Arts | Tiere

Der Wolf im Filzpelz

Am 6. Dezember vor 50 Jahren kam es in Trient zu einer Begegnung zwischen dem Künstler Joseph Beuys und einem Wolf. Die Geschichte über eine Legende. Und viele weitere.
Francesco Fossati, FalseFriend [Joseph]
Foto: MUSE trento, Mart Rovereto and Palazzo Strozzi Florence
  • Die Gedenktafel an einer Zugunterführung - sie führt vom Muse (Museo delle Scienze) zum Bahnhof und ins Zentrum der Stadt Trient - offenbart in gut lesbaren Lettern eine Inschrift, die unmissverständlich in die legendenhafte Kunstwelt von Künstler, Weltverbesserer und Scharlatan Joseph Beuys (so wird der Künstler in einer jüngeren Biografie beschrieben) führt. In Begleitung eines Wolfes. 
    Die Tafel wurde im Jahr 2017 von Francesco Fossati im Rahmen einer Kunstaktion des Muse angefertigt. „Das war im Rahmen des Ausstellungsprojektes Lupi in città des Muse, an welchem mehrere Künstlerinnen und Künstler eingeladen worden waren, das Thema Wolf künstlerisch zu bespielen“, erinnert Fossati, der bereits vorher Tafeln zu bekannten Persönlichkeiten an anderen Stätten erstellt hatte. Für Trient kreierte er eine Tafel zu einer tierischen Begebenheit des berühmten Künstlers, die zwar nachweislich nicht stattgefunden hat, aber die es durchaus gegeben haben könnte. Die "erfundene" Legende um Beuys samt Wolf in Trient jährt sich – laut Tafel – heute zum 50. Mal. Sie ist eingebettet in zahlreiche wahre Begebenheiten rund um Beuys und die Jahre 1973 und 1974. 

  • Warum Beuys in Trient?: "Beuys beschäftigte sich sehr mit Themen, die mit Natur zu tun haben" so Fossati, der in seinen Arbeiten auch immer Materialien verwendet, die vor Ort vorkommen. Foto: SALTO

    Auch wenn die Begebenheit von Fossati „erdacht“ wurde, ist die wölfische Geschichte nicht ganz aus der Luft gegriffen. Zum einen hatte Beuys immer (wieder) einen sehr starken Bezug zu Italien, zum anderen hat er im Mai 1974 in New York für eine aufsehenerregende (auch wenn für die Öffentlichkeit wenig sichtbare) Performance gesorgt, in welcher er als "Hirte" mit Filzmantel dem Koyote Little John gegenüberstand und ihm immer näher kam. „Der nordamerikanische Kojote ist ein entfernter Verwandter unserer Wölfe in Europa“ unterstreicht Fossati seine Herleitung für die Aktion in Trient. In der Tat sind die Gattungen nicht nur verwandt, sondern Präriewölfe oder Steppenwölfe sehen kleinen Wölfen – wie wir sie hier in Europa kennen – sehr ähnlich. 

  • Coyote, I like America and America likes me hatte Beuys seine Aktion genannt, für welche er Mitte der 1970er in die USA gereist war, sich bereits in Filz einwickeln ließ und nichts von der Umgebung sehen wollte. Ein Krankenwagen brachte Beuys zur Galerie seines Bekannten René Block, wo dann die eigentliche Aktion stattfand und wo Beuys für die Dauer von drei Tagen und drei Nächten mit dem Tier eingeschlossen war. Überliefert ist, dass der Kojote zu Beginn der Aktion aggressiv und verunsichert gewesen war. Im Lauf der Zeit entstand ein immer größeres Vertrauen zu dem in Filz gehüllten Hirtenmenschen und Künstler, eine beinahe innige Beziehung. Am Ende der Aktion ließ sich Beuys wieder in Filz einwickeln und zum Flughafen bringen. So hatte er von Amerika gar nichts gesehen. Nur Little John. 
     

    Die Beschreibung von etwas, das nie geschehen ist, wird so zu einer Methode der Analyse der Realität.

  • Erinnerungstafeln: Fossatis Projekt umfasst permanente und temporäre Installationen in Mailand, München, Trient, Carrara oder Edolo. Foto: Francesco Fossati

    "Fake History" und "False Friend" nennen sich die zwei Werkserien des Künstlers Fossati. Es geht darum, „erfundene – aber plausible – Geschichten zu einer Künstlerfigur zu erzählen, die sich nicht über ihre Arbeiten präsentieren, sondern über die Gedenktafel. Die dazu aufrufen neue Geschichten in Bewegung zu setzen, um sich ein eigenes Bild von den erzählten Ereignissen zu machen“, erzählt er. Der manchmal ironische Ton der in Marmor eingravierten Texte ist Hinweis genug auf den zweideutigen Charakter seiner Werke. Fossati bleibt im Hintergrund. Angesprochen auf die Tatsache, dass er das Datum für die Zusammenkunft Wolf/Beuys auf den 6. Dezember 1973 legte, dem Tag des Heiligen Nikolaus; da kommen bei ihm Erinnerungslücken auf. „Ich weiß nicht mehr genau, weshalb ich dieses Datum gewählt habe. Aber es ist auch insofern interessant, da mein Sohn den Namen Nicoló trägt, auch wenn das im Zusammenhang mit der Arbeit keine Rolle spielte.“ Eine Legende? Oder die Wahrheit?

  • Und was machte Beuys am 6.12.1973 tatsächlich? Genaueres dazu weiß man nicht. Belegt (neben zahlreichen Aufenthalten in Bolognano bei Freunden) ist ein Besuch wenige Wochen vorher in der Nähe der Stadt Foggia, eine Gegend die Beuys aus Kriegstagen bestens kannte und dort fasziniert war, von einer Grottenkirche an der südlichen Erhebung des Gargano-Gebirges, im Dorf Monte Sant Angelo. Dort soll laut Beuys und anderen Überlieferungen am 8. Mai 492 der Erzengel Michael einigen Hirten erschienen sein. Während seines kriegsbedingten Aufenthalts soll dieser Ort für Beuys (nach eigenen Angaben) eine wichtige Rolle in Form einer „sehr intensiven Meditationsperiode“ gespielt haben. So eine weitere Legende.