Culture | Salto Gespräch

"Wie ein Wunder"

Die Regisseurin Martine De Biasi holte sich gestern mit dem Film „Becoming me“ den Publikumspreis und den Jurypreis für Dokumentarfilm beim 33. Filmfestival in Bozen.
Martine De Biasi
Foto: Salto.bz

salto.bz: Ein Film, zwei Preise. Wie haben Sie die Preisverleihung erlebt?

Martine De Biasi: Zuerst hab ich ja den Preis für den besten Dokumentarfilm bekommen, wollte aber nicht wirklich realisieren, dass das wahr ist. Ich bin auf die Bühne, es wurde mir gratuliert, alle waren happy, aber ich war wie in einem Trancezustand. Ich hab auch gar nichts gesagt. Gott sei Dank hab ich dann noch einen zweiten Preis erhalten, den Publikumspreis, dann konnte ich endlich das sagen was ich sagen wollte.

Wie unterschiedlich bewerten Sie die beiden Preise?

Den Publikumspreis habe ich von den vielen Menschen bekommen, die vielleicht diese Menschlichkeit des Films ausgezeichnet haben, der Jurypreis beweist, dass neben der Geschichte von Marian auch der Film als Film gelungen gilt. Es ist wie ein Wunder.

Seit 2010 arbeiten Sie am Filmprojekt Becoming Me. Ein Film mit Happy End-Garantie, trotz vieler Zweifel im Entstehungsprozess?

Ich kenne mehrere Menschen die sich mit Transition beschäftigen. Bei jedem anderen Menschen hab ich mir immer gedacht: „Toll, dass die das machen.“  Bei Marian aber war das für mich am Anfang nicht einfach und ich sag das ja auch im Film, in einer Szene, wo ich zugebe, dass ich am Anfang, an diesen Schritt Marians, nicht geglaubt habe. Es ist häufig so, dass wo sich Menschen verändern wollen, das Umfeld aber will, dass alles gleich bleiben soll. Es gibt da diesen Satz: „Freunde sind die, die wollen dass du dich nicht veränderst.“ Und das war auch in meinem Fall so. Ich wollte eigentlich nicht, dass sich diese Person verändert. Wir hatten uns am Anfang auch nicht gedacht, dass das so eine große Geschichte wird. Es war aber auch wichtig, das Projekt durchzuziehen, für die Menschen die sich ähnlich fühlen. Betroffene.

 

Die freundschaftliche Nähe zwischen Ihnen beiden zieht sich poetisch durch den Film. Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit?

Man muss natürlich sehr vorsichtig sein, denn es geht auch um Verantwortung. Ich hab das auch immer wieder betont, dass unser Projekt immer veränderbar ist, sollte etwa Marian etwas nicht passen. Marian hatte stets das Recht, Szenen die er nicht im Film haben möchte, zurückzuhalten. Dadurch konnten wir über alles offen reden und es war dadurch auch eine richtig intensive Auseinandersetzung mit ihm zu diesem Thema.

Wichtig ist mir, dass der Film die Menschen berührt und sie in diesem Produkt eine Wichtigkeit erkennen. Um das Menschsein aus neuen Blickwinkeln zu sehen.

Bis der Film im Kasten war, benötigte es viele Jahre und Drehtage. Gab es auch Momente, wo jemand von Ihnen beiden das Handtuch werfen wollte?

Für mich als Regisseurin war es schwierig über viele Jahre dieses Projekt immer im Hinterkopf zu haben, auf kleiner Flamme laufen zu lassen. Für Marian war klarerweise die Frage: Will ich mir das antun? Die schwierigste Zeit war als Marian sich zurückgezogen hat, da hat er sich nicht mehr gemeldet bei mir. Das war zwar verständlich, aber in dem Moment war mir sehr unklar, wie dieses Projekt weitergehen kann. Solche Phasen gab es immer wieder. Und sicherlich ist es auch jetzt ein schwieriger Moment. Weil eben durch die Filmabende viele Emotionen hochkommen, vielleicht auch Angst vor Reaktionen. Die Rückmeldungen sind jedenfalls bisher überwältigend.

Die Geschichte zu Becoming Me war immer mit viel Ungewissheit auf das Filmende hin verbunden. Ist gerade das die Stärke des Films?

Ich wollte einen Film machen, der strukturiert ist und einen dramaturgisch Sinn macht. Es geht letztendlich um Identitätsfindungsprozesse, eine Thematik die im Grunde jeden und jede betrifft.

 

Regisseurin, Kamera- und Tonfrau gleichzeitig. Wie haben Sie technisch alles unter einen Hut gebracht?

Für mich war das recht kompliziert, denn ich bin keine Kamerafrau. Ich habe Schnitt studiert. Wenn ich mit Marian am Set war, machte ich gleichzeitig Kamera, Ton und eben Regie, führte die Gespräche und zeichnete sie auf. Das war eine große Herausforderung, aber auch eine gute Erfahrung.

Wie war es für Sie beim Schnitt? Als Regisseurin und gelernte Cutterin?

Das benötigte natürlich etwas Zeit, bis ich von meiner Arbeit als Cutterin loslassen konnte. Aber meine Schnittmeisterin Cornelia Schöpf hatte überhaupt kein Problem, wenn ich mit meinen Händen ab und zu dazwischen musste. Sie musste es manchmal ertragen, obwohl sie ja die erfahrenere Cutterin im Filmschnitt ist. Es gab im ganzen Produktionsprozess immer wieder viele, kleine Unsicherheiten, aber es gab auch viele Menschen, die uns motiviert haben. Motivation und ehrliches Lob haben zu einem guten Ergebnis geführt.

Eine professionelle Wortmeldung aus dem Publikum war: Der Film ist nicht spekulativ und voyeuristisch – Gratulation!

Da geht mein Dank sicher auch an die Lehrerinnen und Lehrer der Filmschule ZeLIG, natürlich an Marian, meinem Team von Helios um Martin Rattini und der IDM-Filmförderung, welche dieses Debütprojekt gefördert hat. Nur so konnte ich das Projekt, auch ohne Zusage von TV-Anstalten machen und hatte dadurch auch sehr viel Freiraum und Zeit. Wichtig ist mir, dass der Film die Menschen berührt und sie in diesem Produkt eine Wichtigkeit erkennen. Um das Menschsein aus neuen Blickwinkeln zu sehen.