Politics | Syrien

„Rote Linien“ ohne Schiedsrichter

Was taugen eigentlich „rote Linien“ und wie werden sie gezogen? In Syrien haben Westmächte kurz eingegriffen, um die Gültigkeit einer solchen roten Linie zu markieren.
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Rote Linie
Foto: Pixabay

Doch wird dies allein die Kriegsverbrechen in Syrien beenden? Responsibility to Protect, die "Verantwortung der Staatengemeinschaft für den Schutz“, das war in der internationalen Politik und Wissenschaft seit den 1990ern diskutiert worden. Die Völkermorde in Bosnien-Herzegowina 1992-1995,  in Ruanda 1994 und die Vertreibungsverbrechen im Kosovo 1998-99 hatten diese Diskussion befeuert, weil die „Staatengemeinschaft“ einer derartigen Verantwortung nicht (Ruanda), nur verspätet (BiH) oder zögerlich (Kosovo) nachgekommen waren. In Syrien und im Jemen spielt sich seit Jahren dasselbe ab: die in der UNO institutionalisierte Staatengemeinschaft hat sich von ihrer Schutzverantwortung für die Zivilbevölkerung und für die Sanktionierung grober Völkerrechtsverletzung längst verabschiedet. Schurkenstaaten wie Russland und die Türkei brechen laufend internationales Recht (Afrin, Irak, Krim, Ukraine, Giftgasanschlag in England), blockieren dann aber den Sicherheitsrat, der dann nicht mal mehr Chemiewaffeneinsatz ahnden kann.

Chemiewaffen dürfen aber laut Chemiewaffenkonvention vom 29.4.1997 nicht mehr entwickelt, produziert und eingesetzt werden. Fast die ganze Welt außer drei Staaten ist diesem Abkommen beigetreten, das die Vernichtung aller Chemiewaffen binnen 2012 vorsieht, u.a. Syrien am 14.9.2013. Eine eigene UN-Institution, die OPCW, überwacht die Einhaltung dieser Konvention. Wenn der wiederholte Einsatz von chemischen Waffen durch einen notorischen Kriegsverbrecher wie Asad keine Folgen, hat ist das der Bankrott von Abrüstungsabkommen. Wenn derartige „rote Linien“ nicht von jenen sanktioniert werden, die die Mittel dafür haben, kann man es gleich lassen. Dann regiert nur mehr der Zynismus der Kremlherren und ihrer Marionetten in verschiedenen Ländern. Heute bezichtigen diese die USA, mit ihrem Schlag gegen Asads Chemiewaffenlabors die Souveränität Syriens und das Völkerrecht verletzt zu haben. Ohne russische Unterstützung hätte das Asad-Regime nicht 400.000 Landsleute massakrieren können. Die Bombardierung von syrischen Städten durch russische Kampfjets und der Einsatz von Chemiewaffen gegen die Bevölkerung verletzt dagegen aus der Sicht der Kreml-Schurken kein Völkerrecht, weil ja vorab die Einladung durch Asad erfolgt ist.

Der sehr begrenzte Angriff der USA, Großbritanniens und Frankreichs auf Asads Chemiewaffenlager ist zwar mehr als berechtigt, aber auch nicht das, was „responsibility to protect“ ursprünglich bezweckte. Denn der Schutz der syrischen Zivilbevölkerung vor dem konventionellen Vernichtungsfeldzug ihres Staatschefs war dem Westen bisher kein so wichtiges Anliegen, mit Ausnahme der Bekämpfung des IS. Man hat das Feld weitgehend Russland, Iran und der Hisbollah überlassen und neuerdings auch der Türkei. Nur in Syrisch-Kurdistan haben die USA einen direkten Fuß im Territorium behalten. Wie zwiespältig dieses Engagement der Amerikaner ist, kann man daran erkennen, dass die Türkei folgenlos die ganze Region Afrin besetzen konnte. Zwar eine Staatsgrenze, aber keine rote Linie war mit diesem Angriffskrieg mit schon erfolgter ethnischer Säuberung überschritten worden.

Von einer echten Schutzverantwortung für die Zivilbevölkerung sind wir somit noch weit entfernt, was auch aus der dramatischen Lage im Jemen ersichtlich ist. Es macht für die Syrer keinen großen Unterschied, an Chlorgas zu ersticken oder von Fassbomben verbrannt zu werden. Einige tausend Syrer sind Opfer von chemischen Waffen geworden, doch das von Iran, Russland und der Hisbollah gestützte Asad-Regime ist verantwortlich für über 400.000 „konventionell Getötete“. Es muss endlich ein völkerrechtlich begründetes Recht auf Intervention geschaffen werden, das bei solchen Verbrechen  rasch und wirksam schützt unabhängig von der Art der eingesetzten Waffen. Asad hätte seit Beginn des Kriegs gegen die eigene Bevölkerung vor sieben Jahren einem in Stufen gestaffelten Sanktionsprogramm unterworfen werden müssen: Einstellung von Waffenlieferungen, Wirtschaftssanktionen, Flugverbotszonen bis hin zu den 2017 und eben jetzt ergriffenen Maßnahmen. Ansonsten sehen sich solche Regimes ermuntert, mit dem Rückhalt erbarmungsloser Komplizen in ihren Verbrechen fortzufahren, bis alle aufgeben, die noch nicht geflohen sind.

Insofern lässt sich feststellen, dass dieser Schlag gegen Asads Chemiewaffen spät kommt und zu wenig bewirkt. Die USA haben nur die Botschaft ausgesandt: halt, wir sind auch noch da. Aber wie und wofür? Ungeheures Leid ist in Syrien angerichtet worden ohne dass die Staatengemeinschaft eingeschritten wäre, und schon morgen wird Asad auf seiner Linie weitermachen, nur eben streng konventionell.