Economy | Salto Gespräch

„Wir veredeln Abfall“

Was haben Obstkerne aus Südtirol mit grüner Kernspaltung in Österreich und Upcycling zu tun? Michael Beitl, Mitgründer des Unternehmens Kern Tec klärt auf.
Kern-Tec
Foto: Kern-Tec

Das österreichische Unternehmen Kern Tec veredelt Obstkerne und stellt aus dem Nebenprodukt eine neue Nuss her. Die Kerne bezieht das Unternehmen aus vielen Regionen Europas, auch Obstkerne aus Südtirol erfahren durch Kern Tec eine Aufwertung. Im Gespräch erzählt einer der Gründer, Michael Beitl, von dem Businessmodell der Abfallverwertung.

salto.bz: Herr Beitl, worauf basiert das Geschäftsmodell von „Kern Tec“?

Michael Beitl: Einfach gesagt: Wir werten den „Abfall“ großer Unternehmer auf und stellen daraus hochwertige Produkte her. Unsere Ressourcen sind die Kerne von Marillen, Kirschen, Pfirsichen und Zwetschgen. Große Saft-, Marmeladen- und Konservenhersteller verwenden nur das Fruchtfleisch für ihre Produktion und dabei fällt eine Unmenge an Kernen an. An diesem Punkt knüpfen wir an: Wir holen die Kerne ab und bringen diese zu unserer Trocknungsstelle in die Steiermark. Dort werden sie gewaschen, getrocknet und somit haltbar gemacht. Wichtig ist dabei schnell zu agieren, denn der Kern schimmelt 72 Stunden nachdem er aus der Frucht gedrückt wurde. Von der Steiermark geht die Reise der Kerne dann weiter in unser neues Werk in Niederösterreich. Dort brechen wir die Kerne auf und gewinnen daraus zwei Rohprodukte: Die Schale und den inneren Samen, eine neuartige Nuss. Wir verkaufen die Rohstoffe dann direkt an andere Unternehmen weiter, die sie in die gewünschten Endprodukte einarbeiten. 

Wir schaffen es, durch einen technischen Prozess aus dem Kern eine neuartige Nuss zu gewinnen, die ähnlich einsetzbar ist wie andere Nüsse.

Nüsse sind momentan sehr gefragt. Was macht diese neu gewonnene Nuss so besonders?

Das stimmt, der Bedarf an Nüssen steigt drastisch. Bemerkenswert ist unser großer umwelttechnischer Vorteil gegenüber der restlichen Branche: Der Baum wird für die Frucht angebaut und der Kern ist ein Nebenprodukt. Dem Kern kann also fast kein Co2- und Wasserverbrauch zugerechnet werden. Wir schaffen es, durch einen technischen Prozess aus dem Kern eine neuartige Nuss zu gewinnen, die ähnlich einsetzbar ist wie andere Nüsse. Der Samen besteht aus mehrfach ungesättigten Fettsäuren, Proteinen und Ballaststoffen. Jeder Samen hat seine eigenen Fähigkeiten und Inhaltsstoffe, die dann in hochwertige Produkte verarbeitet werden.

In welcher Form wird der Samen in die Endprodukte integriert?

Wenn eine Nuss zu Öl gepresst wird, gehen die Fette raus und Proteine und Ballaststoffe bleiben zurück. Die gepressten Öle sind vergleichbar mit Mandelöl und werden hauptsächlich in der Genuss- und Kosmetikindustrie verwendet. Das hochwertige pflanzliche Protein, der gesamte Samen und die gewonnenen Mehle werden in der Backwaren-, Kosmetik-, Fitness- und Süßwarenindustrie verwertet. Beispielsweise eignen sich die Mehle auf Grund des hohen Proteingehalts sehr gut für Riegel für Fitnessbegeisterte oder wegen ihres einzigartigen Geschmacks als Backzutat.

In der Kosmetikindustrie wird Schalengranulat oft statt Mikroplastik oder als Peeling in Cremes eingesetzt.

Wir haben jetzt viel über den Samen gesprochen, was passiert mit der Schale?

Kern Tec ist ein Upcycling-Projekt: Das bedeutet, dass es unsere Aufgabe ist, das Nebenprodukt, den Kern, zu 100% zu recyclen. Die Schale des Kerns ist sehr wertvoll und auf Grund ihrer Härte einzigartig im Vergleich mit anderen Nüssen. Wir verkleinern die Schale zu Schalgranulat, es entsteht ein 0,2 bis 0,5 mm feines Pulver. In der Kosmetikindustrie wird Schalengranulat oft statt Mikroplastik oder als Peeling in Cremes eingesetzt. Jedoch auch in der Industrie kann die zerkleinerte Schale verwendet werden: Wird hartes Schalengranulat auf Stahl oder Metall geschossen, kann dadurch Rost entfernt werden. Außerdem haben wir einen bioabbaubaren Einwegbecher entwickelt, der ausschließlich aus Schalen besteht und 45 Minuten lang Kaffee hält, was den gängigen Standards entspricht.

 

Die gänzliche Verwertung von Ressourcen klingt nach Zukunftsmusik.

Auf jeden Fall ist es sehr nachhaltig: Durch Forschung und Entwicklung wertet man ein Nebenprodukt auf und führt es in den Kreislauf wieder ein. Der Rohstoff ist der Schlüsselfaktor und deswegen brauchen wir verlässliche Lieferanten von Marillen-, Pfirsich-, Kirsch- und Zwetschgenkernen. Der Lieferant hat auch was davon: Er bekommt eine Remuneration, also eine Entschädigung für den organisatorischen Aufwand und wir nehmen ihm gleichzeitig die Entsorgung seines Abfalls ab.

Ich wusste, dass in der Landwirtschaft viel Potenzial steckt, die Bauern selbst aber aus Zeitgründen ihre Ideen nicht verwirklichen.

Jetzt nochmals zu dem Unternehmen Kern Tec. Wie ist eure Idee geboren?

Die Idee kam uns beim Heurigen (lacht). Für die Universität habe ich eine Idee für ein Start-Up gebraucht, also habe ich mich in der Landwirtschaft umgehört. Ich wusste, dass in der Landwirtschaft viel Potenzial steckt, die Bauern selbst aber aus Zeitgründen ihre Ideen nicht verwirklichen. Für mich hat die Idee vielversprechend geklungen und dann kam eins zum anderen. Heute sind wir ein Team von 4 Gründern, zwei Wirtschaftler und zwei Techniker. Unterstützt werden wir von drei MitarbeiterInnen, die in der Forschung und Entwicklung arbeiten. Dieses Jahr haben wir 1000 Tonnen Kerne verarbeitet, nächstes Jahr wollen wir verdoppeln.

Die typische Start-Up Geschichte startet in der Garage. War das auch bei euch der Fall?

Ja, das kann man so sagen: Wir haben am Anfang, das war 2018, begonnen Kerne an die Wand zu schießen, um den Kern aufzubrechen. Nach 100 Tests ist es uns endlich gelungen. Wir haben klein begonnen: Das erste Jahr mit 10 Tonnen, dann immer mehr und so beginnt der Wachstumsprozess. Mittlerweile sind wir kein Start-Up mehr, sondern bereits ein junges Unternehmen. Ein Start-Up ist man nur so lange wie das Risiko des Scheiterns besteht. Wir können nun sagen, der Prozess funktioniert, heute und auch in den nächsten Jahren.

Dennoch werden alle Gründer, auch die gescheitert sind, mehr in der Zeit gelernt haben als in jedem anderen Betrieb oder an der Universität.

In den letzten Jahren ist der Ruf nach Nachhaltigkeit immer größer geworden. Habt ihr genau zur richtigen Zeit das Unternehmen gegründet?

Ja, der Zeitpunkt war ideal. Vor 10 Jahren hat das schon mal jemand Ähnliches probiert, ist aber an mangelndem Bewusstsein seitens der Kunden, sowie fehlender Internationalisierung gescheitert. Der Trend zu Nachhaltigkeit ist nun stark vorhanden und auch die Internationalisierung ist an einem anderen Punkt. Zum Beispiel ist es heute viel einfacher Kernen aus anderen Ländern wie Spanien zu beziehen.

 

Was raten Sie als erfolgreicher Gründer Menschen, die eine Idee für ein Start-Up verwirklichen wollen?

Grundsätzlich sollte sich jeder nochmals Gedanken darüber machen, ob er/sie nicht doch den Schritt wagen soll zu Gründen. Neue Ideen sind für alle von Vorteil und innovative Technologien stellen einen wichtigen Wirtschaftsmotor dar. In Ländern wie Österreich müssen sich die wenigsten Sorgen um einen gut bezahlten Job machen und sehen deshalb häufig nicht ein, warum sie das Risiko, das Selbstständigkeit mit sich bringt, auf sich nehmen sollten. 

Sie haben Ihre Entscheidung trotz des ständigen Risikos zu Scheitern also nicht bereut?

Im Gegenteil: Ich verfüge über volle Handlungsfreiheit und kann immer das machen, was ich für richtig halte. Zudem ist die Lernkurve irrsinnig groß. Während man an der Uni oder bei einem Job immer nur eine Sache macht, muss man beim Gründen alles machen: Verkauf, Einkauf, Buchhaltung, Logistik, technischer Bereich. Es stimmt, dass nur ein bis zwei Start-Ups die Gründungsphase überleben. Dennoch werden alle Gründer, auch die gescheitert sind, mehr in der Zeit gelernt haben als in jedem anderen Betrieb oder an der Universität.

Die Forschung ermöglicht es uns, Nebenprodukte zu hochwertigen Produkten zu machen.

Wie habt ihr euer Unternehmen am Anfang finanziert?

Wir waren von Anfang an sehr ressourcenintensiv: Vier Leute, Maschinen, viel Material. Durch die gute Förderlandschaft und mehrere Preise konnten wir das finanziell stemmen. Unsere Arbeitsstunden haben wir aber mit null Euro abgerechnet und noch heute lassen wir das ganze Geld, das wir nicht unbedingt benötigen, im Unternehmen und reinvestieren. Wachstum braucht sehr viel Geld und Geld ist Zeit, die man gewinnt.

Sehen Sie noch Potenzial im Bereich der Abfallverwertung?

Das Wichtigste ist es, die Ressourcen der Erde zu 100% auszuschöpfen und nichts wegzuwerfen. Die Forschung ermöglicht es uns, Nebenprodukte zu hochwertigen Produkten zu machen. Dieses Prinzip ist auf vieles anwendbar: Auf Apfelkerne, Gemüsereste und so weiter. Überall gibt es Reste, nur befassen sich leider oft die falschen Menschen damit. Beispielsweise haben große Unternehmen einen anderen Fokus, da muss der Abfall einfach weg. Das bildet gleichzeitig eine Chance für Start-Ups: Wo große Unternehmen keine Ressourcen investieren, müssen Start-Ups ansetzen und mit Fleiß und Forschung neue Produkte entwickeln. So entstehen neue Warenströme und Unternehmen, der Kreislauf schließt sich.

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Günther Mayr Mon, 11/23/2020 - 10:52

Kompliment, gute Sache!
Abfall ist meines Erachtens nicht der richtige Begriff; das klingt nach endgültig, nutzlos.
Ohne obgenannte oder andere Verwertung, gibt es immer noch z.B. Verbrennung, oder Kompostierung (womit sich der biologische Kreislauf schließt, war ja Teil eines Lebensmittels) - jedenfalls ist es immer mehr als "Abfall".

Mon, 11/23/2020 - 10:52 Permalink