Society | 60 Jahre Feuernacht
Die Rolle der Finanzwache
Foto: Landesgericht Bozen
Als Fausto Musto Ende November 2007 in Bozen stirbt, ist der Mann längst eine Legende. Der damals 97jährige General der Finanzwache kann auf mehr als nur ein bewegtes Leben zurückblicken.
1910 in Portecorvo zwischen Rom und Neapel geboren, entdeckt Fausto Musto schon in Jugendjahren die Lieben zu den Bergen. 1928 beginnt er in die Akademie der Finanzwache seine Ausbildung und kommt 1931 in Bruneck zu seinem ersten Einsatz. Zwei Jahre später übernimmt er als Leutnant einen Ausbildungslehrgang der Alpinschule in Predazzo. 1940 zum Hauptmann befördert, kommandiert er die Finanzwache von Sondrio und dann eine Spezialeinheit. Im Zweiten Weltkrieg ist er zuerst an der griechisch-albanischen Grenze im Einsatz und dann wird er als Kommandant er Bozner Finanzwache wieder nach Südtirol versetzt. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht im September 1943 wird Musto gefangen genommen und zwei Jahre lang in Deutschland interniert.
Nach dem Krieg kehrt Fausto Musto auf seinen Posten als Chef der Bozner Finanzwache zurück, leitet dann zwischen 1950 und 1957 die Alpinschule der Finanzer in Predazzo. Zum Oberstleutnant befördert wird er zum Kommandanten der Finanzwache in Bozen und 1960 dann ans Regionalkommando nach Trient versetzt. Weiter Stationen seiner Karriere sind Como, Florenz und Rom. Der studierte Jurist macht eine steile Karriere und ist von Dezember 1972 bis April 1974 stellvertretender Generalkommandant (Comandante in Seconda) der italienischen Finanzwache.
Musto erwirbt sich aber auch bleibende Verdienste in der Bergrettung. Er ist Südtirol weit bekannt und durchaus auch geschätzt. Selbst als Anfang der 1980er Jahre herauskommt, dass der „Generale di Corpo d’Armata della Guardia di Finanza“ Licio Gellis Geheimloge P2 (Mitgliedsnummer 457) angehört, nimmt kaum jemand davon Notiz.
An der Person Fausto Musto lässt sich aber auch ein Kapitel festmachen, das bis heute kaum aufgearbeitet worden ist. Die Rolle der Finanzwache in den sogenannten Südtiroler Bombenjahren.
Anhang von bisher nicht bekannten Dokumenten lässt sich nachzeichnen, dass die „Guardia di Finanza“ bereits vor der Feuernacht sich gegen die Attentäter rüstete, dass man Spitzel angeheuert hat und nach dem sogenannten Anschlag auf die Finanzerkaserne auf der Steinalm am Brenner im Herbst 1966 eine unfreiwillige Neuorientierung erfolgen musste.
Mustos Spezialbefehl
Von 1957 bis Ende 1959 kommandierte Fausto Musto die Finanzwache in Bozen. Anfang 1960 wurde er dann als Kommandant der 4. Legion der Finanzwache nach Trient versetzt. In dieser Funktion ist er auch für Südtirol zuständig.
Ende Jänner 1961 beginnt der „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) mit seinen Aktionen gegen die faschistischen Denkmäler. In der Nacht des 29. Jänner 1961 sprengen die Attentäter um Heinrich Klier und Kurt Welser das Reiterstandbild vor dem Montecatini-Werk in Waidbruck. Am 1. Februar 1961 verübt der Neumarkter BAS-Mann Josef Fontana einen Anschlag auf die damals unbewohnte Villa von Ettore Tolomei in Glen bei Montan.
Einige Tage später kommt es in Vintl zu einem versuchten Brandanschlag auf einen Jeep der Finanzwache, der verhindert werden kann.
Am 7. Februar 1961 erlässt Fausto Musto einen Spezialbefehl (Ordine del Giorno Speciale), der in Inhalt und Sprache Einiges über das damalige Klima in Südtirol aussagt.
In dem Tagesbefehl heißt es unter anderem:
„Ich wiederhole, dass es die nachdrückliche Absicht des schreibenden Kommandos ist, dass die Finanzer der 4. Legion, Schulter an Schulter mit den Soldaten der anderen Streitkräfte, immer im Rahmen der Legalität aber mit Disziplin, Standhaftigkeit und Mut zum Schutz der Gesetze des Staates, der Belange unseres Vaterlandes, der Ehre unserer Fahne und der Unversehrtheit der friedlichen, arbeitenden Bevölkerung beitragen“.
Fonte „Berta“
Auch die Finanzwache operiert im Südtirol der 1960er Jahre wie die Carabinieri, die Bozner Quästur und vor allem der damalige italienische Nachrichtendienst SIFAR im Kampf gegen den Befreiungsausschuss Südtirol (BAS) mit verdeckten Agenten und Spitzeln.
Einer dieser Zuträger der Finanzwache trägt den Decknamen „Berta“.
Berta liefert jahrelang gegen Bezahlung Informationen an die Finanzwache. Dabei geht um Waffen- und Sprengstoffschmuggel, geplante Attentate oder verdächtige Personen.
So etwa meldet der Informant vier Wochen nach der Feuernacht, dass seit November 1960 in einer Wohnung in der Meinhardstraße 47 in Meran nächtliche Treffen stattfinden, an denen mehrere in- und ausländische Personen teilnehmen. Ein solches Treffen habe es bis fünf Uhr in der Früh auch am Tag vor der Feuernacht gegeben. „Berta“ übermittelt die Kennzeichen der Autos. Darunter sind Autos aus Deutschland, Österreich und Italien. Die Finanzwache identifiziert den Besitzer eines der Autos später. Es ist ein Bauer aus Eppan.
Anfang 1962 berichtet „Berta“, dass sich der BAS nach der Verhaftungswelle vom Sommer 1961 in einer Reorganisationsphase befinde. Dazu will die Untergrundgruppe Waffen illegal nach Südtirol liefern. Es handle sich um Kriegswaffen aus Österreich, die in gutem Zustand sind und die von Unterstützern in Taufers im Münstertal über die grüne Grenze geschmuggelt werden sollen.
Informant „Berta“ schreibt in seinem Bericht:
„Man hat sich die italienisch-schweizerische Grenze bewusst ausgesucht, um die Verantwortung von Österreich abzulenken und um der immer intensiver durchgeführten Überwachung zu entkommen, die die Sicherheitskräfte an der italienisch-österreichischen Grenze durchführen.“
„Berta“ liefert Insiderinformationen an die Finanzer. So meldet der Spitzel oder die Agentin (dass es eine Frau ist, kann nicht ausgeschlossen werden) am 14. April 1962.
Diesmal aber war der Informant der Finanzwache etwas zu spät dran. Denn der BAS hat am Stilfserjoch wirklich einen Hochspannungsmast gesprengt. Aber bereits am 20. März 1962.
Wegen des Schnees wurde der Anschlag aber erst Wochen später als solcher wahrgenommen.
Die Folgen der Steinalm
Am 9. September 1966 wird die Kaserne der Finanzwache auf der Steinalm am Brenner durch eine Explosion fast völlig zerstört. Dabei sterben mit Franco Petrucci, Herbert Volgger und Martino Cossu drei Beamte der Finanzwache.
Für den Anschlag werden später Jorg Klotz, Alois Larch und andere verurteilt. Vieles spricht aber dafür, dass die Explosion auf der Steinalm kein Attentat, sondern ein Unfall war. Die gerichtliche Rekonstruktion, wie Klotz & Co angeblich an den Wachhunden und den Wachen vorbei die Sprengladung in die Kaserne geschmuggelt haben soll, ist so abenteuerlich, dass sie einem schlechten Fantasy-Roman entsprungen scheint.
Bei den Ermittlungen kommen Zustände und Verhaltensweisen der Finanzertruppe auf der Steinalm zu Tage, die eher an ein Ferienheim für Jugendliche erinnern, als an eine militärische Einrichtung zur Abwehr der Terrorgefahr. Aus Staatsräson werden diese Details aber bis heute zurückgehalten.
Das Attentat auf der Steinalm und die Ermordung der zwei Finanzer Salvatore Cabitta und Giuseppe D’Ignoti acht Wochen zuvor in Gsies führen im Herbst 1966 zu einem nachhaltigen Umbau der Strukturen der Finanzwache in Südtirol.
Fünf Tage nach der Explosion auf der Steinalm findet am 14. September 1966 am Sitz der IV. Armeekorps in Bozen ein streng geheimer Sicherheitsgipfel statt. Mit dabei Umberto Turrini, der Generalkommandant der Finanzwache und Carlo Ciglieri, Generalkommandant der Carabinieri.
Unter dem Betreff „Neuordnung der Überwachungstätigkeit entlang der Grenze zu Österreich“ kommt es zu einer Art Entmachtung der Finanzwache. Auf Weisung des damaligen Innenministers Paolo Emilio Taviani wird die gesamte Finanzwache in Südtirol dem Kommandanten des IV. Armeekorps Enzo Marchesi unterstellt. Zudem ordnet Innenminister Taviani an, dass die in Südtirol stationierten Beamten der Finanzwache, vor allem in der Grenzbewachung ausgetauscht werden.
Im Protokoll heißt es: „…sostituire tutto il personale attualmente in posto e ruotarlo, successivamente, con frequenza mensile.“
Die Aufgabe der Grenzbewachung am Reschen, am Timmelsjoch, in Winnebach und auf der Steinalm werden der Finanzwache aus der Hand genommen und den Carabinieri übergeben.
Das „Centro occulto“
Mit 1. Oktober 1966 wird auf Weisung des Generalkommandanten der Finanzwache in Bozen ein geheimes Nachrichtenbüro eingerichtet. Das „Centro occulto I“, (I steht dabei für Informazione) soll als Nachrichtendienst der Finanzwache funktionieren. Die Leitung des neuen Geheimdienstbüro der Finanzwache wird Hauptmann Lucio Siragusa und dem Brigadier Salvatore Saija übergeben. Beide werden wenige Jahre später schwerwiegender Straftaten und illegaler Machenschaften gegen die linke Studentenbewegung in Trient überführt und angeklagt.
Siragusa und Saija nehmen ab Herbst 1966 an den vom italienischen Nachrichtendienst SID organisierten wöchentlichen Sicherheitsgipfel teil, bei dem die verschiedenen Sicherheitskräfte ihre Informationen austauschen. Das Duo baut vor allem im Umfeld des damals florierenden Zigaretten-Schmuggels ein Spitzelnetz in Südtirol auf, das immer wieder auch wichtige Informationen zu den Attentaten und ihren Urhebern liefert.
Dem neuen „Centro I“ steht zur Bezahlung seiner Spitzel anfänglich 1 Million Lire zur Verfügung, wobei der Generalkommandant der Finanzwache die Weisung erteilt, dass die Gruppenkommandanten bis zu 50.000 Lire direkt und ohne Quittung für die Informationstätigkeit ausgeben können.
Im „Museo Storico della Guardia di Finanza“ in Rom liegt ein wunderschönes Beispiel für die Arbeit dieser Strukturen innerhalb der Finanzwache. Es handelt sich um ein großformatiges, hektographiertes und illustriertes Buch aus dem Jahr 1968. Auf 40 Seiten werden hier die Gemeinden und Dörfer des Taufer-, Ahrn-, Rain- und Mühlwaldertal im wahrsten Sinne des Wortes kartographiert. Dabei werden die politisch exponierten Personen genauso erfasst, wie die wichtigsten Unternehmer oder Bauern. In den als „Riservato“ klassifizierten Berichten werden die „sentimenti anti-italiani“ der Personen genauso hervorgehoben wie eine SS- oder SD-Vergangenheit. Aber auch die aktuelle politische Zugehörigkeit: …è iscritto al partito del SVP“.
Ähnliche Monographien wurden in diesem Jahren von der Finanzwache in Zusammenarbeit mit den Carabinieri für ganz Südtirol erstellt.
Es ist ein Teil der Südtiroler Bombenjahre, der bis heute noch größtenteils unter Verschluss gehalten wird.
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Dafür, dass die Explosion auf
Dafür, dass die Explosion auf der Steinalm kein Attentat, sondern ein Unfall (Gasexplosion) war, spricht wohl auch, dass der dafür verurteilte Luis Larch, angeblich verantwortlich für drei Tote, im Jahr 2007 von Staatspräsident Napolitano begnadigt wurde - gemeinsam mit Egon Kufner, der für den Vorfall auf der Porzescharte mit vier Toten verurteilt worden war.