Economy | Interview

Weiblich, alleinstehend, alt und - arm

Vor allem alleinstehende Frauen über 65 sind von Altersarmut bedroht. Alfred Ebner von der Rentnergewerkschaft im AGB/CGIL erläutert, warum es in Südtirol relativ viele, relativ arme Menschen gibt und warum miese Jobs schuld an der Altersarmut von morgen sind.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Alte Frau
Foto: pixabay, Gerd Altmann
  • SALTO: Herr Ebner, in Südtirol betrifft das Thema Armut fast 40.000 Familien. Stimmt das so?

    Alfred Ebner: Das stimmt schon ungefähr, aber wichtig ist, dass es sich dabei um relative Armut handelt. Wenn man von Armut spricht, denkt man ja sofort an einen, der unter einer Brücke schläft, aber das sind Fälle extremer Armut. Der Grenzwert in Südtirol für die relative Armut ist natürlich relativ hoch, weil wir ein relativ hohes Durchschnittseinkommen haben. Der Schwellenwert für relative Armut liegt bei 60 % des Durchschnittseinkommens. Damit gilt man in Südtirol schon mit einem Einkommen, als relativ arm, mit dem man in Sizilien oder in Kalabrien noch einigermaßen auskommt. Das ASTAT hat vor nicht allzu langer Zeit für Südtirol ein Durchschnittseinkommen von 27.000 Euro ausgerechnet, also liegt der Schwellenwert für relative Armut bei uns um die 14.000 Euro. Etwa ein Viertel der Familien in Südtirol gilt als armutsgefährdet.


    Eine Rente in Südtirol ist ungefähr halb so viel wert, wie eine Rente in Sizilien.


    Wie man es auch dreht: Armut sollte doch eigentlich in einem Land, in dem die Arbeitslosenzahlen gegen Null gehen, kein Thema sein. Man arbeitet, um davon leben zu können, aber irgendwo scheint das in Südtirol nicht ganz hinzuhauen. Warum?

    Natürlich sind bei uns die Löhne im Vergleich zu Mieten und Lebenshaltungskosten niedrig. Für die Renten bedeutet das - und auch das hat das ASTAT ausgerechnet – eine Rente in Südtirol ist ungefähr halb so viel wert, wie eine Rente in Sizilien. Mit tausend Euro in Sizilien kaufe ich mir sicher mehr als in Südtirol. Sogar innerhalb Südtirols könnte ich mir übrigens vorstellen, dass es hier Unterschiede gibt, denn ich glaube, dass die Lebenshaltungskosten in Gröden oder im Gadertal höher sind als in Salurn. Hinzu kommt, dass wir sehr viele saisonal beschäftigte Menschen im Dienstleistungssektor haben.

  • Zur Person

    Alfred Ebner ist Generalsekretär der Rentnergewerkschaft im AGB/ CGIL. Der streitbare 71jährige ist ein Urgestein der Südtiroler Gewerkschaftsbewegung, war Generalsekretär der Postgewerkschaft und auch 13 Jahre Generalsekretär des AGB/ CGIL. In seiner Arbeit beschäftigt sich Ebner vor allem mit der Frage, wie man Altersarmut verhindern kann.

    Foto: Cgil Agb
  • Lassen Sie uns noch kurz über die Rentner sprechen – genauer gesagt über die Rentnerinnen. In Ihrer Generation waren Frauen ja noch stärker auf die Hausfrau- und Mutterrolle festgelegt. Rächt sich das heute?

    Als ich angefangen habe zu arbeiten, war die Situation der Frauen am Arbeitsmarkt schon ein bisschen besser, als noch zu Zeiten meiner Mutter. Ich bin 1975 ins Arbeitsleben eingetreten. Tatsache ist, dass Frauen eine relativ geringere Rente haben, weil sie ein geringeres Einkommen hatten, und weil sie häufiger in Teilzeit gearbeitet haben. 80 % der Teilzeitbeschäftigten sind Frauen…

    …hätten Sie Teilzeit gemacht für die Familie?

    Das hätte ich mir nicht leisten können. Auch meine Frau hat eines Tages aufgehört zu arbeiten. Wann trifft das häufig die Frauen? Wenn mal zwei oder drei Kinder da sind. Dann wird es fast unmöglich, Privatleben und Arbeit unter einen Hut zu bekommen. Frauen sind daher benachteiligt, weil sie weniger Arbeitszeit zusammenbringen und die Karrieremöglichkeiten für Frauen sind effektiv geringer als für Männer.


    Die erste Kategorie, die armutsgefährdet ist, sind Frauen über 65, die alleine leben. Danach kommen Familien mit mehreren Kindern.


    Heute kaufen viele Betreuungsleistung privat dazu…

    …Das muss man sich erstmal leisten können. Früher konnten Frauen deswegen früher in Rente gehen, weil Frauen alle Arbeit um Familie und Kinder abgedeckt haben und das tun sie oft auch heute noch. Damit sage ich nicht, dass das richtig ist. Natürlich wirkt sich das negativ auf die Rente aus. Die erste Kategorie, die armutsgefährdet ist, sind Frauen über 65, die alleine leben. Danach kommen Familien mit mehreren Kindern.

    Aber es gibt doch den Geburten-Bonus?

    Gerade den find‘ ich blöd. Wer glaubt, er könne die Geburtenrate mit tausend Euro anheben, der irrt sich. Man kann die Geburtenrate nicht mit Einmalzahlungen anheben. Es braucht strukturelle Maßnahmen. Bestimmte Maßnahmen bei den Bonuszahlungen greifen auch erst ab dem dritten Kind…

    …da muss man erst mal hinkommen…

    Da muss man erst mal hinkommen, aber es ist ja auch nicht alles ein Problem des Einkommens, sondern man braucht auch Platz in einer Wohnung, es ist beruflich ein Einschnitt und so weiter und deswegen bräuchte man da andere Maßnahmen.


    Diese Einmalzahlungen gibt es jetzt seit 2005 und die Geburtenrate ist immer noch rückläufig.


    Längerfristigere?

    Ja. Und natürlich könnte man ja auch mal nachschauen, ob die bisher gesetzten Maßnahmen etwas nützen. Diese Einmalzahlungen gibt es jetzt seit 2005 und die Geburtenrate ist immer noch rückläufig. Man müsste wie in Nordeuropa auf Dienstleistungen, Kitas und so weiter setzen. Wenn das fehlt, werden wieder die Rentnerinnen in die Pflicht genommen, gemäß dem Motto: „Chi trova una nonna, trova un tesoro“.

    Die Landesregierung hat die schwierige Situation vieler Rentnerinnen und Rentner erkannt und stockt kleine Renten auf. Bis 2027 sollen 150 Millionen Euro dafür ausgegeben werden. Was halten Sie davon?

    Grundsätzlich ist das positiv zu bewerten. Die Frage ist aber: wie verteilen wir das Geld möglichst gerecht. Wer 65 ist, eine Rente unter tausend Euro und einen ISEE-Wert unter 20.000 Euro hat, bekommt die Aufstockung. Wer 1.001 Euro hat, bekommt unabhängig vom ISEE-Wert keine Aufstockung. Wenn es also blöd läuft hat einer mit einer unwesentlich höheren Rente, nach Abzug der Steuern, eine niedrigere Rente als jemand, der die Aufstockung bekommt. Hier bräuchte es eine Garantieklausel, die sichert, dass solche Benachteiligungen verhindert werden. Der Landeshauptmann hat dazu gesagt, dass es schwierig ist, gerechte Kriterien zu finden, besonders wenn man einen Schwellenwert einführt.

    Da hat er ja auch irgendwo recht. Aber hätte man nicht sagen können: tausend Euro sind für alle garantiert, auch für die die leicht drüber liegen?

    Ich hab‘ auch keine Patentlösung. Im Friaul haben sie 15.000 Euro ISEE im Jahr gemacht. Auch mit Schwellenwert, aber dort spricht man von 250-350 Euro im Jahr für Mindestrentner und das macht die Verteilung sicherlich leichter. Die Generation, die jetzt beginnt in Rente zu gehen, hat nicht mehr die Bedingungen wie früher. Im beitragsbezogenen System geht das rapide nach unten und irgendwann sind fast alle unter tausend Euro. Wenn wir nicht im Stande sind das nationale System zu verbessern und sozialer zu gestalten, dann haben wir in Zukunft ein Riesenproblem und dann wird das Geld zur Rentenaufstockung in Südtirol auch nicht mehr reichen. Das dauert vielleicht gar nicht mehr so lange.


    Ich glaube, dass das Rentensystem in Italien nicht so schlecht ist wie es gemacht wird. 


    Haben Sie noch was Tröstendes für uns?

    Ich glaube, dass das Rentensystem in Italien nicht so schlecht ist wie es gemacht wird. Man hat in Italien schon auf ein beitragsbezogenes System umgestellt, was in vielen anderen Ländern nicht passiert ist. Deswegen ist Italien längerfristig eigentlich stabiler aufgestellt als Länder, die diese Reformen erst noch machen müssen. Das Problem ist, dass es so viele Menschen mit miesen Arbeiten gibt. Wir brauchen mehr sichere, normal gut bezahlte Arbeitsplätze in Italien.

    Es gibt also zu wenige gut bezahlte Arbeitsplätze in Italien. Auch in Südtirol?

    Es gibt viel Teilzeit, viel Saisonarbeit und wir haben ein Lohnproblem. Wenn wir hier anfangen Lösungen zu finden, können wir der Altersarmut besser vorbeugen.

    Also mehr Industrie statt Tourismus und Landwirtschaft?

    In der Industrie werden bessere Löhne gezahlt als im Tourismus und Landwirtschaft und Industriebetriebe hat die Kraft global zu agieren, was sichere Arbeitsplätze bedeutet. Ich will damit aber Tourismus und Landwirtschaft nicht schlecht reden. Südtirol hat in beiden Bereichen einen guten Namen. Aber ich glaube schon, dass wir uns überlegen müssen, welche Maßnahmen wir brauchen, um Menschen ein würdevolles Leben im Alter zu ermöglichen.

    Herr Ebner, ich danke für das Gespräch.
     

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Factum Est Mon, 12/23/2024 - 12:28

Herr Ebner ist für die AGB/CGIL wie es ein Tschenett für den ASGB ist. Der Eine ist mit seiner Gewerkschaft national gut angestellt, der andere auf lokaler Ebene gut bezahlt. So Wie Beide gut bezahlt werden wird auch die Rentenzahlung gut aussehen. Was ich bezeichnen möchte ist, dass Beide gut honoriert werden Wie es die Politiker sind. Deshalb sollte man eher Angestellte der Gewerkschaften in den niedrigeren Hierarchien dazu befragen. Bsw. Die, welche die Steuererklärungen abfassen und mit den Mitgliedern in persönlichen Kontakt stehen.

Mon, 12/23/2024 - 12:28 Permalink