Cinema | SALTO Weekend

David Lynch war mein Freund

Der US-amerikanische Filmemacher, Musiker, Maler, kurz Künstler David Lynch ist mit 78 Jahren verstorben. Ein persönlicher Nachruf.
Ein rauchender Mann
Foto: David Lynch
  • Ich übertreibe in keiner Weise, wenn ich sage: Wegen David Lynch bin ich Filmemacher geworden. Wegen ihm und besonders wegen seines Meisterwerks Mulholland Drive. Beiden, dem Mann und dem Film, bin ich zufällig begegnet, nahezu über sie drüber gestolpert bin ich, in einem Winter vor etwa elf Jahren. Damals war ich siebzehn Jahre alt und machte mir erste Gedanken zum Thema meiner Maturaarbeit. Ich wusste, es sollte etwas über Filme sein, bloß welche Filme, fragte ich mich, surreale Filme, entschied ich, der Surrealismus gefällt mir schließlich, doch mir war nicht bewusst, dass es ihn auch im Kino gab. Bei meiner Recherche entdeckte ich zunächst Luis Buñuel und seinen Andalusischen Hund, doch sehr schnell auch David Lynch. Nichtsahnend sah ich mir zu Hause in meinem Kinderzimmer Mulholland Drive an. Der Film faszinierte mich, aber ich verstand ihn nicht. Die Geschichte rund um eine aufstrebende Schauspielerin, die Hollywood erreicht und auf eine an Amnesie leidende Frau trifft, der Strudel der Albtraumstadt Los Angeles, die Träume und finsteren Hinterzimmer, all das zog mich in seinen Bann, und stellte sich mir als Rätsel vor. Und Rätsel lassen sich lösen, dachte ich damals. Ich hätte einfach googeln können, mir die Handlung von einem Internet-Forum erklären lassen können, doch alles in mir sträubte sich dagegen. Nein, dieses Rätsel wollte ich selbst lösen. Ich blieb dran und sah mir Mulholland Drive noch weitere vier oder fünf Mal, direkt hintereinander an. Dabei notierte ich mir allerhand und zog meine Schlüsse. Am Ende bastelte ich mir eine Interpretation der Ereignisse zusammen, die mich zufriedenstellte. Ich glich sie dann doch noch mit der verbreiteten Meinung im Netz ab, denn Lynch selbst schwieg all die Jahre zurecht über die Bedeutung seiner Werke. Meine Interpretation schien nicht allzu weit von der allgemeinen Meinung abzuweichen, das machte mich Siebzehnjährigen unheimlich stolz. In diesem Moment verstand ich, dass Kino mehr sein kann als nur Unterhaltung. Die Türen zur vielschichtigen Welt des David Lynch waren damit für mich aufgestoßen. 

  • Naomi Watts mit ihrem Entdecker David Lynch am Set von "Mullholland Drive". Foto: David Lynch
  • Jahre später nahm ich Abstand von dem Anspruch, die Filme von Lynch bis auf kleinste Details hin zu begreifen. Darum geht es nicht, darum ging es ihm auch nie, wie er in zahlreichen Interviews bekannte. Seine Filme sollte man erfühlen, und dadurch begreifen. Lynch war als Künstler erfrischend unprätentiös, prätentiös waren und sind höchstens jene, die sich an seinen Werken abarbeiten. 

    Er zeigte uns ein Amerika, wie es bislang nur selten zu sehen war. Bei Lynch geht es viel um Alltäglichkeiten, doch er zeigt uns die düsteren Seiten des Lebens. Dennoch kam der Humor nie zu kurz, was besonders in seiner Serie Twin Peaks deutlich wird. Sie ist mir seit dem ersten Sehen zum Rückzugsort geworden. Was weniger an der erschütternden Haupthandlung rund um die ermordete Laura Palmer und ihren Mörder liegt, sondern eher an den liebenswerten Charakteren, denen man die tiefe Menschlichkeit ihres Schöpfers anmerkt. 

    Neben Bob Dylan hat mich kein Künstler derart in meinem eigenen Schaffen beeinflusst wie David Lynch. Er hat mir die Leichtigkeit gezeigt, die im Filmemachen steckt, diese „einfach-machen-Attitüde“ mitgegeben. Er hat mir weiter gezeigt, dass künstlerische Identität vor allem dann zum Vorschein kommt, wenn sie von einem selbst stammt, ganz persönlich ist. Lynch hat dieses Credo sehr gewissenhaft verfolgt, deswegen erkennen wir seine Filme und auch seine Musik sofort. Sogar ein Wort gibt es, für die Stimmung in seinen Werken, oder in den Arbeiten anderer, die an Lynch erinnern: „Lynchian“. 

  • Kyle MacLachlan und David Lynch: Freunde über viele Jahrzehnte hinweg. Foto: David Lynch
  • Als ich die Nachricht vom Tod David Lynchs las, zerbrach etwas in mir. Wie als wäre ein guter Freund, oder besser noch, eine Vaterfigur, gegangen. Obwohl wir in verschiedenen Welten lebten, fühlte ich mich all die Jahre Lynch immer sehr nahe. Ich hatte das Gefühl, wir verstanden einander, wir schwebten auf einer ähnlichen Welle. 

    Diesen Text könnte man mit dem berühmten „Silencio“ aus Mulholland Drive höchst dramatisch beenden. Doch ich glaube, Lynch wäre ein etwas zuversichtlicher Ton lieber gewesen. Um es also mit den Worten von Dale Cooper (gespielt von Lynch-Freund Kyle MacLachlan, der auf Instagram schöne Worte fand) aus Twin Peaks zu sagen:

    „Harry, I have no idea where this will lead us, but I have a definite feeling it will be a place both wonderful and strange.“