Die Wächterinnen
Frühstück des Wachteams
Julia von der Soy-Alm in Martell bringt den beiden Hündinnen ihr Frühstück.
Sie steigt eine Dreiviertelstunde in einen Kessel auf, indem sich 110 Ziegen sammeln, die die Nacht auf kleinen Böden und unter Feldnasen verbrachten. Die Almhütte liegt auf 2.070 Metern, die Weideflächen auf 2.100 bis 2.700 Metern Seehöhe.
Julia ruft die Ziegen und bringt ihnen Salz. Wie eine zweireihige Perlenschnur gleiten die Mutterziegen und Zicklein weiter. Ganz vorne einige Ziegen, dahinter trabt ein massiger Hund, dunkelbraunes Fell, das glänzt, wo es die erste Sonne trifft. Von weitem lässt sich der Hund von den Ziegen schwer unterscheiden. Die Hündin Athena stammt von einem Züchter aus der Toskana, der sich auf den Erhalt eines alten Landschlages von Schutzhunden spezialisiert hat. Die Hirten in den Bergregionen im nördlichen Kalabrien, in den Sila-Bergen, arbeiten noch heute mit den agilen Hunden um Ziegen zu schützen, vor Wölfen und Viehdieben. Inzwischen ist auch Athenas Tochter im Kessel angekommen. Athena und Gina begrüßen Julia freundlich, aber nicht überschwänglich.
Die Hündinnen nähren sich vorsichtig, es sind heute mehr Menschen da als an einem gewöhnlichen Morgen, sie schauen, schnuppern und befinden, dass die Situation sicher ist für ihre Ziegen. Dann schieben sie ihre Köpfe zu den Kübelchen mit Hundeflocken, eingeweicht in Käsewasser. Julia beobachtet sie und die Ziegen, die vollzählig im Kessel stehen, Salz lecken oder Gräser und Kräuter rupfen.
Tagesgeschäft
Nach dem Frühstück ziehen die zwei Hündinnen und die Ziegen weiter. Athena und Gina setzen sich als Wachposten auf exponierte Stellen, die eine ober den grasenden Ziegen, die andere ganz rechts, das Wichtigste ist der Überblick. So bleiben sie den ganzen Tag, einmal geben die Hunde die Richtung vor, einmal einige Mutterziegen. Philipp und der Almmeister Sepp halten seit sieben Jahren ihre Passeirer Gebirgsziegen zusammen als geschlossene Herde.
Ständig behirtet wird die Herde nicht, ein, manchmal zwei Mal am Tag schauen Julia oder Sepp nach. Wenn Philipp, der als Aufsicht im Nationalpark Stilfserjoch arbeitet, in der Nähe zu tun hat, sucht er mit seinem Fernglas zuerst Athena und Gina, die nie weit von den Ziegen sitzen, liegen oder mit der Herde zum Trinken an den kleinen Bach laufen.
Die Zukunft beginnt heute
Als Philipp von den ersten Rissen an Schafen gehört und sich über die Ausbreitung der Wölfe vom Trentino und der Schweiz in Richtung Vinschgau und Ulten informiert hatte, arbeitete er an einem Plan, die Ziegenherde auch in den nächsten Jahren sicher weiden zu können. Denn die Passeirer Gebirgsziegen sind seine Passion, seit er 13 Jahre alt war. Philipp ist kein Zauderer, er kaufte zwei Schutzhunde aus dem Trentino, zwei Maremmani-Abruzzese-Welpen. Er gewöhnte sie im Winter 2019/2020 in Stall und Hausweide an die Ziegen, in der Almsaison 2020 auf der Soy-Alm hielt er sie mit Ziegen in einer Koppel und im Juni 2021 ließ er sie mit der Ziegenherde im freien Weidegang auf die Hochweide. Er hatte gewissenhaft Schilder aufgestellt, die Wanderer darauf hinwiesen, wie sie sich verhalten sollten, wenn Schutzhunde bei der Herde arbeiten. Es führt ein Wanderweg durch das Weidegelände zur Soy-Alm.
Kurskorrektur
Rocky und Rambo, die zwei Maremmani-Abruzzese-Schutzhunde, fanden die Wacht bei den Ziegen weit entfernt von der Alm, den Menschen, die dort arbeiteten und einkehrten, wohl zu langweilig. Sie marschierten jeden Morgen hinunter zur Almhütte, obwohl sie gelernt hatten, dass sie ihr Frühstück pünktlich im Kessel inmitten der Ziegen erhielten. Irgendetwas hatte die Sozialisation der Hunde an die Ziegen gestört, sie hatten offensichtlich zu oft Kontakt zu Menschen, wurden auch von Fremden mit Leckereien versorgt und waren nicht ausschließlich auf Ziegen (im weiten Sinn auf Weidetiere) geprägt. Hier liegt die Herausforderung in der Ausbildung von Schutzhunden, der Grat ist schmal. Schutzhunde sollen an Menschen gewohnt sein, vor ihnen weder erschrecken noch sie angreifen, gleichzeitig scheu bleiben und die Herde den Menschen vorziehen. Wie der Züchter von Athena und Gina meint: “Die Ziegen sind die Chefs der Hunde, nicht die Hundebesitzer.“ Das gelingt nur, wenn die Weidetiere eine geschlossene Herde bilden. Sind die Ziegen, Schafe oder Rinder weit verstreut, können die Schutzhunde nichts ausrichten.
Die Passeirer Gebirgsziegen auf der Soy-Alm verbringen den Almsommer beisammen, sie werden nicht gekoppelt. Herdenbildung ist eine Arbeit, die Jahre braucht, im Winter und auf der Frühjahrsweide erfolgt und die konsequent verfolgt werden muss, erklärt Philipp.
Wie kam es denn, dass die weißen Maremmano-Abruzzese-Rüden Rocky und Rambo gegen die schwarzbraunen Pastore della Sila-Weibchen Athena und Gina ausgetauscht wurden? Philipp reagierte sofort auf die Anfrage eines Bekannten. In dessen Wildtier-Gehege waren zwei Wölfe eingedrungen und hatten Damhirsche getötet, das ging zwei Nächte. Philipp brachte Rocky und Rambo ins Wildtier-Gehege, der Besitzer hatte inzwischen mit einem effizienten Elektrozaun die Holzumfassung verstärkt. Die benachbarten Tierhalter klagen über Wolfsangriffe, der Besitzer des Wildtier-Geheges hat Ruhe, seitdem Rocky und Rambo patrouillieren. Untertags bleiben sie in einer Koppel und genießen sichtlich die Aufmerksamkeit der Besucher im Wildtier-Gehege.
24 Stunden nonstop
Und die nicht mehr geschützte Ziegenherde oberhalb der Soy-Alm? Lange wollte Philipp die Ziegen nicht ausgesetzt lassen. Er hatte über das Netzwerk Pro Patrimonio Montano erfahren, dass sich Pastore della Sila-Schutzhunde für Ziegen und Berggebiete gut eignen, fuhr nach Latium zu einem Ziegenhirten, der von einem bekannten Züchter der Pastore della Sila einige Hunde im Einsatz hatte, und kehrte mit den zwei wolfserprobten Hündinnen Athena und Gina auf die Soy-Alm zurück, mehr als 24-Stunden nonstop. Nach zwei Tagen Eingewöhnung in der Koppel hatten sich die Hündinnen und die Ziegen schon aufeinander abgestimmt. Mitglieder der Arbeitsgruppe Weidekultur im Südtiroler Bildungszentrum hatten Philipp auf der Reise, beim Kauf und beim Koppeln unterstützt.
Schutzhunde im Projekt LIFEstockProtect
Philipp beteiligte sich an einer Ausschreibung für Spesenvergütung zum Halten von Schutzhunden auf Südtiroler Almen im Rahmen von LIFEstockProtect und erhält für die nächsten Jahre die Futter- und Tierarztkosten für seine Schutzhunde ersetzt, denn die Hunde bewegen sich viel und brauchen ansehnliche Mengen an Futter, das ganze Jahr über. LIFEstockProtect wird die Arbeit der Hunde auf der Alm, ihr Verhalten zu den Weidetieren, den Wanderern und Freizeitsportlern untersuchen und für Interessierte dokumentieren, die Lösungen für ihre Weidetiere auf Hochalmen suchen.
Philipp schaut mit dem Fernglas über die Felswand und ist sehr zufrieden: Athena und Gina halten zu Menschen immer einen Abstand von 50 bis 30 Metern, außer zu ihm, Julia und Sepp.