Culture | Zeitgenössisches

Die Sprache des Körperlichen

Die erste Ausgabe der neu gegründeten "Fort Biennale" ist seit wenigen Tagen in der Festung Franzensfeste zu sehen. Ein erster kleiner Eindruck, inkl. Bildergalerie.
Foto
Foto: SALTO
  • „In the Body of Language - Im Körper der Sprache - Nel corpo del linguaggio” sind die in mehrsprachiger Reihenfolge lancierten Leitsätze der ersten Biennale in der Festung Franzensfeste, bzw. der ersten neuen Biennale. Mit 50x50x50 hatte es in Festung nämlich schon einmal eine Kunstbiennale mit zeitgenössischen Arbeiten gegeben, ins Leben gerufen vom Künstler Hartwig Thaler und dem Verein Oppidum aus Franzensfeste. 
    Nun aber alles neu! Über viele Monate haben die Kuratorinnen Margareth Kaserer und Ulrike Buck für das riesige Fort Ideen gesammelt und Kunst aus allen Himmelsrichtungen zusammengetragen. Am Freitag wurde die große Ausstellung mit vielen Namen und Arbeiten eröffnet, mit Reden und Musik von der Truppe Scamige Buben, sowie einer Sound-Performance von Hannes Hoelzl auf der mittleren Ebene der Festung, auf der er auch mit einer Installation im Außenbereich vertreten ist. Eine Ebene tiefer beginnt der von den Kuratorinnen erdachte und von der Festungsarchitektur vorgegebene „Lauf der Dinge“. 

  • Foto: SALTO

    In einem kleinen Video am Anfang, das die Kuratorinnen bei ihrer Online-Recherche gefunden haben „spuckt eine Frau wie auf Knopfdruck“ Tiergeräusche täuschend echt und im Tourette-Staccato in den Raum und ins Gesicht der Betrachter*innen. Zwei weitere Arbeiten der Paul-Flora-Preisträgerin Sophia Mairer eröffnen ebenfalls den Parcours. Auf Mairer und die verspielten Tierlaute von Mel Torres folgt eine in ein Haremszelt gehüllte Videoinstallation, sowie Wasserfälle von Egon Rusina in seiner Arbeit Pisciadoi. Der Künstler lässt sich allerdings von der Wortwörtlichkeit des Wortes Pisciadoi (Pinkeln zu zweit) leiten und lässt es spritzen und sprudeln. Ausführlich nimmt er neben seinen "Wasserfällen" Stellung und untermauert seine feuchtfröhlichen Landschaften. 

  • Foto: SALTO
  • Im weiteren Verlauf beschreibt die Ausstellung immer wieder „die Unmöglichkeit, das Geistige vom Körperlichen zu trennen“, und präsentiert „Sprache als Mittel der Teilhabe“, der „revolutionäres Potential“ innewohnt. Die Kuratorinnen bauen verschiedenste Welten in die sich wiederholenden Verteidigungsräume, schaffen Verbindungen und Abgrenzungen. 

  • Foto: SALTO

    Zu sehen auch die Weltkugel Eureka des Künstlers Masatoshi Noguchi. Sie wird von einer Kehrschaufel getragen und huldigt den Arbeiter*innen, die die Welt als Last – ähnlich der griechischen Sagenfigur Atlas – metaphorisch auf den Schultern tragen. Auf dem staubigen Sandboden des Festungsbodens ein echter Hingucker. Nicht nur für Menschen mit notorischem Putzfimmel.
    „Ein menschlicher Körper, dessen Geschlecht sich einer eindeutigen Lesbarkeit verweigert“ boxt sich hingegen verausgabend und in Brecht`scher Sankt Nimmerlein-Manier kraftvoll in einen der darauffolgenden Räume, sowie in die Augen der Betrachter*innen. Die Videoarbeit von Toni Schmale fokussiert den Fetisch einer Gesellschaft, die Körper kontrollieren und normieren will. 
    In einem kleinen Zwischenraum an einem Treppenaufgang ist in einer Nische die kluge Videoarbeit Shut Up, Actually Talk der vor wenigen Jahren verstorbenen Künstlerin Chiara Fumai (1978-2017) zu sehen. Es ist die anarchafeministische Antwort auf das Hexenhaus von Hänsel und Gretel der Gebrüder Grimm. Fumai machte (unter anderem) mit dieser Arbeit bereits auf der dOCUMENTA (13), 2012 in Kassel, von sich reden. Das Video zeigt die Jahrmarktperformerin Zalumma Agra im Kuriositätentheater-Style, die als Sklavin aus Kaukasien in der vorvorgehenden Jahrhundertwende aus dem feministischen Manifest Io dico io. Secondo Manifesto di Rivolta Femminile aus dem Jahr 1977 vorträgt. 

  • Foto: SALTO

    Verspielte Playmobil-Türme hat Siggi Hofer als mobile Burgen in die weniger mobile Festung gestellt. Seine Wolkenkratzer verweisen mitunter auf die Verdichtung großer Städte, sowie auf die Legende des babylonischen Turmes. Hofers Hochhäuser passen formal einwandfrei zur labyrinthischen Architektur der Festung. 
    Gezeigt werden auch Filme. Beispielsweise Days von Ellinor Auroea Aasgaard & Zayne Armstrong. Die abendfüllende Seifenoper thematisiert den Lifestyle sogenannter Wahlfamilien in marginalisierten queeren Communities von Großstädten. Unterschiedliche Sprachniveaus und typische Themen zeichnen ein zeitgenössisches Porträt linguistischer Verkörperung. Im Raum daneben eine weitere Installation der Künstlerin, wo sich Körper luftig austoben.

  • Foto: SALTO
  • So geht es von Raum zu Raum, hin zu den Arbeiten aus der Museion-Sammlung, die ebenfalls Teil der "neuen" Biennale sind. Auch Lyrisches gibt es: etwa von Jörg Zemmler (Berge sind keine Leistung) oder von Roberta Dapunt. Am Schluss der vorgezeichneten Route zeigt eine Video-Installation mit Mini-Bibliothek die Sichtweise auf Körper und Sprache vor 100 Jahren, als die Bilder richtig laufen lernten und Menschenmassen sich ins Kino aufmachten. 
    Die Ausstellung erforscht in umfassender Art und Weise „die vielfältigen Dimensionen von Sprache in Identitäts- und Körperpolitiken, digitaler, menschlicher, inter- und nicht-sprachlicher Kommunikation“.  Die fantastischen Landschafts- und Körperreisen der eigens produzierten oder ausgewählten zeitgenössischen Arbeiten, werden von einem reichhaltigen Programm (Musik, Performances, Workshops und Lesungen) begleitet. Außerdem ist ein Biennale-Buch des venezianischen Kunstbuchverlags bruno im Entstehen. In der nachfolgenden Fotogalerie geht es in weitere Räume, bzw. zu Arbeiten die im Außenbereich der Festung angebracht wurden.

  • Teilnehmende Künstler*innen

    Altınstark (Esra Altın 1987 & Marielena Stark 1986, Deutschland), Özlem Altın (1977, Deutschland), Ellinor Aurora Aasgard & Zayne Armstrong (1991, Norwegen & 1986, USA), Gianfranco Baruchello (1924-2023, Italien), Alighiero Boetti (1940, Italien), melanie bonajo (1978, Niederlande), bruno books Venezia (Andrea Codolo und Giacomo Covacich), Alexandra Cardenas (1976, Kolumbien), Max Castlunger (1978, Italien), Carlfriedrich Claus (1930-1998, Deutschland), Roberta Dapunt (1970, Italien), Tracey Emin (1963, Großbritannien), Ian Hamilton Finlay (1925 - 2006, Bahamas, Schottland), Sylvie Fleury (1961, Schweiz), Julia Frank (1987, Italien), Chiara Fumai (1978-2017, Italien), Siggi Hofer (1970, Italien), Hannes Hoelzl (1974, Italien), Roni Horn (1955, USA), Brigitte Kowanz (1957-2022, Österreich), Sophia Mairer (1989, Österreich), Beatrice Marchi (1986, Italien), Nadja Verena Marcin (1982, Deutschland), Maurizio Nannucci (1939, Italien), Bruce Nauman (1941, USA), Masatoshi Noguchi (1988, Japan), Sunny Pfalzer (1991, Österreich), Caroline Profanter (1985, Italien), Egon Rusina (1949, Italien), Toni Schmale (1980, Deutschland), Berty Skuber (1941, Italien), Lawrence Weiner (1942 – 2021, USA), Karin Welponer (1941, Italien), Jörg Zemmler (1975, Italien).