Environment | Klimakreis

Veränderung passiert vor der Haustür

Beim Klimakreis in Neumarkt wird debattiert, wie ein nachhaltigeres Leben gelingen kann. Dabei wird klar: in den Gemeinden und der Gemeinschaft liegt die Kraft.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Musikalischer Abend in Neumarkt
Foto: @Südtirols Netzwerk für Nachhaltigkeit

In die kleine Gemeindebibliothek von Neumarkt, die gestreckt wird von Holzbalken, hohen Decken und viel Licht, wird heute die große Welt hineingebracht. Ein Teilnehmer der circa fünfzehn-köpfigen Runde drückt es treffend aus: „Mein kleines Dorf ist ja nicht die Welt.“ Und trotzdem werden hier und heute die globalen Themen angepackt, in eine konkrete Form gegossen. Die entscheidenden Veränderungen passieren nicht auf UN-Versammlungen oder dem globalen Wirtschaftsforum von Davos – dort wird viel geredet. Gemacht wird aber an den unscheinbaren Orten, wie beim heutigen Kreisgespräch in Neumarkt.
Insgesamt hat das Netzwerk für Nachhaltigkeit 48 Kreisgespräche in den Bibliotheken fast aller Südtiroler Gemeinden organisiert – Gesprächsrunden, begleitet von Musik, bei denen Bürgerinnen und Bürger für globale Themen konkrete Lösungen auf Gemeindeebene debattieren, planen und ausführen, erklärt Manuela Prantner von Kolpingjugend Südtirol, die Träger des Projekts sind.
Das junge weibliche Quartett „Klari-die-Netten“ von der Musikschule Unterland bläßt einen Jazz-Wind die den Raum, eröffnet die Runde in der Atmosphäre einer amerikanischen Lounge-Bar. Dann erklärt Judith Hafner die 17 Ziele der UNO und den Plan, diese bis zum Jahr 2030 global zu erreichen – kurz: Die Agenda 2030. Sie erklärt die Aufgabe des Südtiroler Netzwerks für Nachhaltigkeit: Vereine und Personen zu vernetzen, um ebenjene 17 Ziele auf der untersten Ebene, in den Gemeinden und Städten Südtirols konkret umzusetzen.
Jeder und Jede der Teilnehmenden darf sich nacheinander eines der UN-Ziele aussuchen, die persönliche Verbindung damit erklären, die eigenen Gedanken dazu teilen.

Gemeinsam sind wir stark

Schnell wird klar: die Perspektiven der Anderen bereichern, jede Wortmeldung ist ein Puzzleteil, das zusammengenommen ein komplettes Bild ergibt. Die Köchin aus der Schulmensa erzählt mit Blick auf das UN-Ziel nr. 2 – kein Hunger – davon, wie viel Abfall sie täglich wegwerfen muss, dass sie gegen die Verschwendung etwas unternehmen möchte. Die Bibliothekarin wählt das UN-Ziel nr. 4 – hochwertige Bildung – und wendet es auf den konkreten Alltag in Neumarkt an: Sie wünscht sich, dass das Gemeindeblatt wieder zweisprachig wird, sodass auch italienischsprachige davon profitieren können. Die Vertreterin eines Bildungsabschlusses verweist auf nachhaltige Städte und Gemeinden, dem Ziel nr. 11, und erzählt aus ihrer Erfahrung in Laag, wo es zwar Platz gab für Parkplätze und Bauten, jedoch kein grünes Fleckchen mehr übrig ist, um einen Gemeinschaftsgarten und einen Ort der Begegnung zu realisieren. „Wir sind zugebaut,“ schließt sie.
Etliche Impulse und Ideen werden am heuteigen Abend ausgetauscht. Das stärkt, und hinterlässt wichtige Spuren, erzählt Melanie Pöhl, Leiterin vom Kindergarten in Neumarkt: „Diese Veranstaltungen sind wichtig, weil man Leute trifft, denen das Thema am Herzen liegt. Wenn man voneinander weiß, kann man Ressourcen bündeln. Ein Miteinander statt Nebeneinander ist total effizient.“
Effizient ist auch, dass sich immer wieder Schlüsselfiguren bei den Kreisgesprächen zusammenfinden. Bürgermeisterinnen, Gemeindevertreter, Vereinsleiter und Vertreterinnen der Bildungsausschüsse oder Führungskräfte im Pädagogischen Bereich. Es sind Macher, die Veränderungen anstoßen können.
Zum Beispiel ist in Neumarkt der Gemeinderat Peter Kasal anwesend, Amtsdirektor für Landschaftsplanung, dem das Thema sehr am Herzen liegt: „Ohne Nachhaltigkeit wird nix funktionieren, und es ist wichtig, ein Umdenken in die Köpfe der Leute zu bringen, denn erst dann wird auch die Politik umdenken.“ Genau dafür seien laut Casale solche Events und vor allem solche Netzwerke enorm wichtig. Für ihn hat das Treffen heute neue Perspektiven eröffnet, „Wir arbeiten vielleicht zu wenig mit den Leuten direkt, sondern eher auf der politischen und legislativen Ebene. Heute ist mir wieder mal bewusst geworden, dass es von ganz unten startet.“ Besonders die Köchin, die erzählt hat, wie mit Abfällen umgegangen wird, hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen:

„Das ist einer von vielen kleinen Tropfen, die dazu nützlich sind, das Ganze in die richtige Richtung zu kriegen."

Ergebnis: Klimakreis
Aus den Impulsen der Kreisgespräche sollen Klimakreise hervorgehen, erklärt Daniela Delmonego, ebenfalls Mitglied im Kernteam, die der Frage nachgehen: Was können wir konkret im Dorf gegen Klimawandel machen?  Fünf Personen oder mehr sollen eine Gruppe bilden, die sich regelmäßig trifft, um über Nachhaltigkeit zu sprechen, und für Problematiken in der Gemeinde konkrete Lösungen oder Projekte zu organisieren. Jeder Klimakreis kann sich auf der Homepage als Netzwerk-Partner eintragen, und wird dadurch begleitet. Geplant sind digitale oder physische Treffen im Abstand von zwei Monaten. Auch im kommenden Jahr möchte das Netzwerk mit den Klimakreisen weiterarbeiten, vielleicht zwei bis drei Events im Jahr organisieren.
Aus dem heutigen Kreisgespräch ist bereits der Plan eines Klimakreises hervorgegangen erzählt Kindergartenleiterin Pöhl. Mit anderen Teilnehmerinnen, unter anderem Vertreterinnen der Bildungsausschüsse, habe sie Kontakte ausgetauscht, um am Thema dran zu bleiben.

Beyond Neumarkt: Alles hängt zusammen
Konkrete Impulse haben auch frühere Kreisgespräche aus anderen Gemeinden hervorgebracht. In Schenna etwa war die Bürgermeisterin anwesend, und hat in den Raum gestellt, einen Bürgerrat zu gründen, der verschiedene Themen behandelt, unter anderem Maßnahmen zum Klimaschutz. In Kastelruth ist die Idee einer bunt bemalten Bank geboren, auf die sich Menschen setzen können, die eine Mitfahrgelegenheit brauchen. Dieser kreative Autostopp-Ersatz soll Fahrtgemeinschaften fördern, und somit den Autoverkehr verringern. In Aldein hat sich gezeigt, dass eine Whatsapp-Gruppe lokal produzierte Lebensmittel in Umlauf bringt. So werden Mikrokreisläufe unterstützt – regionaler Konsum statt Großeinkauf im Supermarkt. Neumarkt hingegen möchte lokale Anbieter auf einer Landkarte sichtbar machen. In Sterzing und Feldthurns ging es um den Abbau des Durchzugsverkehrs und darum, wie man Leute sensibilisieren kann, weniger online zu kaufen, um weniger Lastwägen in Bewegung zu setzen.

Zoomt man aus Neumarkt hinaus wird also klar: alles hängt mit allem zusammen. Ein Mausklick in Neapel verursacht Lärmbelästigung und Luftverschmutzung in Sterzing, ein bewusst gewähltes Fairtrade-Produkt in Brixen ermöglicht einem äthiopischen Mädchen den Zugang zur Bildung. Die großen Themen der Welt lassen sich auch in den Dörfern und Städten Südtirols nieder. Die großen Themen der Welt müssen also auch wir, die Köchin aus Neumarkt, der Bauer in Mals, die Studentin aus Bozen und der Ingenieur in Bruneck anpacken. Denn Veränderung passiert vor der Haustür.

Die Initiative wird von der Autonomen Provinz Bozen und vom Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik unterstützt.