist. Dass man an alle Orte der Welt reisen kann und sich doch „nachhaltig“ fühlen kann, wenn nur das Label des Hotels das verspricht. Zwar ist der Gast zufrieden, aber umfassende Lösungen für den Tourismus in einem ganzen Gebiet sind damit noch lange nicht geschaffen. Wenn ganze Tourismusgebiete wie Enneberg und Hochabtei als „nachhaltig“ zertifiziert werden, stellt sich die Frage, wie der Energieverbrauch, Stoffdurchsatz und Emissionen des Tourismus überhaupt erfasst werden. Auch die Unmenge an grauer Energie, die z.B. in der Bautätigkeit steckt? Die Emissionen der Wellnessanlagen oder die CO2-Emissionen des überbordenden Verkehrs zur Hochsaison?
Wenn es um Klimaschutz und Treibhausgasreduzierung geht, um die Einhaltung von Arbeitnehmer- und Menschenrechten, um die Bekämpfung von Armut und den Erhalt der Artenvielfalt, sind messbare Kriterien und wissenschaftlich fundierte Erhebungen unverzichtbar. Für ein Tourismusland wie Südtirol sind mehr umfassende und objektive Nachhaltigkeitsprüfungen geboten, neben der Zertifizierung der Einzelbetriebe auch eine echte Klimabilanz der gesamten Tourismusbranche. Die Kombination von Zertifizierung und werbewirksamer Nachhaltigkeitsrhetorik wird nicht überzeugen. Was bringt es schließlich, wenn die IDM einerseits Nachhaltigkeitszertifikate verleiht, andererseits mit ihrem Millionenwerbebudget das stetige Wachstum der Branche und die von ihr verursachten Gesamtemissionen befeuert?
Werter Herr Benedikter,
Werter Herr Benedikter,
die Destinationen werden von unabhängigen Unternehmen auditiert. Aktuell sind die von GSTC akkreditierten und in Südtirol tätigen Green Destinations und Vireo.
Freundliche Grüße
In reply to Werter Herr Benedikter, by Hannes von chAos
"werden von unabhängigen
"werden von unabhängigen Unternehmen auditiert"
Mit der Unabhängigkeit verhält es sich meist ähnlich wie mit der Nachhaltigkeit, diese ist oftmals nachweislich nicht gegeben.
Bsp dazu (Bezahlschranke)
In reply to "werden von unabhängigen by Stefan S
https://www.zeit.de/2023/04
https://www.zeit.de/2023/04/co2-zertifikate-betrug-emissionshandel-klim…
Danke für den Hinweis, werter
Danke für den Hinweis, werter Hannes v.C., wäre interessiert zu wissen, wie dieses Auditing erfolgt. Noch wichtiger wären freilich die Klimazertifizierungen der Hotels, die derzeit die Klimahausagentur durchführt. Allerdings sind (Stand 2022) erst an die 15 Hotels zertifiziert worden, weitere befinden sich i der Phase der Bewertung und Prüfung. Im Unterschied zu vielen "soften" oder sehr soften" Kriterien des GSTC wäre der CO2-Ausstoß pro Übernachtung präzis zu erfassen und dann pro Gast, pro Hotel und pro Destination anzugeben, um ein Bild der Klimabelastung zu erhalten. Ein konventionelles Hotel emittiert 30-40 kg CO2 pro Übernachtung, und ein "nachhaltiges"? Die CO2-Emissionserfassung gehört zur Pflicht für jeden Tourismusbetrieb und sollte die Voraussetzung für die Förderung mit öff. Mitteln werden.
Interessanter Beitrag!
Interessanter Beitrag! Interessante Ausführungen.
Was sagen Sie, Herr Benedikter, zur Meldung, die ich kürzlich im Radio vernahm, Italien benötige xxxxxxx auszubildende "Nachhaltigkeitsexpert[Inn]en"?
Wobei: Gibt es da nicht den entscheidenen Unterschied zwischen wahren Experten [jene, die "aus Erfahrung" sprechen und handeln] und den eigentlichen Spezialisten [jene, die mit einer spezifischen Ausbildung als Background zu spezifischen Management Aufgaben berufen werden sollen] ?
Außerdem ist "Nachhaltigkeit" für mich nicht a priori rein positiv:
Wenn ein Gewässer verschmutzt oder meinetwegen "gekippt" ist, dann ist das auch "nachhaltig", da lange nachhaltend.
Wenn der Motor einen Kolbenfresser hat, dann ist das auch "nachhaltig"....
Fazit: Für mich ist "Nachhaltigkeit" nicht erst " zu einem fast unendlich dehnbaren Begriff geworden". Das war er aus meiner Sicht schon immer. Nur wird die deutsche Sprache "nachhaltig" mißbräuchlich und einseitig assoziiert bzw. dissoziiert.